Der Thomas Mann vom Nil
Zum Tod des Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus
Von Peter Mohr
Als "Wegbereiter neuer sozialkritischer Erzählkunst zwischen Tradition und Moderne" hatte die Stockholmer Akademie Nagib Machfus gerühmt, als ihm 1988 als bisher einzigem Autor aus der arabischen Welt der Literatur-Nobelpreis zugesprochen wurde. Damals war er hierzulande ein nahezu unbekannter Autor. Heute liegen die wichtigsten seiner über dreißig Romane in deutscher Übersetzung (zumeist im Unionsverlag Zürich) vor.
Machfus, der seine ersten literarischen Arbeiten vor rund 60 Jahren veröffentlichte, hat sich in seinem Bemühen, orientalische Metaphorik und westlichen Realismus, politischen Alltag und Religion künstlerisch zu vermengen, in seiner ägyptischen Heimat viele Feinde gemacht. Sein 1959 fertig gestellter religionskritischer Roman "Die Kinder unseres Viertels" (dt. 1990) wurde nach massiven Protesten konservativer islamischer Kräfte verboten, obwohl Machfus zwei Jahre zuvor den ägyptischen Staatspreis erhalten hatte. Radikale Fundamentalisten riefen 1989 zu einer Hetzjagd gegen ihn auf, deren tragischer Höhepunkt ein Mordanschlag im Oktober 1994 war. Machfus, der die "Liebe als Ursprung des Schreibens" bezeichnete, überlebte das Attentat schwerverletzt, und als die Täter hingerichtet wurden, empfand er Trauer über "das vergeudete Leben irregeleiteter junger Menschen".
Nagib Machfus, der am 11. Dezember 1911 in Kairo als siebtes Kind eines Beamten geboren wurde und nach dem Studium der Philosophie und Kunstgeschichte bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1971 im Staatsdienst tätig war, wird nicht zu Unrecht als "Thomas Mann vom Nil" bezeichnet. Vor allem seine in den 50er-Jahren entstandene Roman-Trilogie "Zwischen den Palästen", in der das bewegte Leben einer Kaufmannsfamilie beschrieben wird, unterstreicht die geistige Verwandtschaft unübersehbar - aber auch Machfus' Affinität zum äußerst weitschweifigen Erzählen. Auch im 1999 erschienenen Roman "Echnaton" finden sich Parallelen zu Thomas Mann und dessen "Joseph"-Roman.
Kairo war das literarische Zentrum in Machfus' Werk, hatte aber durchaus exemplarischen Charakter, denn nicht der Ort, sondern die Nöte der Menschen in der Metropole (so auch in seinem bekanntesten Roman "Das Leben in der Midaq-Gasse") stehen im Mittelpunkt. "Meine Liebe gilt den Bewohnern der Gassen. Nicht nur der alten Gassen von Kairo, sondern der Gassen der ganzen Welt", erklärte der Nobelpreisträger. Im autobiografischen Roman "Ehrenwerter Herr" (dt. 1996) hat Machfus - versteckt hinter der Figur des Osman Bajurni - über seine Erfahrungen im Kairoer Beamtenapparat berichtet. Mit subtiler Ironie beschreibt er den Weg seines Protagonisten aus dem Kairoer Armenviertel Hussain ins Zentralarchiv der Regierung.
Die Ablehnung jeder Form von Gewalt und der auf Versöhnung basierende Grundtenor seiner Werke kam am nachhaltigsten im Roman "Der letzte Tag des Präsidenten" (dt. 2001, im Original 1985) zum Ausdruck, der um den Tod des ägyptischen Regierungschefs Sadat kreist. Freunde und politische Gegner Sadats reichen sich darin in einer Caféhausatmosphäre symbolisch die Hand. "Das Leben hat mich gelehrt, dass seine Schönheit nicht nur im Denken, in der Freiheit und der Demokratie liegt, sondern vor allem auch in der Freundschaft", hat Machfus einmal sein schriftstellerisches Credo beschrieben. Für sein letztes Buch "Träume" (2005) hat der Nobelpreisträger ein Jahr lang eine Art Traumtagebuch geführt.
Bis zum Frühjahr hatte Machfus, der fast erblindet und schwerhörig war, noch rege am öffentlichen Leben teilgenommen und sich einmal in der Woche mit Freunden zum Gedankenaustausch in einem Kairoer Café getroffen. Vor sechs Wochen war der Schriftsteller nach einem Sturz mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Danach stellten sich noch Lungen- und Nierenprobleme ein.
Bald darauf ist Nagib Machfus, einer der bedeutendsten Romanciers der arabischen Welt, in einem Kairoer Krankenhaus im Alter von 94 Jahren gestorben.