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Karl-Josef Müller schrieb uns am 19.01.2025
Thema: Dirk Kaesler: Es geht nicht um Sex. Es geht um Macht und Gewalt Eine soziologische Klärung zum Fall Pelicot
Beginne wir mit zwei Sätzen:
"Dass man Frauen nicht zu Sex zwingt und sie dabei verletzt. Das ist eigentlich ein Verhalten, das man – ohne dass von Sex geredet werden muss – im Kindergarten lernt."
Wie kommt man zu einem solchen Vergleich? Kann man ernsthaft all das, was dem Opfer widerfahren ist, in irgendeine Beziehung setzen zur Erziehung von Vorschulkindern? "Ein Verhalten, das man (...) im Kindergarten lernt." Die Logik dieses Satzes, wollte man ihn ernst nehmen, wäre, dass die Täter im Kindergarten falsch erzogen wurden.
Was hier als "Rätsel des Lebens" ausgegeben wird, mag ein Rätsel sein, eine "soziologische Erklärung", wie versprochen wird, kann ich in diesem Text nicht finden. An seine Stelle tritt eine allgemeine Aufgeregtheit, die niemandem hilft und schon gar nicht dazu beiträgt, irgendetwas an dem Geschehenen zu verstehen. Wer wollte die folgende Aussage bezweifeln:
"Er zeigt wie in einem Bühnenstück in sehr hellem Licht, um was es in dieser Art gewaltsamer, erzwungener Begegnung geht: um Machtausübung durch Männer. Um Niederwerfung von Frauen. Um physische und seelische Folter."
Ja, genau so ist es, eine andere Frage allerdings ist, ob und wie sich all das erklären lässt. Dieser Text reiht eine Selbstverständlichkeit an die nächste und tut so, als ob nun aber endlich die Wahrheit auf den Tisch käme.
Und dann der Vergleich mit Thilo Mischke. Erneut: Dieses Thema wurde bereits durchs Dorf getrieben, die Details sind bekannt und, ja, sie sind skandalös. Welche Fragen sind noch offen? Für mich vor allen Dingen die eine Frage: Wie kann es sein, dass es nicht allein, aber wohl vor allem Frauen in leitenden Positionen waren, die Herrn Mischke für ttt gewinnen wollten - hatte er sich doch entschuldigt für seine 'Jugendsünden'. Vielleicht spielt mir mein Gedächtnis ja einen Streich, aber so war es doch wohl: Es waren - auch - Frauen, die sich an den Gedankenspielen des Herrn Mischke nicht störten. Das klingt sehr nach Seilschaften und wirft die Frage auf, wie in unseren öffentlich rechtlichen Medien solcherart Entscheidungen zustande kommen. Wer beaufsichtigt die Aufsichtsräte, welche Gremien nicken ab oder werden übergangen?
Bleibt die Frage, was es bedeutet und ob es redlich ist, den Fall Mischke mit dem Fall Gisèle Pelicot in eine so enge Beziehung zu setzen. Man muss Herrn Mischkes Frauenbild nicht verteidigen, wenn man darauf hinweist, dass zwischen Worten und Taten unterschieden werden sollte. Erneut werden Selbstverständlichkeiten aneinandergereiht, den dann folgenden Optimismus allerdings kann ich nicht teilen:
"Wir sorgen uns nicht um den 'Rufschaden', den der 43jährige nun durch seine 'Jugendsünden' erleidet, sondern wir freuen uns über die Tatsache, dass lautstarker und öffentlicher Protest etwas bewirkt. Das gibt auch uns Hoffnung. Ebenso wie es uns Hoffnung gemacht hat, dass es Menschen wie Thibaut Rey gibt."
Wäre, wenn es ums Vergleichen gilt, der 7. Oktober 2023 nicht der naheliegendere gewesen - von besser zu sprechen, wäre zynisch? Natürlich ist es gut, dass es "Menschen wie Thibaut Rey gibt", und ebenso ist es zu begrüßen, dass Herr Mischke und ttt nun doch getrennte Wege gehen. Aber das haben wir doch alle gewusst, oder etwa nicht, und ich kann nur sagen, dieser Text ist einer der Empörung, der freier Lauf gelassen wird, aber keiner der Erkenntnis, und schon gar nicht einer soziologischen.
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Karl-Josef Müller schrieb uns am 09.01.2025
Thema: Dennis Borghardt: „Anders als das Leben ist der Tod eine einfache Sache“ Heinz Strunk behandelt in „Zauberberg 2“ Körperliches und Allzu-Seelisches
Am 7. Februar wird unser Sohn seinen Geburtstag feiern, und nun haben wir auch eine Geschenkidee für ihn, dank der schönen Besprechung von Dennis Borghardt. Denn unser Sohn mag die Bücher von Heinz Strunk, übrigens auch die von Charles Bukowski. Und natürlich freuen wir uns auch darauf, den Roman selbst lesen zu können - nach unserem Sohn, selbstredend. Also nochmals vielen Dank für den schönen Tipp, Herr Borghardt, wir freuen uns auf weitere.
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Karl-Josef Müller schrieb uns am 13.12.2024
Thema: Conrad Kunze: Deal mit dem Teufel Der Historiker Daniel Marwecki stellt in seinem Buch „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ eben jene vom Kopf auf die Füße
Folgende Passage der Rezension hat mich veranlasst, die Rede von Friedrich Merz zu lesen, im Internet abrufbar unter
https://de.openparliament.tv/media/DE-0200104004?a=media&id=DE-0200104004&personID=Q2492&context=NER&sort=date-desc&lang=en
"Etwas subtiler, aber noch immer im Geiste eines narzisstischen Entlastungswunsches sprach Friedrich Merz anlässlich des 75. Jahrestages der israelischen Staatsgründung über das „Märchen“ des Theodor Herzl, seinen Traum eines eigenen jüdischen Staates. Im Leid von Pogrom und Holocaust bis Unabhängigkeitskrieg und Nakba erkannte Merz eine „beispiellose demokratische Erfolgsgeschichte (…) die auch auf Deutschland zurückscheint“. Fatalerweise wirkt bei Merz der Holocaust wie ein notwendiges Opfer, das schließlich nach „dem Weg durch die Hölle“ mit dem eigenen Staat belohnt wurde."
Ich zitiere die Passage, in der von Herzls Märchen die Rede ist:
"Herzls Märchen wurde erst verspottet, dann bekämpft, und schließlich wurde es wahr. Aus seiner Vision ist eine beispiellose demokratische Erfolgsgeschichte geworden. Wir gratulieren dem Staat Israel und seinen Bürgerinnen und Bürgern heute, zwei Tage vor dem eigentlichen 75. Jahrestag, zu dieser Staatsgründung von ganzem Herzen."
Nicht gefunden habe ich folgende Passage "beispiellose demokratische Erfolgsgeschichte (…) die auch auf Deutschland zurückscheint“
Ich bin gerne bereit, mich eines Besseren belehren zu lassen. Ich kann in der Rede von Friedrich Merz den Geist "eines narzisstischen Entlastungswunsches" nicht erkennen, das mag an meiner intellektuellen Unfähigkeit liegen. Was ich sehr wohl erkennen kann ist, dass - wie gesagt, die Autoren dürfen mich korrigieren - ein Zitat den Eindruck erweckt, es sei Merz gewesen, der gesagt habe, dass die beispiellose demokratische Erfolgsgeschichte Israels auf Deutschland zurückscheint. Eine andere Erklärung wäre, dass es sich um ein Zitat von Daniel Marwecki handelt, der wiederum nicht unterscheidet zwischen den Worten von Friedrich Merz und seiner Deutung dieser Worte.
Weiterhin fällt es mir schwer, folgende Charakterisierung der Merz-Rede nachzuvollziehen:
"Merz kommt das Verdienst zu, hier einmal mehr unverblümt das Verhältnis von Bundesrepublik und Israel deutlich ausgesprochen zu haben."
Haben die Autoren der Rezension sich die Mühe gemacht, die Merz-Rede zu lesen - oder haben sie sich auf die Ausführungen von Herrn Marwecki verlassen. Ich bin lernbereit und freue mich bereits auf die Erläuterungen, sodass mein beschränkter intellektueller Horizont erweitert wird.
Noch eine abschließende Frage: Was genau ist gemeint mit der Formulierung:
"Deutschland in Gestalt der bis an die Oder expandierten Bundesrepublik habe im Jahr 2023, wie Marwecki schreibt, „im Nahen Osten zu sich selbst gefunden.“ Hier fände die BRD seit dem Sechstagekrieg und seither immer wieder eine Sorte Juden bestätigt, die sie achten, ja sogar verehren konnte – stark, militaristisch, zupackend und nicht zuletzt gegen ihre Feinde brutal bis zum Kriegs- und Menschheitsverbrechen."
Ich wage es, eine Vermutung anzustellen. Gemeint ist der 7. Oktober, und wenn dem so ist, dann bedeutet der Satz folgendes: Die BRD - warum nicht Deutschland, na ja, ich verstehe halt nicht alles - ist begeistert von der militärischen Stärke Israels. Und dann eine Steigerung der "militaristischen" Handlungen der israelischen Armee, bis hin "zum Kriegs- und Menschheitsverbrechen". Bleibt die Frage, wo hier vom Massaker an israelischen Bürgern die Rede ist. Ich beantworte sie: an keiner Stelle der Rezension
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Stephan Wolting schrieb uns am 10.12.2024 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Stephan Wolting: Der bescheiden hermetische Aufklärer der Bundesrepublik Das Werk „Es müsste etwas besser werden“ von Stefan Müller-Doohm und Roman Yos über Jürgen Habermas zeigt einmal mehr die Schwierigkeit der Vermittlung von berühmtesten Philosophen Deutschlands
Sehr geehrter Herr Müller,
ich habe Ihre Kritik an meiner Besprechung und den Verweis auf die Rezension von Mark Siemons erhalten, und war doch einigermaßen erstaunt. Selbst konzedierend, dass der Ukraine-Krieg zurzeit eines DER gesellschaftlichen Themen ist, so taucht das Thema in dem von mir besprochenen Buch in nur geringem Umfang auf.
Ich kann Ihnen, sobald ich von meiner Gastprofessur zurück bin, weshalb mir das Werk zurzeit nicht vorliegt, die Seiten nennen, deshalb überrascht es mich umso mehr, dass sowohl in ihrer Mail als auch in der Rezension dem eine so exponierte Stellung eingeräumt wird.
Natürlich habe ich mir bei Abfassen der Rezension diese Gedanken selbst auch gemacht. Aber: Schon allein das quantitative Element der Anzahl der Seiten, entkräftet Ihr Argument. Sie können sich gerne bei der Lektüre des Werks selbst davon überzeugen (sie beziehen sich ja dabei nicht auf das Werk, sondern auf die andere Rezension), sonst kann ich Ihnen, falls gewünscht, nach meiner Rückkehr die Seiten genau nennen. Und ein Hinweis auf den Zusammenhang des Denken Habermas und seiner Haltung, was den Ukrainekrieg betrifft, lässt sich in dem Werk ebensowenig finden. So kann ich Ihre Kritik nicht nachvollziehen und nur zurückweisen,
mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Stephan Wolting
PS: Hach meiner Rückkehr, wenn ich die Seiten genau abgeglichen habe, werde ich dann meine explizite Replik an literaturkritik.de senden.
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Karl-Josef Müller schrieb uns am 04.12.2024
Thema: Stephan Wolting: Der bescheiden hermetische Aufklärer der Bundesrepublik Das Werk „Es müsste etwas besser werden“ von Stefan Müller-Doohm und Roman Yos über Jürgen Habermas zeigt einmal mehr die Schwierigkeit der Vermittlung von berühmtesten Philosophen Deutschlands
"Ein Moment des Schreckens" titelt Mark Siemons seine Besprechung der Gespräche, die Stefan Müller-Doom und Roman Yos mit Jürgen Habermas geführt haben. Dem eigentlichen Text vorangestellt wird der Schwerpunkt seiner Überlegungen:
"Jürgen Habermas bleibt bei seiner Kritik am Ukrainekrieg. Ist das Denken, für das er steht, durch die Zeitenwende hinfällig geworden? Ein großes Interview über sein Lebenswerk (...) legt das Gegenteil nahe."
Was in dieser Rezension das Zentrum bildet, taucht bei Stephan Wolting in einem einzigen Satz auf:
"Eingegangen wird auch auf seine jüngsten politischen Äußerungen zum Ukraine-Krieg, für die er hat viel Kritik einstecken müssen."
Offen bleibt die Frage, wofür Habermas Kritik hat einstecken müssen. Doch während Wolting, man möchte fast sagen: weniger als beiläufig, auf die Äußerungen von Habermas zum Ukrainekrieg eingeht, stellt Mark Siemons sie in den Mittelpunkt seiner Überlegungen:
"Die Beharrlichkeit des Philosophen in dieser Sache kann kaum überbewertet werden." Mit der Sache ist der Ukrainekrig gemeint. Weiter: "Sie ist ja nicht einfach eine Meinung wie jede andere, sondern ist (...) aufs Engste mit einem Theoriegebäude verknüpft, das für die alte Bundesrepublik und deren Perspektive für die Zukunft stand. Die Frage nun ist: Ist dieser Denktypus angesichts des Ernstfalls eines Krieges, der direkten Bedrohung durch einen skrupellosen Aggressor, hinfällig geworden?"
Habermas wirft dem Westen vor, durch die Waffenlieferungen den Krieg lediglich zu verlängern und zu ermöglichen, eine Haltung, der sich Siemons, wenn wir ihn richtig verstehen, anzuschließen scheint:
"Es sieht so aus, als würde die eingangs genannte Kritik an Verhandlungsforderungen wie ein Abwehrmechanismus gegen jedes weitere Nachdenken funktionieren: Wenn nur festgestellt ist, dass Russland der Aggressor und eine echte Bedrohung auch für den Westen ist, gilt offenbar nur noch die Frage, wie viele Waffen man zur Unterstützung der Ukraine liefern soll, als moralisch legitim."
Was nun hat die Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine mit der Philosophie von Habermas zu tun? Es ist, und das wird in der Besprechung von Wolting unserer Ansicht nach nicht deutlich, die Frage, ob Habermas' Glaube an die Vernunft, an die Macht des Diskurses, an die Möglichkeit eines rationalen Gespräches - herrschaftsfrei - noch einen Rückhalt in der historischen Wirklichkeit hat. Wer ist das Wir, von dem Habermas spricht, ist der Diktator im Osten ein Teil dieses Wir, lassen sich die Potentaten dieser Welt beeindrucken von einer Theorie des kommunikativen Handelns? "'Wir sind es, die uns zusammenrappeln müssen!'" Ist es nicht naiv, von Habermas wie von Mark Siemons, der sich dem Philosophen anschließt, zu hoffen, dass China "eines Tages die Vernünftigkeit einer Menschenrechtsordnung erkennt, 'die der Menschheit im Ganzen gehört.'" Nochmals abschließend Siemons: "Das ist ein überraschender Ausblick, für den es momentan leider wenig Anhaltspunkte gibt." Gerne würde ich diesen Rest Hoffnung teilen, aber es fällt mir zunehmend schwer.
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Karl-Josef Müller schrieb uns am 19.10.2024
Thema: Rolf Löchel: Ein Plädoyer für Besonnenheit und Mäßigung Ron Leshems Essay „Feuer. Israel und der 7. Oktober“ bietet eine teils schwer erträgliche, insgesamt jedoch notwendige Lektüre
Unantastbar soll sie sein, die Würde des Menschen. Dass diese Würde nur zu oft verletzt wird, wer wollte das bestreiten.
Zu sagen, die Würde der Getöteten und Entführten vom 7. Oktober 2023 wurde verletzt, klingt angesichts dessen, was geschehen ist, beinahe wie eine Lüge. Doch ist es geboten und angemessen, die Gräuel, die den Opfern angetan wurden, in all ihren unausdenkbaren Einzelheiten sprachlich auszubreiten? Was ist dadurch gewonnen? Nichts ist gewonnen, denn wer Ohren und Augen hat zu hören und zu sehen weiß, dass diesen Menschen Unsägliches geschehen ist. Unsägliches eben, nämlich etwas, das man nicht aussprechen sollte, nicht, um es zu verschweigen, sondern um die Opfer nicht nochmals ihrer Würde zu entblößen vor aller Öffentlichkeit. Hier geht es nicht um Triggerwarnungen, sondern um so etwas wie Scham und Mitleid. Wir werden, ob wir wollen oder nicht, durch solcherart Darstellungen zu Voyeuren. Niemand hat die Opfer gefragt, ob sie damit einverstanden sind, in ihrem unsäglichen Leid - nochmals sei es so genannt - ans Licht einer wie auch immer gearteten Öffntlichkeit gezerrt zu werden.
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Günter Rinke schrieb uns am 04.09.2024
Thema: Gertrud Nunner-Winkler: Weltverlust oder Realitätsgewinn? In ihrem Band „Mensch ohne Welt. Eine Soziologie spätmoderner Vergesellschaftung“ präsentiert Alexandra Schauer eine komplexe Integration zeitgenössischer Gesellschaftsanalysen
Diese höchst informative, fundierte, zu eigenem Nach- und Weiterdenken anregende Rezension habe ich mit Gewinn gelesen.
Herzlichen Dank dafür!
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