Streiterin für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

In ihrem Buch „Die Achse der Autokraten“ deckt Anne Applebaum die Mechanismen autokratischer Herrschaft auf

Von Günter RinkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günter Rinke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer noch keine Zweifel an der Vorstellung hegt, wir lebten in der besten aller möglichen Welten, der lese das Buch der Friedenspreisträgerin des deutsche Buchhandels Anne Applebaum. Auf den ersten Blick scheint die Sachlage einfach, auch in Fernsehsendungen wurde bereits ausführlich darüber berichtet: Es gibt eine Achse der Autokraten, bestehend aus den Ländern Russland, China, Iran und Nordkorea, die sich gegenseitig unterstützen und versuchen, ihren Einfluss weltweit geltend zu machen, zu festigen und auszuweiten. Dieser Aussage würde Applebaum wohl nicht widersprechen, aber sie erschiene ihr stark vereinfacht. In ihrem Buch weitet sie erstens den Blick, indem sie weitere Länder wie vor allem Belarus, Venezuela und Simbabwe einbezieht. Darüber hinaus zeigt sie auf, dass und in welcher Form sich Autokraten auch auf Finanzakteure in Ländern stützen können, die im sogenannten ‚Westen‘ beheimatet sind. Bezogen darauf spricht sie von einer „grenzübergreifenden Kleptokratie“.

Ihre Grundthese lautet, dass Autokratie und Kleptokratie eng verflochten sind. Autokraten haben also nicht nur ihre mehr oder weniger uneingeschränkte Macht zu verteidigen, sondern auch ihren Reichtum, der in der Regel übermäßig groß ist. Dabei stützen sie sich auf Netzwerke sowohl im eigenen Land als auch in anderen autokratisch regierten Ländern. Es handelt sich also der Autorin zufolge nicht um Alleinherrschaften, die „von einem einzigen Bösewicht kontrolliert werden“, sondern um Strukturen, die von Experten für verschiedene Bereiche getragen werden. In fünf Kapiteln beschreibt die Autorin die Ziele und Strategien der Autokraten, denen sie eine hohe Lernfähigkeit bescheinigt, insbesondere was die Nutzung neuester technischer Möglichkeiten für die Überwachung ihrer Bevölkerung und Desinformation im nationalen und internationalen Maßstab angeht.

Zudem argumentiert Applebaum an vielen Stellen historisch. So blickt sie immer wieder zurück auf die Zeit des Kalten Krieges, um zu zeigen, „wie Autokratien versuchen, das internationale System abzuschaffen“, das nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert wurde. Zu den dabei angewandten Methoden gehöre nicht zuletzt eine gezielte Sprachverwirrung, die darin bestehe, dass Leitwörter, wie z. B. Menschenrechte, verdrängt und allmählich durch neue Wörter (Recht auf Entwicklung, Souveränität, gegenseitiger Respekt) ersetzt werden. Die „regelbasierte internationale Ordnung“ hält die Autorin ebenso für verteidigenswert wie die Verfassungsgrundsätze des demokratischen Westens, also Garantie der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Autokraten versuchten diese Grundsätze in ihren Ländern aus dem öffentlichen Diskurs und damit sogar aus der Sprache zu tilgen.

Zwar hat Applebaum ihrem Buch die Widmung „Für die Optimisten“ vorangestellt, jedoch räumt sie mit mancher Illusion auf, die im Kalten Krieg entstand und bis heute fortwirkt. Dazu gehört Egon Bahrs für die Ostpolitik der damaligen Bundesregierung maßgebliches Motto „Wandel durch Annäherung“, aus dem später „Wandel durch Handel“ geworden sei. Die Hoffnung westlicher Politiker und Wirtschaftsführer, ein intensiver Welthandel werde zu einer Öffnung und Demokratisierung vor allem Russlands und Chinas führen, habe sich als Irrtum mit Elementen der Selbsttäuschung erwiesen. Letztere war für westliche Wirtschafts- und Finanzmagnaten deshalb nützlich, weil sie auf diese Weise gute Geschäfte machen konnten, ohne sich vorwerfen (lassen) zu müssen, sie festigten die Herrschaft von Autokraten. Putin schürte den Glauben an seine demokratische Gesinnung bewusst – Applebaum belegt das mit einem Zitat vom G8-Gipfel 2006 – und profitierte auf diese Weise von der Entschlossenheit westlicher Vertreter, sich selbst etwas vorzumachen. Interessant ist auch das Beispiel des ukrainischen Oligarchen Kolomojskyj, der zum Zweck der Geldwäsche ein Stahlwerk im US-Bundesstaat Ohio kaufte – und ruinierte. Interessanterweise sei er nicht etwa durch US-amerikanische Ermittler, sondern im Zuge der Euromaidan-Revolution des Jahres 2014 aufgeflogen.

Applebaum führt in dem Kapitel „In Gier vereint“ zahlreiche weitere Beispiele für erfolgreiche Geldwäsche russischer und chinesischer Oligarchen, etwa auf westlichen Immobilienmärkten, an. Das Fazit dieser Ausführungen lautet:

Dank der Globalisierung der Finanzwelt, der Vielfalt an Geldverstecken und der gütigen Duldung ausländischer Gaunereien durch Demokratien eröffnen sich Autokraten heute Möglichkeiten, von denen sie vor einigen Jahrzehnten nicht zu träumen gewagt hätten.

Unter diesen Bedingungen funktionieren auch die Geschäfte kleptokratischer Herrscher bestens. Konkret belegt Applebaum das am Niedergang Venezuelas seit dem Amtsantritt von Hugo Chávez und während der Regierungszeit seines Nachfolgers Maduro sowie der „Dauerkrise“ Simbabwes, die nach der jahrzehntelangen Herrschaft Robert Mugabes durch den an die Macht geputschten Emmerson Mnangagwa nicht gestoppt, sondern weiter verschärft wurde. Sanktionen westlicher Staaten gegen die reichen Eliten solcher Länder bewirkten wenig, schreibt Applebaum, denn „[d]as internationale Finanzwesen bietet ihnen zahlreiche Dienstleistungen, mit deren Hilfe sie ihr Geld verstecken können […].“

Ausführlich widmet sich die Autorin dem Informationskrieg der Autokratien gegen westliche Staaten, Presseorgane und Nichtregierungsorganisationen. Dabei gehe es aber auch darum, den möglichen Unmut in der eigenen Bevölkerung zu unterdrücken. Dass dieser Unmut sich hin und wieder in machtvollen Demonstrationen zeigen kann, belegt Applebaum unter anderem mit dem Aufbegehren der chinesischen Bevölkerung gegen die überaus rigiden Corona-Beschränkungen. Die Staats- und Parteiführung zog es schließlich vor, alle Beschränkungen aufzuheben und die möglichen gesundheitlichen Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Eine andere Reaktion auf Demonstrationen war Putins Übergang zu offener außenpolitischer Aggression und Expansion nach den Kundgebungen gegen ihn im Jahr 2011. Eine dritte Möglichkeit besteht in der Anwendung von Gewalt wie auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989, bei Protesten in Caracas, in Teheran oder während des Arabischen Frühlings vor allem in Syrien. Allerdings hätten moderne Autokraten dazugelernt: Meist reichten ihnen gezielte Gewalttaten gegen Einzelne aus (Kashoggi, Politkowskaja, es gibt viele Beispiele), „um gewöhnliche Bürger von der Politik fernzuhalten“.

Die Hauptwaffe der Autokraten im Informationskrieg mit dem Westen sieht Applebaum in sozialen Plattformen und Nachrichtenagenturen, die gezielt für die Desinformation eingesetzt werden. Demokratien würden als schwach und degeneriert dargestellt, das eigene System erscheine dagegen als stabil und überlegen. Mit dieser Propaganda würden bestimmte Denkmuster insbesondere von „Anhängern der autoritären Rechten“ in demokratischen Staaten bestätigt und verstärkt. Applebaum spricht von der „Nebelkerze des Kulturkampfs“, die auch von halbautoritären Politikern wie Viktor Orbán gezündet werde. Letztlich gehe es oft gar nicht darum, Falschinformationen zu verbreiten, sondern vielmehr widersprüchliche Nachrichten, um die Unterscheidung zwischen wahr und falsch unmöglich zu machen. Das Ergebnis sei „nicht etwa Entrüstung, sondern Nihilismus“. Ausführlich beleuchtet die Autorin in diesem Zusammenhang die Rolle der russischen Nachrichtenagenturen RT und RRN, die auch verwendet würden, um Regionalkonflikte in westlichen Ländern anzuheizen (etwa in Katalonien). Allein dieses mit vielen Beispielen angereicherte Kapitel lohnt die Lektüre des Buchs.

Im Epilog, der unter der Überschrift „Demokraten, vereinigt euch!“ steht, kommt Applebaum auf ihr vorangestelltes Motto zurück. Sie plädiert gegen Resignation und für Optimismus. Sie hält es durchaus für möglich, im Systemkonflikt zwischen Demokratie und Autokratie Erfolge zu erzielen und letztlich gar zu siegen. Dabei ist sie auch im Hinblick auf die freiheitlichen Gesellschaften keineswegs naiv, sie sieht auch hier „gravierende Mängel“ und „tiefe Gräben“, sie hat es auch beim Thema Informationskrieg nicht versäumt, auf einen Fall wie den des Edward Snowden hinzuweisen, der heute im Exil in Moskau lebt. Zu ergänzen wären die problematischen Wendungen im Fall Julian Assange. Trotz dieser kritikwürdigen Aspekte hält sie an der Grundüberzeugung fest, dass die liberale Demokratie es wert ist, verteidigt zu werden. Und sie glaubt, es gebe viele Mittel und Wege, dies zu tun, sei es durch journalistische Arbeit, transparente Regeln für die sozialen Medien, Bekämpfung von internationaler Geldwäsche und Wirtschaftskriminalität, Zusammenarbeit mit Oppositionellen in den autoritär regierten Staaten.

Dass diese Staaten nicht so stark und fest gefügt sind, wie sie nach dem Willen ihrer Führer erscheinen sollen, hat zuletzt das Beispiel Syrien gezeigt. Applebaums Buch ist vor dem Sturz Assads verfasst worden. Die Enthüllungen über das Wesen dieses Regimes bestätigen Applebaums Aussagen sowohl zur gewaltsamen Herrschaftsausübung als auch zur Kleptokratie. Es hat sich gezeigt, dass der Assad-Clan seinen Reichtum durch umfangreiche Drogengeschäfte vermehrte. Die Frage weshalb dieses Regime so schnell zusammengebrochen ist, beschäftigt noch die Öffentlichkeit. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass autokratische Herrschaft sich plötzlich nicht mehr halten kann? Tragen dazu solche Aktivitäten bei, wie sie Applebaum in ihrem Epilog vorschlägt? Sind diese Bedingungen je nach Staat unterschiedlich, oder gibt es Gemeinsamkeiten? Und was würde mit der „Achse der Autokraten“ geschehen, wenn ein wichtigerer Staat als Syrien – etwa Iran oder gar Russland – herausbräche? Diese Fragen würden wohl ein weiteres Buch der sehr verdienstvollen Autorin verlangen.

Titelbild

Anne Applebaum: Die Achse der Autokraten. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten.
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer.
Siedler Verlag, München 2024.
208 Seiten , 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783827501769

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