Der Theoretiker und Ästhet der deutschen literarischen Romantik

Zum 250. Geburtstag von Friedrich Schlegel

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kulturphilosoph Friedrich Schlegel war einer der bedeutendsten Dichter der deutschen Romantik und zugleich ihr wichtigster Theoretiker und Programmatiker. Er entwarf die theoretische Konzeption der frühen romantischen Kunstpraxis; Begriffe wie „unendliche Sehnsucht“ oder „Ungebundenheit der Phantasie“ gehen auf ihn zurück. Darüber hinaus wurde sein Werk ungemein bedeutend für die vergleichende Sprachwissenschaft, mit dem er auch das Studium der orientalischen Sprachen in Deutschland begründete. Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) nannte ihn einen „rückwärts gewandten Propheten und einen auf die Zukunft fixierten Historiker“, womit er auf den Dualismus in Leben und Werk von Schlegel hinwies.

Karl Wilhelm Friedrich Schlegel wurde am 10. März 1772 als jüngstes von zehn Kindern eines lutherischen Pastors in Hannover geboren – vier Jahre nach seinem Bruder August Wilhelm (1767-1845) und im selben Jahr wie sein späterer Freund Friedrich von Hardenberg (Novalis, 1772-1801). Die Mutter war die Tochter eines Mathematikprofessors, die ganz in der Sorge für ihren Mann und die Familie aufging. Über Friedrich Schlegels Kindheit und Jugend, die er zum großen Teil bei einem Onkel und seinem ältesten Bruder Karl August Moritz (1756-1826) verbrachte, ist nur wenig bekannt. Nach einer abgebrochenen kaufmännischen Lehre in Leipzig fasste der Sechzehnjährige den Entschluss zu studieren. Das fehlende Gymnasialwissen eignete er sich im Selbststudium an. 1790 nahm er, dem Bruder August Wilhelm folgend, ein Studium der Rechte in Göttingen auf. Daneben besuchte er auch Vorlesungen über Mathematik, Philosophie, klassische Philologie und Geschichte. Im Mai 1791 ging er nach Leipzig, um dort das Studium fortzusetzen. Hier lernte er im Januar 1792 Friedrich von Hardenberg kennen, der ebenfalls Rechtswissenschaft studierte. Aus finanziellen Gründen musste Schlegel 1794 das offizielle Studium jedoch abbrechen. Er floh vor seinen Gläubigern nach Dresden, wo er bei seiner Schwester Charlotte untertauchte und sich hier in die griechischen Klassiker vertiefte. Er will der „Winckelmann der griechischen Poesie“ werden. In Dresden begann seine schriftstellerische Laufbahn mit ersten Aufsätzen über die griechische Literatur. Eine große Hilfe fand er dabei in dem Schriftsteller Christian Gottfried Körner (1756-1831), der seine Manuskripte durchsah und ihm Publikationsmöglichkeiten bot. Die wichtigste Publikation dieser Jahre war die Schrift Über das Studium der griechischen Poesie (1795/97), die nicht nur die griechische Poesie reflektierte, sondern sie auch in ein Verhältnis zur modernen Poesie ab dem Mittelalter setzte. Auf dieser Grundlage, verbunden mit einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart und einer idealen Vorstellung von einer zukünftigen Menschheitsgesellschaft, entwickelte er später seine romantische Dichtungskonzeption.

Im Dezember 1795 lud Friedrich Schiller (1759-1805) A.W. Schlegel, der seit vier Jahren Hauslehrer in Amsterdam war, zur Mitarbeit an der gerade gegründeten Literaturzeitschrift Horen ein, worauf dieser nach Jena zog. Friedrich Schlegel nutzte im Sommer 1796 diese Gelegenheit, sich mit dem Bruder wieder zu vereinigen, und verließ Dresden. Auf dem Weg nach Jena, machte er noch in Weißenfels Station, wo Hardenberg seit Jahresbeginn Akzessist bei der Salinendirektion war. Schlegels Ankunft in Jena stand allerdings unter keinem guten Stern. Noch in Dresden hatte er den Komponisten und Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) kennengelernt – einem offenen Sympathisanten der Französischen Revolution – und in dessen republikanischer Zeitschrift Deutschland eine kritische Rezension mit teilweise bissigen Bemerkungen zu Schillers Musenalmanach für das Jahr 1796 veröffentlicht. In Jena machte Schlegel zwar bald die Bekanntschaft mit Goethe, Herder und Wieland, doch das Verhältnis zu Schiller verschlechterte sich weiter, als Schlegels Angriffe auf Schiller noch schärfer wurden. In diesem Streit wurden erstmals die Differenzen zwischen der Weimarer Klassik und den jungen Frühromantikern sichtbar. Wesentlich erfreulicher war das Verhältnis mit dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), den Schlegel ebenfalls in Jena kennenlernte und mit dessen Werk er sich schon in Dresden beschäftigt hatte. Beide verband schließlich eine jahrelange Freundschaft.

Trotzdem konnte Schlegel, auch wegen der Kontroverse mit Schiller, in Jena nicht Fuß fassen. Im Juli 1797 ging er nach Berlin, wo er Redakteur von Reichardts neuer Zeitschrift Lyceum der schönen Künste wurde und seine Kritischen Fragmente (1797) veröffentlichen konnte. In Berlin fand er auch gleichgesinnte Freunde wie den Theologen Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher (1768-1834) oder den jungen Dichter Ludwig Tieck (1773-1853), der gerade mit seinen Märchendichtungen (Ritter Blaubart oder Der gestiefelte Kater) die Richtung für die romantische Prosa vorgab. In einem Berliner Salon begegnete Schlegel der acht Jahre älteren Dorothea Veit (1764-1839), Tochter des großen jüdischen Philosophen Moses Mendelsohn, die seit langem in einer unglücklichen Ehe mit dem Bankier Simon Veit (1754-1819) lebte. Es wurde der Beginn einer außergewöhnlichen Liebe: sie eine begüterte Jüdin, er ein mittelloser Pfarrerssohn und Schreiberling. Ein Affront für die Berliner Gesellschaft. Schließlich löste sich Dorothea von ihrer Familie, ließ sich scheiden und bezog eine eigene Wohnung, in der Schlegel ein und aus ging.

Da es in Berlin zu Spannungen mit Reichardt kam, verlor Schlegel mit Lyceum der schönen Künste wieder eine Publikationsmöglichkeit. So fassten die Schlegel-Brüder den Plan, mit Athenäum eine eigene Zeitschrift herauszubringen, die zum Gründungsdokument der jungen Romantiker in Deutschland wurde. Der Titel war an Athen angelehnt, der für sie symbolhaften Stadt antiker Demokratie und politischer Freiheit. Zwischen 1798 und 1800 erschienen insgesamt sechs Hefte. Mitarbeiter und Beiträger waren Dorothea Schlegel, Caroline Schlegel (1763-1809), Novalis, Ludwig Tieck, Friedrich Schleiermacher und auch der Philosoph August Ludwig Hülsen (1765-1809). Bereits in der Vorerinnerung zum ersten Heft gaben die Schlegel-Brüder Auskunft über den künftigen Inhalt und ihr Anliegen:

In der Einkleidung werden Abhandlungen mit Briefen, Gesprächen, rhapsodischen Betrachtungen und aphoristischen Bruchstücken wechseln, wie in dem Inhalte besondere Urtheile mit allgemeinen Untersuchungen, Theorie mit geschichtlicher Darstellung, Ansichten der vielseitigen Strebungen unsers Volks und Zeitalters mit Blicken auf das Ausland und die Vergangenheit, vorzüglich auf das classische Alterthum. Was in keiner Beziehung auf Kunst und Philosophie, beide in ihrem ganzen Umfange genommen, steht, bleibt ausgeschlossen, sowie auch Aufsätze, die Theile von größeren Werken sind.

Bekannt geworden ist vor allem das 116. Athenäums-Fragment, in dem Schlegel seine grundlegenden Vorstellungen zu einer Poetik der Romantik formulierte:

Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehre Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang.

Im Athenäum veröffentlichte Schlegel auch einige Gedichte. Mit diesen und auch späteren Gedichten machte er sich jedoch als Lyriker nur bedingt einen Namen. Von November 1798 bis zum Mai 1799 schrieb Schlegel seinen einzigen Roman Lucinde, der in Wahrheit ein in Versen verfasster, fragmentarischer Briefroman mit vielen Einschüben ist. Schlegel beschrieb hier eine neue, ungewöhnliche Liebesauffassung als Ideal einer romantischen Beziehung. Der junge Maler Julius ist während seiner Ausbildung auf der Suche nach der großen Liebe und nach einem erotischen Erlebnis, die seine künstlerischen Kräfte freisetzen sollen. Da begegnet ihm mit Lucinde, die ebenfalls Künstlerin ist, die erträumte und geistesverwandte Gefährtin und Verbündete.

Aber gern und tief verlor ich mich in alle die Vermischungen und Verschlingungen von Freude und Schmerz, aus denen die Würze des Lebens und die Blüthe der Empfindung hervorgeht, die geistige Wollust wie die sinnliche Seligkeit. Ein feines Feuer strömte durch meine Adern; was ich träumte, war nicht etwa bloß ein Kuß, die Umschließung deiner Arme, es war nicht bloß der Wunsch, den quälenden Stachel der Sehnsucht zu brechen und die süße Gluth in Hingebung zu kühlen; nicht nach Deinen Lippen allein sehnte ich mich, oder nach deinen Augen, oder nach deinem Leibe: sondern es war eine romantische Verwirrung von allen diesen Dingen, ein wundersames Gemisch von den verschiedensten Erinnerungen und Sehnsuchten.

Lucinde war Schlegels avantgardistischer Versuch, seine ästhetischen Vorstellungen in einem Text zu verwirklichen. Seine Absicht kam damals jedoch nicht zur Geltung, denn die Veröffentlichung löste einen handfesten Skandal aus, nicht nur wegen der Frivolität einzelner Passagen, denn jeder wusste, dass Schlegel hier seiner wilden Ehe zu Dorothea Veit ein Denkmal setzte. Für Schiller war der vielgeschmähte Roman ein „Gipfel moderner Unform und Unnatur“; erst Schleiermacher versuchte – allerdings vergeblich – in seinen Vertrauten Briefen über Lucinde (1800) Schlegel zu verteidigen.

Im September 1799 ging Schlegel wieder nach Jena zurück, in der Hoffnung an der Universität eine Professur zu erhalten, was jedoch fehlschlug. Einen Monat später folgte Dorothea mit ihrem Sohn Philipp (1793-1877). Nachdem auch Tieck mit seiner Frau sowie Fichte nach Jena kamen und Novalis aus Weißenfels dazustieß, war im Spätherbst der Freundeskreis der sogenannten „Jenaer Romantik“ versammelt. Da auch sein Bruder August Wilhelm und der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) an der Jenaer Universität lehrten, hatten sich hier (neben Berlin) die führenden Köpfe der Frühromantik zusammengefunden. Clemens Brentano (1778-1842), der in Jena studierte, suchte ebenfalls den Kontakt zu diesem Kreis und wurde so zu seinen ersten Werken angeregt. Die zwei folgenden Jahre sollten ein Höhepunkt des frühromantischen und philosophischen Schaffens werden: u.a. mit Heinrich von Ofterdingen (Novalis), Florentin (D. Schlegel), Die Bestimmung des Menschen (Fichte), Romantische Dichtungen (Tieck) oder Über den wahren Begriff der Naturphilosophie und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen (Schelling). Nach 1801 löste sich die Gruppe jedoch langsam auf. Das hatte verschiedene Gründe: die Enttäuschung über die französische Revolution, die mit der Machtübernahme Napoleons endete, der Tod von Novalis am 25. März 1801, das fehlende Interesse, Athenäum fortzusetzen, und letztendlich auch die zahlreichen Zerwürfnisse zwischen den Mitgliedern.

Nach der Auflösung des Freundeskreises und der gescheiterten Hoffnung auf einen Lehrstuhl an der Universität Jena waren die Jahre bis 1808 für Schlegel eine Zeit der unsteten Wanderschaft. Im April 1801 folgte er zunächst seinem Bruder nach Berlin, wo sein einziges Theaterstück Alarcos (1802) entstand. Trotz der Weimarer Uraufführung durch Goethe im selben Jahr, geriet das Stück bald in Vergessenheit. Anfang 1802 brach Schlegel dann mit Dorothea nach Paris auf, wo er hoffte, aus seiner prekären finanziellen Lage herauszukommen. Unterwegs hatte er in Leipzig noch einen Vertrag für eine neue Zeitschrift Europa abgeschlossen. In seinem programmatischen Aufsatz „Reise nach Frankreich“, erschienen in der ersten Europa-Ausgabe, entwickelte Schlegel bereits seine neuen ästhetischen Ziele, indem er zwischen der deutschen und französischen Kultur vermitteln wollte. Er widmete sich dem Mittelalter, der Indologie und entwarf ein Orientbild, an dem sich Deutschland orientieren sollte. In der Hinwendung zum Katholizismus nahmen seine Anschauungen allerdings stark religiöse Züge an. Neben den zahlreichen Europa-Aufsätzen (u.a. Beiträge zur Geschichte der europäischen Literatur) hatte Schlegel in Paris vor allem an seiner dreibändigen Lessing-Ausgabe Lessings Gedanken und Meinungen (1804) gearbeitet. Im April 1804 heirateten Friedrich und Dorothea, die vorher zum Protestantismus übergetreten war. Kurz danach verließen sie Paris und gingen nach Köln, wo man Schlegel Aussicht auf eine akademische Laufbahn machte. In Köln, das wie das gesamte Rheinland von französischen Truppen besetzt war, sah Schlegel das ideale Bild einer mittelalterlichen Stadt. Die Kölner Jahre waren angefüllt mit einer umfangreichen Vorlesungstätigkeit sowie der Beschäftigung mit mittelalterlichen Bauwerken, die ihren Niederschlag in Grundzüge der gotischen Baukunst (1804/05) fand. Schlegels Schrift war neben Goethes Aufsatz Von deutscher Baukunst (1773) die wichtigste Arbeit der damaligen Zeit zu gotischen Kathedralen. Außerdem vollendete er in Köln seine Schrift Über Sprache und Weisheit der Inder (1808), die er bereits in Paris begonnen hatte und in der er auf den reichen Schatz der fernöstlichen Mythologie und Dichtung hinwies.

Im April 1808 konvertierte Schlegel gemeinsam mit Dorothea zum Katholizismus. Kurz danach ging Schlegel nach Wien, wo sich sein Bruder am kaiserlichen Hof für ihn eingesetzt hatte. Dorothea konnte erst im Herbst nachkommen. Schlegel erhielt endlich eine feste Stelle als k. k. Hofsekretär bei der Armee-Hofkommission, wo er bald mit der Herausgabe einer Armeezeitschrift betraut wurde. Als Napoleon Wien besetzte, folgte Schlegel der geschlagenen österreichischen Armee nach Ungarn. Erst nach dem Frieden von Schönbrunn konnte er Anfang 1810 nach Wien zurückkehren, wo er seine Vorlesungen Über die neuere Geschichte hielt, die 1811 als Buch erschienen. Danach widmete sich er vorrangig der Herausgabe seiner dritten Zeitschrift, dem Deutschen Museum (1812/13). Nach der Niederlage Napoleons wurde Schlegel mit weiteren diplomatischen Aufgaben betraut, auch als Legationsrat der österreichischen Gesandtschaft beim Deutschen Bundestag in Frankfurt am Main. Für seinen propagandistischen Einsatz für die katholische Kirche ernannte ihn Papst Pius VII. 1814 zum „Ritter des päpstlichen Christusordens“. Von da ab benutzte er seinen adligen Titel, den die Familie ein Jahrhundert lang nicht verwendet hatte. Nach Differenzen mit Fürst Metternich wurde Schlegel allerdings im September 1818 aus Frankfurt abberufen; damit war seine politische Karriere beendet – abgesehen von einer Begleitung von Kaiser Franz I. während einer mehrmonatigen Italien-Reise im Jahr 1819.

Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte Schlegel zurückgezogen in Wien. Er verfasste eine Fülle von Schriften und Abhandlungen zu den unterschiedlichsten Themen – über Philosophie, Theologie, Politik, Geschichte sowie über Literatur- und Kunstgeschichte. Zur Veröffentlichung dieser Beiträge gründete er die Zeitschrift Concordia (1820-1823), die jedoch wegen ihrer reaktionären Tendenz zum Bruch mit den Romantikern führte. Auch bei seinem Bruder stieß sie auf heftige Kritik, was sogar zur öffentlichen Distanzierung führte. Von 1822 bis 1825 widmete sich Schlegel der Edition seiner Sämtlichen Werke in zehn Bänden. Für dieses Unternehmen überarbeitete er frühere Arbeiten und tilgte darin vor allem revolutionäre Ansichten. Andere Texte wurden weggelassen, wie die Athenäum-Fragmente oder der Roman Lucinde, mit denen er sich nicht mehr identifizieren wollte. Ende der 1820 hielt Schlegel in Wien noch einmal Vorlesungszyklen. Philosophie des Lebens (1828) und Philosophie der Geschichte (1828) konnte er dabei noch abschließen und in Buchform veröffentlichen, während Philosophie der Sprache und des Wortes unvollendet blieb. Mit diesen Vorlesungszyklen trat er auch in anderen Städten auf. Bei einem Vortragsaufenthalt in Dresden starb er am 12. Januar 1829 nach einem schweren Schlaganfall. Zwei Tage später wurde er auf dem Alten Katholischen Friedhof der Stadt beerdigt.

Die Biografie Friedrich Schlegels zeigt, dass er einer der widersprüchlichsten Vertreter der deutschen Literatur war. Der Befürworter der Ideen der Französischen Revolution trat nach seiner Konversion politisch ins andere Lager über, indem er die Machtpolitik Metternichs unterstützte. Die einstige Emanzipation der Sinnlichkeit (in Lucinde) wurde später durch eine höchste sittliche Würdigung der Ehe verdrängt. In seinem philosophischen Denken vollzog sich ebenfalls ein Wandel vom Idealismus Fichtes zu einer spirituell-christlichen Erneuerung. Diese geistigen Neuausrichtungen taten seiner literarischen Schaffenskraft jedoch keinen Abbruch. Mit seinen späten Vorlesungszyklen erhob Schlegel die Literaturgeschichte zur Wissenschaft.

Diese Kontraste bestimmten auch die Rezeptionsgeschichte seines Werkes, die stets geprägt war von den ideologischen Ansichten und Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Seit den 1950er Jahren steht die Friedrich-Schlegel-Forschung ganz im Zeichen der Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe (KFSA), die 1958 von Ernst Behler (1928-1997) unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner begonnen und von Andreas Arndt fortgesetzt wurde. 2007 übernahm Ulrich Breuer die Hauptherausgeberschaft, der die Arbeit – unter Würdigung seiner Vorgänger und in Kooperation mit weiteren Experten auf dem Gebiet der Schlegel-Edition und Schlegel-Forschung – fortsetzte und vorantrieb. Die KFSA gliedert sich dabei in die vier Abteilungen Kritische Neuausgabe, Schriften aus dem Nachlass, Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel und Editionen, Übersetzungen, Berichte. Von den geplanten 35 Bänden im Schöningh Verlag sind inzwischen 29 erschienen.

Von den belletristischen Verlagen wird Schlegel eher seltener herausgegeben. Das liegt auch daran, dass Schlegel – abgesehen von seinem Roman Lucinde und einigen Gedichten – vorrangig als Theoretiker aufgetreten ist. Im Reclam Verlag erschien 2020 eine Lucinde-Studienausgabe, die der Erstausgabe von 1799 (mit einem Reprint des historischen Covers) mit allen orthographischen Eigenheiten und Inkonsequenzen folgt; lediglich an einigen Stellen wurde korrigierend eingegriffen. In seinem Nachwort beleuchtet der Herausgeber und Literaturwissenschaftler Stefan Knödler neben der Entstehungsgeschichte und dem Werkkontext ausführlich die verschiedenen Formen des Romans. Zwar war es zur damaligen Zeit durchaus üblich, in einen Roman „allerlei Digressionen und Einlagen einzufügen“, doch Schlegel war viel radikaler vorgegangen. So finden sich in Lucinde verschiedene Formen (Brief, Abhandlung, Essay, Aphorismus, Lyrik und Dialog), Traditionen, Stoffe und Denkformen. Auf dem Titelblatt der Erstausgabe befand sich außerdem die Angabe „Erster Theil“, der eine Fortsetzung suggerierte, die es aber nie gab, obwohl sich Schlegel durchaus mit den Möglichkeiten einer Fortsetzung beschäftigt hatte. Abschließend widmet sich Knödler dem autobiografischen Hintergrund des Romans und dem Anliegen Schlegels, dem es um „eine Neukonzeption der Liebe und – davon kaum zu trennen – um eine Neukonzeption der Ehe“ ging. So ist vieles von dem, was Schlegel hier gestaltet, „in der Partnerschaft von Friedrich und Dorothea oder in den Ehen von Caroline mit August Wilhelm Schlegel bzw. mit Schelling“ verwirklicht. Ein ausführlicher Stellenkommentar erschließt zudem das romantische Kunstwerk.

Titelbild

Friedrich Schlegel: Lucinde. Ein Roman.
Studienausgabe. Hg. und mit einem Nachwort von Stefan Knödler.
Reclam Verlag, Stuttgart 2020.
182 Seiten , 5,80 EUR.
ISBN-13: 9783150196595

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