Nieder mit der Knüppelkuh!

Zur Neuausgabe von Roald Dahls „Matilda“

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 13. September wäre der ehemalige Spion, Schokoladenforscher, medizinische Erfinder und Schriftsteller Roald Dahl 100 Jahre alt geworden. Diesen runden Geburtstag nimmt Rowohlt zum Anlass, Dahls (Kinder-)Buch „Matilda“ neu aufzulegen, welches erstmals 1988 in England und bereits 1989 in Deutschland erschienen ist. Wer nun eine andere Übersetzung erwartet, wird enttäuscht werden, denn es handelt sich bei dieser Neuausgabe um die alte Übersetzung von Sybil Gräfin Schönfeldt. Dies ist aber nicht schlimm, denn Schönfeldts Übersetzung ist recht nah am englischen Original und versucht, den morbiden Wortwitz von Dahl ins Deutsche zu übertragen, was ihr recht gut gelungen ist. Zudem beinhaltet die Edition glücklicherweise ebenfalls die Zeichnungen von Quentin Blake, der Dahls Bücher auch im Original illustriert hat und die Stimmung von Dahls verrückter Welt in seinen Illustrationen perfekt einfängt. Somit bleiben Inhalt und Ausstattung dankenswerterweise beim Altbewährten.

Dahls literarische Welt strotz nur so vor morbiden Ideen und Verrücktheiten – Kinder werden auch heute noch die herrlichen Übertreibungen lieben und Erwachsene sollten nicht den Fehler machen und Dahls Bücher als reine Kinderlektüre abtun; der britische Autor  hält der Erwachsenwelt gerne einen entlarvenden Zerrspiegel vor – so auch in „Matilda“.

Die titelgebende Heldin ist seit ihrer Geburt ein kleines Wunderkind. Mit anderthalb Jahren spricht sie schon fehlerfrei und hat einen genauso großen Wortschatz wie Erwachsene. Mit drei Jahren bringt sie sich selbst das Lesen bei und entdeckt die literarische Welt von Dickens, Wells, Faulkner und Steinbeck. Jedoch sind Matildas Eltern ihr intellektuell nicht gewachsen – nichts geht über das Fernsehen und Matilda soll sich nicht für etwas Besseres halten als ihre Eltern. Darüber hinaus ist Matildas Vater Herr Wurmwald ein betrügerischer Gebrauchtwagenhändler, der sich auf seine Betrügereien etwas einbildet, jedoch die Übersicht dabei verliert. Frau Wurmwald interessiert sich mehr für Bingospielen als für ihre Kinder. Kurzum: Matildas Eltern sind gleichgültig und versuchen, das Mädchen klein zu halten, sie soll nicht mehr wissen als ihre Eltern.

Matildas einzige Hoffnung ist die Schule, in die sie sogar noch zu spät eingeschult wird. Dort hofft sie, ihren gewaltigen Wissenshunger zu stillen. Aber in der Schule herrscht die bösartige Frau Knüppelkuh. Die ehemalige olympische Hammerwerferin mag keine Kinder und verhängt bei jeder Kleinigkeit drakonische Strafen. Nur Fräulein Honig ist ein Lichtblick für Matilda. Fräulein Honig möchte mit Spaß und Unterstützung im Unterricht die Kinder fördern, was Frau Knüppelkuh wiederum versucht zu unterbinden, denn solche Ansätze sind für sie ein Novum und nicht erwünscht. Fräulein Honig ist die Nichte von Frau Knüppelkuh, was diese nicht davon abhält, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu schikanieren. Frau Knüppelkuh hat ihr sogar das Haus ihrer verstorbenen Eltern abgenommen, indem sie Fräulein Honig eingeredet hatte, sie sei am Tod der Eltern schuld. Als Matilda telekinetische Kräfte entwickelt, sieht die Kleine ihre Chance gekommen, sich endlich gegen die Eltern und Frau Knüppelkuh zu behaupten – und selbstverständlich möchte sie Fräulein Honig helfen, dass verlorenen Erbe zurückzubekommen.

Dahl erzählt mit viel Witz und morbidem Charme; immer passiert etwas Unerhörtes: Frau Knüppelkuh ist sauer, weil Theo Torfkopp ihren Schokokuchen weggegessen hat, und verlangt deshalb, dass er vor der ganzen Schule einen zweiten isst. Oder wenn Frau Knüppelkuh Amanda, weil sie zerzauste Zöpfe hat, an den Haaren packt und wie einen Hammer davonwirft. Dies sind nur zwei von vielen kuriosen Ereignissen.

Verrückt ist die Geschichte wohl und eben diese Verrücktheiten sollen die Fantasie der Leser beflügeln und vor allem unterhaltsam sein, was Dahl immer wieder gelingt. Nicht nur Kinder werden ihre Freude an der Lektüre haben, auch Eltern und Lehrer sollten einen Blick in Dahls Welt werfen: Dahl, der nicht nur sehr medienkritisch war, hatte seine ganz eigene pädagogische Meinung zur Kindererziehung, die sich wie ein roter Faden durch seine Bücher zieht. In „Charlie und die Schokoladenfabrik“ hat er eine Riege von unausstehlichen Kindern entworfen, die verfressen, verwöhnt, überborniert und dumm waren, aber in erster Linie ein Produkt ihrer Eltern, die ihre Kinder zu Genies und Göttern stilisierten. In „Matilda“ zeigt Dahl das Gegenstück dazu, Eltern und Lehrer, die sich für ihre Schützlinge nicht interessieren und in ihrer Erziehung auf Angst und Repression setzen. Eingeschüchterte Kinder, die ihre Anlagen nicht entwickeln können, sind dann das Resultat. Dahls Konzept sieht eine Erziehung vor geleitet von Spaß und Freude und Förderung der Begabungen, wobei die Kinder weder verehrt noch verteufelt werden sollen.

Die ganze Geschichte um Matilda präsentiert neben der gewitzten Heldin eine Art Schreckenspädagogik und ignorante Erwachsene. Bei der Lektüre könnten auch Eltern etwas lernen. Wer „Matilda“ noch nicht kennen sollte, kann mit dieser Neuausgabe in Dahls fantasievolle und dabei lehrreiche Welt eintauchen.

Titelbild

Roald Dahl: Matilda.
Übersetzt von Sybil Gräfin Schönfeldt.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016.
267 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783499217616

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