Mangel an Feingefühl

Von Ulrich GreinerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Greiner

Das ist ja ein Ding: Die Staatsdichterin der DDR soll vom Staatssicherheitsdienst der DDR überwacht worden sein? Christa Wolf, die Nationalpreisträgerin, die prominenteste Autorin ihres Landes, SED-Mitglied bis zum letzten Augenblick, ein Opfer der Stasi? Sie berichtet es uns in ihrer neuen Erzählung. „Ende der siebziger Jahre“, so teilt der Verlag uns mit, sei sie „wochenlang“ überwacht worden. Aufgeschrieben habe sie den Text 1979, überarbeitet „im Herbst 1989“. Wann genau? In diesem Herbst ist viel passiert, da kommt es auf das Datum an. Christa Wolf ist ein bißchen genauer. Am Ende der Erzählung steht: Juni-Juli 1979/November 1989.

Nun gut. Was will die Dichterin uns damit sagen? Will sie sagen: Die Stasi war so blöde, daß sie sogar eine Staatsdichterin bespitzelt hat? Oder will sie sagen: Seht her, ihr armen, von der Stasi um Ansehen und Zukunft gebrachten Mitbürger und ehemaligen Genossen, auch ich wurde überwacht, auch ich war ein Opfer, ich bin keine Staatsdichterin, ich bin eine von euch?

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