Menschen, Haustiere, Emotionen

Zwei Begleitpublikationen der Dresdner Ausstellung „Tierisch beste Freunde“ beleuchten die Fluchtpunkte und Ambivalenzen einer Kultur- und Gefühlsgeschichte von Menschen und ihren nichtmenschlichen MitbewohnerInnen

Von Frederike MiddelhoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frederike Middelhoff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass der Animal Turn auch in der deutschen Museumslandschaft angekommen ist, lässt sich anhand der im letzten Jahr eröffneten Ausstellungen in Dresden und Hamburg erahnen. In Hamburg nähert man sich den Fundamenten und Abgründen des Tier-Mensch-Verhältnisses aus kunsthistorischer und dezidiert ethischer Perspektive anhand der Trias Respekt / Harmonie / Unterwerfung; in Dresden nimmt man wiederum eine spezifischere Beziehung in den Blick: Noch bis zum 1. Juli dieses Jahres geht es im Deutschen Hygiene-Museum um Tierisch beste Freunde. Über Haustiere und ihre Menschen. Kuratiert von Viktoria Krason und Christoph Willmitzer fragt diese Ausstellung nach der (Un‑)Gewöhnlichkeit interspezifischer Wohngemeinschaften und ihren zugrundeliegenden Beziehungskonstellationen, die sich vor dem Hintergrund historisch flexibler Zuschreibungen, komplexer Interessenlagen und Emotionsspektren sowohl von Menschen als auch von Tieren abspielen. Für Krason und Willmitzer steht hinter dem Thema der Ausstellung und ihren historischen wie gegenwärtigen Dimensionen „die Überzeugung, dass der Umgang des Menschen mit seinen Heimtieren überraschende Auskünfte nicht nur über ihn selbst geben kann, sondern auch über sein Verhältnis zu anderen Menschen und zur Natur insgesamt.“

Zwei sehr unterschiedliche Publikationen sind als Begleittexte zu dieser Ausstellung erschienen. Während Josef H. Reichholf in Haustiere. Unsere nahen und doch so fernen Begleiter einen vordergründig zoologischen Überblick über die Artenvielfalt (halb-)domestizierter und kommensaler Tiere gibt, nehmen die AutorInnen des Sammelbändchens Tierisch beste Freunde die Parameter und Paradoxien von Menschen und ihren sogenannten Haus- beziehungsweise Heimtieren aus kultur‑, sozialtheoretischer und ethischer Perspektive in den Blick. Trotz unterschiedlicher inhaltlicher und methodologischer Akzentuierungen vermitteln beide Bücher indes, dass was respektive wer als Haustier gehandelt und wie behandelt wird, nicht nur historisch und kulturell variabel ist, sondern in hohem Maße auch davon abhängt, aus welcher Perspektive man sich dem Mensch-Haustier-Verhältnis nähert. Verschiebt man den Blick vom Mythos der Domestikationsgeschichte der Tiere durch den Menschen hin zu Geschichten, die von Annäherungen bestimmter Tiere an bestimmte Menschen, von ko-evolutionären Entwicklungslinien, von komplexen interspezifischen Beziehungs- und Interaktionsmustern erzählen, die bis heute ausgehandelt und fortgeschrieben werden, dann ergeben sich neue Fragen und Konfliktlagen, die sich mit Krasons und Willmitzers Zielsetzung verschränken, die BesucherInnen der Ausstellung „zum Nachdenken über ihr eigenes Verhältnis zum Heim-Tier“ zu bewegen.

Der Biologe Josef H. Reichholf legt mit seiner in der Naturkunden-Reihe verankerten Monografie Haustiere einen sowohl informativ-unterhaltsamen als auch in Teilen kritisch reflektierenden Beitrag zur symbiotischen Geschichte von Menschen und ihren häuslichen MitbewohnerInnen jenseits der eigenen Spezies vor. Nicht nur mit seinem zoologisch fundierten Blick, sondern auch mit seiner anekdotenreichen Ausführung reiht er sich dabei in eine populärwissenschaftliche Publikationstradition ein, welche die Natur- und Beziehungsgeschichte von Menschen und ihren Haustieren auslotet und mindestens bis in das späte 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Im Jahr 1795 und 1797 veröffentlichte der Naturforscher Johann Matthäus Bechstein seine zweibändige Naturgeschichte der Stubenthiere, in der er neben den bereits als solchen etablierten ‚europäischen‘ Haustieren (Hund, Katze, Maus, Hase, Stubenvogel und Co.) auch Affen, „Stubenamphibien“, „Stubeninsekten“ und „Stubenwürmer“ aufnahm – eine Zusammenstellung, die auf die Arbitrarität und Dehnbarkeit des Begriffs ‘Haus- beziehungsweise Stubentiere‘ verweist und Bechstein nicht nur das Lob seiner Zeitgenossen einbrachte.

Genau an dieser Willkürlichkeit und Komplexität des Benennens, Beurteilens und Behandelns von Haustieren arbeitet sich auch Reichholf ab, wenn er seine „besondere Menagerie“ der Haustierarten mit Hund, Katze, Rind, Ziege und Co. beginnt und unter anderem mit Marder, Fledermäusen, Motten und Wanzen beendet. Im Gegensatz zu Bechstein, der seine Schrift hauptsächlich als „Anleitung zur Kenntniß und Wartung“ begriff, geht es Reichholf vor allem um eine zoologisch-ökologische und genealogisch orientierte Darstellung von Mensch-Haustier-Verhältnissen. In den jeweiligen Einträgen liefert er daher nicht nur den Status quo der Haustiere in Deutschland, die gegessen (Schwein) und gestreichelt (Meerschweinchen), massenweise gezüchtet (Hausmaus), ungerechtfertigterweise gerügt (Waschbär) oder schlichtweg gehasst und gejagt (beispielsweise Laus und Spinne) werden. Reichholf interessiert vielmehr auch, welche Gründe es dafür gibt, dass spezifische Mensch-Haustier-Verhältnisse überhaupt entstehen und sich entwickeln konnten. Die 21 Arten-Einträge, bereichert durch die anmutigen Illustrationen von Falk Nordmann, rahmt er daher auch mit Überlegungen zu der immer noch nicht gänzlich beantworteten Frage, wie die Tiere dazu kamen, „sich mit uns Menschen einzulassen“. Reichholf geht dabei von der weitverbreiteten These aus, dass eine Domestikationsgeschichte keineswegs als asymmetrische Einbahnstraße missverstanden werden darf, an deren Anfang der sesshaft gewordene Mensch steht, der Scharen von Wildarten unter sein Joch bringt und in Heim- und Nutztiere ummodelt.

Sozialleben, Ernährungsweise und Körpergröße der Wildtiere entscheiden laut Reicholf maßgeblich darüber, wie nahe bestimmte Tiere dem Menschen kommen und welches Verhältnis sie zueinander entwickeln. Auch die „Attraktivität der Lebensformen des Menschen“, dessen Vorräte und Abfälle seit der Neolithischen Revolution diverse Mit-Esser anzog und – betrachtet man den rezenten Einzug beispielsweise von Füchsen und Wildschweinen in deutsche Großstädte – immer noch anzieht, waren und sind maßgeblich für Mensch-Haustier-Konstellationen. Der Biologe versteht es in seiner Zusammenschau der verschiedenen Haus- und Heimtiere des Menschen Altbekanntes mit verblüffenden Tatsachen, autobiografische Eindrücke mit aktuellen Forschungsdaten zu verbinden und auf kurzweilige, wenngleich manchmal etwas gewollt witzige Art und Weise darzustellen. Gleichzeitig räumt er mit Vorurteilen gegenüber bestimmten Arten auf und spart auch nicht an einer ethisch und ökologisch orientierten Kritik der heutigen Züchtungs- und Massentierhaltungspraxis. Allerdings verfängt auch er sich dabei teilweise in dem Dickicht, das die Projektionen und Präsumtionen des Mensch-Haustier-Beziehungsspektrums umspannt. Dass „so manches der etwa 1,2 Millionen Pferde, die es derzeit in Deutschland gibt, es kaum erwarten [kann], geritten zu werden“, mutet aus der Sicht eines hochgezüchteten und dazu möglichweise noch gedopten Springpferdes, das von Parcours zu Parcours geschickt wird, eher wie blanker Hohn an und geht weniger in dem auf, was Reichholf das „goldene Zeitalter“ des Pferdes „als geliebtes Reittier“ nennt.

Ebendiesem Themenspektrum von Freundschaft bis Liebe zwischen Menschen und Haustieren widmen sich die drei Beiträge, die Viktoria Krasen und Christoph Willmitzer anlässlich ihrer Ausstellung Tierisch beste Freunde in dem gleichnamigen Büchlein versammeln. Trotz seines geringen Umfangs wartet es mit sorgsam ausgearbeiteten Forschungseinblicken sowie gewichtigen und herausfordernden Thesen zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Zusammenlebens von Menschen und Haustieren auf. Krasen und Willmitzer bereiten die Beiträge in ihrer Einleitung mit Blick auf die historischen Dimensionen der Ausstellung und die darin manifest werdende „verblüffende Komplizenschaft von Sentimentalisierung, Ästhetisierung und Ökonomisierung“ eines Verhältnisses vor, das bis heute „zwischen Zuneigung und Kontrolle“ changiert. Iris Därmann skizziert daraufhin in einer beeindruckenden Zusammenführung historischer Materialien und aktueller Forschung aus dem Bereich der Human-Animal Studies eine kulturwissenschaftliche Annäherung an das „eigentümliche Mischungsverhältnis von Herrschaft und Freundschaft“ zwischen Menschen und ihren Haustieren. In einem Gang von der Antike bis in die Gegenwart befragt sie unter besonderer Berücksichtigung der Mensch-Hund-Beziehung die (Un‑)Möglichkeiten einer Freundschaft zwischen Menschen und ihren Haustieren und skizziert einschlägige kulturhistorische Wandlungsprozesse in der menschlichen Wahrnehmung von und Begegnung mit Haustieren.

An die von Därmann vorgenommene Historisierung einer Freundschaft beziehungsweise Freund-Werdung von Menschen und Haustieren knüpft Clemens Wischermann in seinem weitaus theorie- und thesenreicheren Beitrag an. Er kombiniert dabei eine sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektive auf den historischen Wandel von Mensch-Haustier-Beziehungen mit den theoretischen Prämissen einer tiertheoretisch informierten Animate History. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Annahme, dass Tiere nicht nur handlungs- und wirkungsmächtige historische Akteure sind, sondern historische Wandlungsprozesse auch bewusst als solche erleben. Vor diesem Hintergrund breitet Wischermann seine implikationsreichen subjekt- und sozialtheoretischen Annäherungen an das Selbst von Tieren sowie den tierlichen Einflüssen auf das Selbst von Menschen aus, um abschließend mit Blick auf das gegenwärtige Mensch-Haustier-Verhältnis eine „Ähnlichkeitsthese“ zu entwickeln, die eine spezifische Vorstellung von Kindheit (nicht „Kind-Ersatz“) mit der Emotionalisierung von Mensch-Haustier-Beziehungen verschränkt.

Auch Hilal Sezgin reibt sich in ihrem tierethischen Beitrag zum Mensch-Haustier-Verhältnis an der These vom Haustier „als Ersatz für andere Menschen, zumal Kinder“ und räumt mit der Annahme auf, dass jedes Mensch-Haustier-Verhältnis eine Instrumentalisierung der Tiere bedeute. Als Tierrechtlerin versucht Sezgin dabei ausgehend vom fundamentalen Anrecht tierlicher Individuen auf körperliche Unversehrtheit, Bedürfnisbefriedigung und Fähigkeitsausübung ethische Probleme derzeitiger Haustierhaltung aufzuzeigen und mit möglichen Perspektiven eines ethisch vertretbaren, wenngleich nie gänzlich von Aporien befreiten Mensch-Haustier-Verhältnisses zu komplementieren. Sezgin ist davon überzeugt, dass „Freundschaften von Menschen und Tieren […] zur menschlichen Lebensweise gehören (können)“ und ein grundlegendes gesellschaftliches Umdenken stattfinden muss, um Haustieren die Lebensweise zu ermöglichen, die ihnen zusteht. Prämisse für ein solches interspezifisches und zumindest ansatzweise egalitäres Zusammenleben ist für Sezgin, dass die Grenzen von Haus- und Wildtieren ebenso wie die Modelle und Vorstellungen von Freundschaft neu vermessen werden müssen.

Mit den beiden Begleitpublikationen ist nicht nur die Dresdner Ausstellung buchstäblich gut beraten. Vor allem für AusstellungsbesucherInnen, aber auch für andere Interessierte sowie Forschende der Human- und Cultural Animal Studies bieten die beiden Bücher vielfältige Zugangsmöglichkeiten und Blickwinkel auf Geschichte und Geschichten von Mensch-Haustier-Verhältnissen. Wer sich für eine populäre Darstellung, die faszinierenden Eigenschaften von Haustieren und ihrer Herkunft interessiert, wird eher zu Reichholfs Buch greifen; wer mehr über die kultur- und sozialgeschichtlichen Dimensionen unserer heutigen Mensch-Haustier-Beziehungen und über ihre ethischen Problemlagen und Zukunftsaussichten wissen will, wird in Tierisch beste Freunde fündig. Beide Publikationen demonstrieren, dass über das Beziehungsgefüge von Menschen und ihren tierlichen MitbewohnerInnen noch lange nicht alles und noch lange nichts Abschließendes gesagt ist.

Titelbild

Josef H. Reichholf: Haustiere. Unsere nahen und doch so fremden Begleiter.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
194 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783957574626

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Viktoria Krason / Christoph Willmitzer (Hg.): Tierisch beste Freunde. Über Haustiere und ihre Menschen.
Mit Beiträgen von Iris Därmann, Hilal Sezgin und Clemens Wischermann.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
140 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783957574817

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