Nachwort (1994)

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Als diese kommentierte Dokumentation im Dezember 1991 erschien[1], war der Streit um Christa Wolf vorläufig abgeschlossen. Seit dem 19. Oktober 1991, als Wolf Biermann in seiner Büchner-Preisrede den Lyriker Sascha Anderson aus der anarchischen Avantgardeszene des Prenzlauer Berges öffentlich der Stasi-Mitarbeit beschuldigte, wurde jene Kontroverse in den Medien ersetzt durch immer neue Enthüllungen zur Beziehung zwischen DDR-Autoren und Staatssicherheitsdienst.[2] Eine Fortführung der Christa-Wolf-Debatte war dies insofern, als es weiterhin um das große Thema ,Geist und Macht‘ ging. Wieder wurde dabei ein Stück DDR-Kultur entwertet, das, wenn auch bei einem exklusiveren Publikum, vormals im Westen hohes Ansehen genoß. Und wiederum wurde auf dem Gebiet der Literatur stellvertretend über Probleme der „Vergangenheitsbewältigung“ gehandelt, die ähnlich auch die Repräsentanten der Kirche, Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft betrafen oder zumindest hätten betreffen können. Dennoch unterschieden sich die Diskussionen über die Fälle Sascha Anderson oder Rainer Schedlinski von der über Christa Wolf erheblich. Die kritischen Fragen bekamen jetzt eine geradezu kriminalistische Konkretheit: Hatte dieser oder jener Schriftsteller mit der Stasi kollaboriert, Freunde bespitzelt, Berichte über sie geliefert und ihnen damit geschadet?[3] Zum anderen bezogen sie sich auf einen Kreis von Autoren, die längst nicht die Prominenz und den Rang von Christa Wolf haben und die eine gänzlich andere Ästhetik repräsentieren. Von dem Verdikt einer „Gesinnungsästhetik“ gegen eine politisch oder moralisch engagierte Literatur jedenfalls waren die experimentellen Texte des Prenzlauer Berges, die mit ihrem avancierten poststrukturalistischen Hintergrund (Foucaults Macht- und Diskurs-, Baudrillards Simulations- oder Derridas Dekonstruktionstheorien) manchen westdeutschen Kritiker in Erstaunen versetzt hatten, nicht tangiert.[4] In Frage stand im Wissen um die Stasi-Verwicklungen der Boheme vom Prenzlauer Berg eher der subversive, machtkritische Anspruch avantgardistischer Techniken und Traditionen.

Auf dem Höhepunkt der erregten Stasi-Debatten geriet indes, nach Heiner Müller, erneut Christa Wolf ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Am 21. Januar 1993 informierte sie selbst in der Berliner Zeitung unter dem Titel Eine Auskunft die Öffentlichkeit über die Beziehungen zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit und ihr: „Die Vorgänge um Heiner Müller sind der letzte Anstoß für mich, diesen Artikel zu schreiben, über den ich seit einigen Monaten nachdenke: seit dem Mai vorigen Jahres, als mein Mann und ich unsere Stasi-Akten einsehen konnten. Wir sahen uns mit 42 Bänden konfrontiert, allein für die Zeit zwischen 1968 und 1980 – die Akten über·die letzten zehn Jahre scheinen vernichtet zu sein.“[5] Bei der Akteneinsicht erfuhren Christa und Gerhard Wolf, „daß wir seit 1968 als ,Operativer Vorgang‘ ,Doppelzüngler‘ minutiös observiert wurden, daß wir von einem Netz von ,IM’ (Informellen Mitarbeitern) umgeben waren, [ … ] daß natürlich unser Telefon, zeitweilig auch die Wohnung abgehört, die Post ausnahmslos geöffnet und zum Teil abgelichtet wurde“ und „daß man jedes einzelne meiner Bücher von anscheinend germanistisch gebildeten IM ,begutachten‘ ließ, die in grotesken ,Analysen‘ eine ständig wachsende Staatsfeindlichkeit konstatierten.“ Diese Akten bestätigten und konkretisierten, was Christa Wolf schon vorher wußte und worüber sie in Was bleibt bereits erzählt hatte. Entlastend waren sie im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Literaturstreit auch insofern, als sie einmal mehr das im Vorfeld des Streits von Marcel Reich-Ranicki im November 1987 aufgegriffene Gerücht (siehe S. 35 in diesem Band; vgl. auch S. 31 f.) entkräfteten, sie habe ihre Unterschrift unter den Protest gegen die Ausbürgerung Biermanns zurückgezogen. Dieses Gerücht wurde von der Stasi gezielt in Umlauf gebracht, um die protestierende Autorengruppe in sich zu spalten. Die Aktennotiz, auf die sich Christa Wolfs „Auskunft“ darüber bezieht, wurde mittlerweile veröffentlicht und lautet: „In Realisierung der mit der Partei abgestimmten Differenzierungsmaßnahmen wurde erreicht, daß die im Zusammenhang mit der Ausbürgerung Biermanns in Erscheinung getretenen aktivsten feindlichen Kräfte keinen einheitlichen feindlichen Block gegen die Politik der Partei bilden konnten. Der unterschiedliche Ausgang der Parteiverfahren gegen Christa Wolf (strenge Rüge, Verbleiben in der Partei) und Gerhard Wolf (Ausschluß aus der Partei), unterstützt durch von inoffiziellen Quellen ausgesprochene gezielte Vermutungen über mögliche interne Zustimmungserklärungen Christa Wolfs zur Politik der Partei, brachten vor allem Christa Wolf bei einem Teil der übrigen Erstunterzeichner teilweise Mißtrauen ein. […] Durch diese abgestimmten differenzierten Maßnahmen und im Ergebnis der Beeinflussung von Christa und Gerhard Wolf durch inoffizielle Kräfte (,Günter‘, ,Anton‘, ,Hans‘) wurden Christa und Gerhard Wolf von offenen feindlichen Aktivitäten im Zusammenwirken gegen die DDR mit äußeren feindlichen Kräften abgehalten.“ Der Bericht endet mit einer Einschätzung, die geeignet sein müßte, die spätere Etikettierung der Autorin „als DDR-Staatsdichterin“ (siehe S. 35 in diesem Band) zumindest zu irritieren: „Aufgrund ihrer verfestigten negativen Haltung zur praktischen Verwirklichung des Sozialismus in der DDR hat sich andererseits bei Christa und Gerhard Wolf eine politische Haltung herausgebildet, die eindeutig auf eine Konfrontation mit der Politik der Partei in entscheidenden Fragen des gesellschaftlichen Lebens hinausläuft.“ (Akteneinsicht, S. 287 f.)

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