Einheitssprachbrei und "Stummeldeutsch"

Stefan Gärtners Buch "Man schreibt Deutsh" prangert die Denkfaulheit an

Von Thomas BlumRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Blum

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die allermeisten, obwohl sie täglich einen Zeitungsartikel lesen oder in den Fernsehkasten hineinschauen, bemerken es nicht. Es fällt ihnen für gewöhnlich nicht auf, dass sie allerorts umgeben sind von einer Sprache, die teils nur noch aus Resten dessen besteht, was sie einst war, und teils schwer beschädigt und verunstaltet ist von allen erdenklichen Arten des Jargons, von Kitsch, Stammel- und "Stummeldeutsch", Orwell'schem Neusprech, Reklamegeschwafel, Phrasenwesen und Gratisgesinnung.

Stefan Gärtner, Redakteur des Satiremagazins "Titanic", leidet schon länger unter diesem hierzulande fortwährend schlimmer werdenden allgemeinen Missstand, einem verkümmernden Denken, das sich vor allem in einer kaputten Sprache zeigt. Nun hat er die sprachlichen Unzulänglichkeiten, die er im beständig gedankenlos vor sich hinbrummenden deutschen Medien- und Literaturbetrieb beobachtet hat, analysiert und in einem Buch mit dem Titel "Man schreibt Deutsh" zusammengefasst. Nicht aber geht es ihm hierbei um lässliche Vergehen wie die mangelhafte Beherrschung von Rechtschreibung und Zeichensetzung, sondern um "eine Denkfaul- und Beschränktheit, die sich nur zu gern aus dem Kleinen Wortbaukasten bedient", um "die Kleinigkeiten, die sprachliche Qualität ausmachen: weil sie zeigen, wie genau der Schreibende nachgedacht hat. Und ob überhaupt. Ihrem Zahnarzt sind Sie schließlich auch dankbar, wenn er am Nerv vorbeibohrt, und sei es nur um den entscheidenden Millimeter."

Wenn etwa täglich blindlings und stur von Journalisten "tausendfach tote Metaphern" wie "grünes Licht geben" reproduziert werden oder wenn geradezu obsessiv die Wendung "im Vorfeld" benutzt wird an Stellen, an denen es früher ausreichte, "zuvor", "vor" oder "vorher" zu schreiben, erhält man bisweilen den Eindruck, hier schreibe oder spreche nicht ein sich seines Verstandes bedienender Mensch, sondern eine Maschine, die eine beschränkte Menge Sprachfertigteile stets aufs Neue mischt und derart automatisch Text generiert, und zwar überdies täglich denselben. Eine Gärtner zufolge gar nicht mehr aufzuhaltende, alles und jeden erfassende Sprachverflachung und -simplifizierung setzt damit ein, ein unaufhörlicher Prozess, im Zuge dessen sich alles Schreiben hin zum "Eindimensionalen und Infantilistischen" entwickelt.

Es sind aber Gärtner zufolge nicht bloß die zahllosen in den Redaktionsstuben hockenden "Journalistenschüler und Soziologiemagister", die, sich jederzeit bereitwillig ins "System allgemeiner Gesamtphraserei" fügend, es nicht fertig bringen, einen halbwegs vernünftigen Satz zu formulieren, der bestenfalls auch noch einen eigenen Gedanken enthält. Es ist, wie immer, schlimmer.

Wer bislang geglaubt hat, dass vieles von dem, was hierzulande als Literatur auf den Markt geworfen wird, frei von haarsträubend unbeholfen Formuliertem sei, muss sich belehren lassen.

Denn auch die stark begrenzten sprachlichen Mittel nicht weniger junger Gegenwartsautoren und -autorinnen bemängelt Gärtner und führt an vielen Passagen aus deren "abiturientenhaften Prosakrämpfen" überzeugend vor, wie viel Kunstgewerbe, "Unfug und Symbolquark" darin enthalten ist, was erschreckenderweise bisher kaum jemandem aufgefallen zu sein scheint, am allerwenigsten offenbar den Verlagen und ihren Lektoren. "Die Bachmannpreisträger und Literaturstipendiaten, die Kulturbetriebsnudeln und 'Glücksfälle der Literatur' (Klappentextsprech): sie wachsen und gedeihen wie der Pilz im morschen Holz."

Ganz anders wiederum als die meisten Jungautoren, aber nicht weniger durchschaubar arbeitet der Büchner-Preisträger Durs Grünbein: Jeder Satz soll den Leser aufs Gewaltigste beeindrucken. Noch die banalste Aussage wird mit haufenweise Sprachgepäck "aus Metaphernporzellan und tieferer Bedeutung aus dreitausend Jahren Kulturgeschichte" gehörig aufgebläht und umnebelt, sodass sie schön aufgemotzt und im raunenden, hochtönenden, großdenkerhaften Sound der Eigentlichkeit daherkommt. Das derart mutwillig durchsuhrkampte Geschriebene liest sich dann so: "Niemand war ausgenommen von den Gesetzen des Stirb und Werde." Stefan Gärtner stellt zu Recht fest, dass derlei nichts anderes bedeutet als: "Gebürstelt wird halt immer. Und gestorben auch!"

Dass dem meist scharfsinnig formulierenden Sprachkritiker Gärtner hie und da selbst unmerklich eine der Phrasen aus dem Journalistensatzbaukasten von der Sorte herausrutscht, vor deren Verwendung er in seiner Studie warnt (z. B. "Tellerrand", "Flaggschiff", "jemanden ins Boot holen"), sei ihm nachgesehen. Denn sein Buch ist dankenswerterweise vor allem dreierlei: Es ist hochkomisch geschrieben, führt dem Leser präzise den Einheitssprachbrei in den deutschen Medien und in dem nicht selten prätentiösen Selbstdarstellungskram vor, der uns als "junge deutsche Literatur" verkauft wird, und übt obendrein mit leichter Hand Ideologiekritik. So etwas gibt es heute nur noch selten.


Titelbild

Stefan Gärtner: Man schreibt Deutsh. Hausputz für genervte Leser.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006.
190 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 349962155X

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