Die böse Biologie

„Female Choice“ von Maike Stoverock zeigt in leicht provokanter und höchst interessanter Manier den zunehmenden Zerfall patriarchaler Strukturen und zugleich Perspektiven für ein mögliches konfliktfreies Miteinander der Geschlechter

Von Veit Justus RollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veit Justus Rollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Männer sind anders als Frauen. Schon diese aus biologischer – man könnte auch sagen: phänomenologischer – Sicht lapidare Feststellung birgt Stoff für schier endlose Debatten. Neben den augenfälligen physischen Differenzen haben Männer und Frauen, dies zeigt Stoverock gleich zu Beginn ihres Buches anhand eines Fachterminus aus der Biologie – „female choice“ – auf, hinsichtlich der Sexualität völlig unterschiedliche prinzipielle Herangehensweisen. Während der Mann auf Masse, i. e. eine möglichst große Zahl erfolgreicher Paarungen aus ist und dabei zwar vom Perfekten träumt, sich aber gerne mit dem Mittelmaß zufriedengibt, geht die Frau auf Klasse: die evolutionsbiologisch überaus vorteilhafte Auswahl eines am besten geeigneten Partners für die Fortpflanzung. Hier müssen die männlichen Aspiranten einiges tun und mitbringen, um zum Gegenstand der „female choice“ zu werden. Sie müssen kämpfen, sich aufplustern, das bunte Rad schlagen oder schlicht „the fittest“ sein.

Die Damenwahl in der Natur bedingt eine Verknappung der begehrten Ressource Sex. Daher haben die männlichen Vertreter der Spezies Mensch seit der Sesshaftwerdung und der Erfindung von Ackerbau und Viehzucht alles getan, um der bösen Biologie mit ihrem Ziel eines „Survival of the fittest“ auf der Keimbahn mit den Frauen als Gatekeeper ein Schnippchen zu schlagen. Es galt, die natürliche Sexualität in einem kulturellen Käfig einzuhegen und solcherart die Verfügbarkeit von Sex für Viele, wenn auch auf eine nicht immer der Wunschvorstellung entsprechende Weise, sicherzustellen. Mit dabei: die religiös überbaute oder unterfütterte Einehe verbunden mit der, in den Buchreligionen entsprechend kodifizierten, Begrenzung des Handlungsbereiches der Frau (e. g. 1. Timotheus 2, 11-14).

Doch zum Glück – oder je nach Standpunkt: leider – ist hier einiges in Bewegung geraten. Wenngleich feministische Aktivisten*innen zu langsame Fortschritte bei der Gleichbehandlung aller Geschlechter beklagen, sind die Einschnitte in die patriarchalen Machtstrukturen innerhalb der letzten Jahrzehnte deutlich und tief – gerade, wenn es um die leistungsunabhängige und dauerhafte Verfügbarkeit von Sex geht. Beispiele dafür sind etwa die immer besseren Kontrazeptiva für Frauen und die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Moderne Paare in westlichen Gesellschaften agieren längst auf Augenhöhe und eheliche Pflichten existieren allenfalls noch als geflügeltes Wort. Hier gilt schon lange so etwas wie das Prinzip „female choice“: wer etwas will, muss freundlich sein und sich entsprechend ins Zeug legen.

Die Verknüpfung gesellschaftlicher Realitäten oder die Zuschreibung individueller Verhaltensweisen und Eigenschaften mit der Natur des Menschen, seiner Biologie, hat eine lange Geschichte dunkler Irrtümer. Viele Übel wie Rassenideologie, Diskriminierung und Unterdrückung ganzer Völker, Sklaverei und viele weitere Grausamkeiten haben hierin ihren Ursprung. Dennoch, so Stoverocks Plädoyer, sollte man sich im großen Gegensatz von „nature“ vs. „nurture“ nicht grundsätzlich auf die Seite derer schlagen, für die der Mensch so etwas wie ein Geist ist: körperlos, bar jeder biologischen Determinierung und einzig Produkt seiner rationalen Kultivierungsleistungen. Sie entwirft daher in den unterschiedlichen Kapiteln so etwas wie eine Kulturgeschichte der Geschlechter im Ausgang von deren gegenläufig strukturierter Sexualität.

Wie Stoverock eingangs nicht müde wird zu betonen, stellt ihr Buch für manche eine Provokation dar. Zu den solcherart Provozierten können aber nur jene (Männer) zählen, die glauben, dass die berechtigte Bestrebung eine Jahrtausende lange Unterdrückung durch Aufklären und Aufbegehren zu beenden gleich mit Verlust von Privilegien oder gar mit einer Umkehrung der bisherigen Verhältnisse einhergehen muss. Wer hingegen nicht gleich Zeter und Mordio schreit, wenn fundierte Behauptungen an der eigenen wohlgehegten Ideologie kratzen, sondern sich vielmehr gerne dem zwanglosen Zwang guter Argumente beugt, wird mit Female Choice eine erhellende und zudem sehr gut geschriebene Lektüre vorfinden und sich vielleicht auf den Dialog mit „Weibchen“ auf Augenhöhe freuen, wenn er denn nicht längst so stattfindet.

Wenn das Buch den wohlwollenden und interessierten Leser an einzelnen Stellen zu provozieren vermag, so geschieht dies weniger durch die Fakten, sondern eher durch eine allzu verknappte Darstellung. Das Kapitel zu den Religionen etwa sagt grundsätzlich nichts Falsches; durch den sehr komprimierten Parforceritt durch Mittelalter, Inquisition, Hexenwahn der frühen Neuzeit etc. wirkt die Präsentation (zumindest für Lesende, die der Religion etwas abzugewinnen vermögen und in der Offenbarung nicht nur männliches Kalkül erkennen) aller Richtigkeit zum Trotz tendenziös. Sei’s drum: die Quintessenz auch dieses Kapitels bleibt treffend und wahr: Durch Sexualmoral und Höllendrohung wird etwas Schönes, Starkes und Freies wie der Sexus dämonisiert und kriminalisiert. Man denke hier an den Gegensatz von Antike und christlicher Gegenwart in Goethes Balladen.

Stoverock bietet in ihrem Buch nicht nur Analysen sondern auch Antworten auf die Frage, was anders werden muss. Wenn Frauen in Zukunft immer mehr zu ihrer Natur zurückfinden und ihre Partner frei wählen, wird die Zahl abgelehnter und unbefriedigter Männer rasant anwachsen. Schon heute stellen die „Incels“, die unfreiwillig zölibatär leben, eine große Bedrohung dar, verüben Gewalttaten an Frauen und Attentate mit vielen Opfern. Um diese Männer aus ihrer hasserfüllten Online-Parallelwelt zu holen, darf Kinder- oder Partnerlosigkeit nicht mehr als Zeichen der Schwäche oder des Versagens gelten, sondern muss in der Gesellschaft eher als der Regelfall akzeptiert werden. Zudem müssen sozial akzeptierte Wege geschaffen werden, unerfüllte Triebe zu kompensieren.

Weitere Plädoyers richten sich auf die sukzessive Lockerung tradierter Beziehungsmodelle und darauf, Mütter hinter einer „Glasscheibe“ hervorzuholen, hinter der sie sich – getrennt von der vermeintlich höherwertigen, weil monetarisierbaren (Männer-)Welt des Handels und Erwerbs – der großen und riskanten Aufgabe des Gebärens und Aufziehens, mithin der Fortpflanzung der Menschheit widmen – ungesehen, ungewürdigt und unverstanden. Auch die Forderung einer mündig getroffenen Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer monotheistischen Religion (nicht etwa durch Einflüsterungen und Rituale in der frühen Kindheit) und die wirklich konsequente Trennung von Staat (Politik) und Religion ist schlüssig. Sie macht manche Lesende vielleicht traurig, nötigt ihnen aber zweifelsohne Verständnis ab.

Die Anpassung der Gesellschaft an die sexuelle Emanzipation der Frauen ohne Chaos und Anarchie wird, auch da ist Stoverock realistisch, nicht von heute auf morgen gelingen. Sie ist eine der großen Aufgaben, vor die kommende Generationen in den nächsten Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten, gestellt sind.

Neben dem weiten Bogen und den großen Themen machen aber auch die Schilderungen interessanter Details durch die sprachbegabte Naturwissenschaftlerin den Reiz des Buches aus. Wer etwa meint, dass nur der Mensch in der Lage ist, unerfüllte Triebe anderweitig auszuleben, wird eines Besseren belehrt. Neben der Kompensation durch Notzucht an Jungtieren, wehrlosen alten oder gar bereits verendeten Artgenossen, kommen auch in der Tierwelt Artefakte (wenn auch zumeist nicht solche aus tierischer Fertigung) zum Einsatz. Trotz einer gewissen tragischen Komik ist der Tümmler, der ein Abflussrohr begattet, grundsätzlich zu bedauern. Beinahe bedauerlicher ist hier jedoch der Gedanke, wie weit sich der Mensch scheinbar von seiner Natur entfremdet hat. Nicht allein im pornografischen Film hat der Mensch durchaus Vergnügen an Artefakten, auch dann (oder gerade), wenn scheinbar durchaus paarungsbereite Angehörige der eigenen Art zugegen sind. Stoverock beschäftigt dieser Gedanke nicht, aber er drängt sich bei Ihren Schilderungen von Tieren auf Abwegen auf.

Es bleibt die klare Empfehlung zur Lektüre und zur konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit den Thesen und Schlussfolgerungen des Buches.

Allen künftig bei der Damenwahl nicht zum Zuge kommenden Beta- und Gamma-Männchen bleibt abschließend als Trost, dass die Artefakte zum Abbau der Frustration immer besser werden. Und reden kann man ja schließlich immer noch miteinander.

Titelbild

Meike Stoverock: Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation.
Tropen Verlag, Stuttgart 2021.
352 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783608504804

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch