Nachwort

(1990)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Als ich am 21. Juli 1958 auf dem Hauptbahnhof Frankfurt am Main aus dem Zug stieg, wußte ich, daß in diesem Augenblick ein neues Kapitel meines Lebens begann. Aber ich hatte keine Ahnung, was mir bevorstand. Gekommen war ich aus Warschau, wohin man mich Ende Oktober 1938 aus Berlin deportiert hatte. Was suchte ich in Frankfurt? Zunächst einmal die Literatur. In der Tat, so war es: Ich sollte mich mit der zeitgenössischen westdeutschen Literatur vertraut machen. Dies jedenfalls war der offizielle Zweck der mir von den polnischen Behörden nach langwierigen Bemühungen schließlich doch genehmigten Reise in die Bundesrepublik.

Mein polnischer Paß war sieben Monate gültig, der deutsche „Einreisesichtvermerk“ in diesem Paß war auf nur neunzig Tage beschränkt. So durfte ich auch nicht allzu viel Gepäck haben: Es bestand aus einem mittleren Koffer mit Kleidungsstücken, einer ziemlich schweren Aktentasche mit Papieren verschiedener Art, einigen Büchern und einer alten und klapprigen Reiseschreibmaschine, die sowohl von dem polnischen Zollbeamten als auch von einem DDR-Beamten (mein Weg führte mich über Berlin) sorgfältig in meinen Paß eingetragen wurde („Marke Triumph“). Größeres Gepäck hätte mich vielleicht verraten. Denn ich hatte nicht die geringste Absicht, dorthin zurückzukehren, wo ich alles hinterlassen hatte, was ich besaß, zumal meine Bibliothek. Ich konnte also sagen: Omnia mea mecum porto. Ja, ich besaß nichts als dieses dürftige Gepäck und außerdem natürlich Bargeld: 500 Zloty, die in der Bundesrepublik wertlos waren, und, immerhin, zwanzig D-Mark, die mir die Devisenabteilung der Polnischen Nationalbank bewilligt hatte.

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