Im Erklärmodus

Reginald Hill kann nicht anders, als alles restlos zu erklären. Trotzdem ist „Rache verjährt nicht“ unterhaltsam genug

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sollte es irgendetwas geben, was man am Ende dieses Krimis noch nicht weiß, so liegt das nicht daran, dass der Verfasser, Reginald Hill, vergessen hätte, auch hierzu die notwendigen Erklärungen abzugeben. Stattdessen wird der betreffende Leser / die betreffende Leserin für einen Moment unaufmerksam gewesen sein, was auf knapp 700 Seiten schon einmal passieren kann. Soll heißen: nochmal lesen.

Wir haben es hier also mit einem großvolumigen Werk zu tun, das alles liefert, was zu liefern ist – und das damit einer Erzähllogik gehorcht, die ansonsten eher schlechten „Tatorten“ zu eigen ist: An deren Ende muss sich der Täter erst nochmal rechtfertigen, bevor er dann wahlweise verhaftet oder erschossen wird.

Alles zu erzählen und alles zu erklären, das verträgt sich nicht gut mit dem sich aufklärerisch gerierenden Genre, obwohl ja gerade seine ordnungsstiftende Funktion (die mit der richtigen Wahrheit eng verbunden ist) unbestritten ist. Aber vielleicht trennen sich hier die Welten der Texte, die die Unsicherheit der Welt, wie wir sie sehen, betonen wollen, von denen, die demonstrativ behaupten, dass am Ende alles wieder ins rechte Lot kommt, wenn die Wahrheit nur ans Licht gebracht wird.

Wenn dem so ist, dann gehört Reginald Hills „Rache verjährt nicht“ (im englischen Original „The Woodcutter“) zu der zweiten Gruppe, für die die Ordnung der Welt ein hohes Gut ist. Dabei spricht der Plot des Textes keineswegs dafür: Ein Mann auf der Höhe seines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolgs wird des Kindesmissbrauchs, des Betriebs einer Kinderpornoseite und des Besitzes von Kinderpornos beschuldigt. Auf diese Weise angeschlagen, folgen die Betrugsvorwürfe auf dem Fuß. Ist dieser Mann, Sir Wilfred Hadda, genannt Wolf, doch Chef einer jener Hedgefonds, die in den vergangenen Jahren unrühmlich auf sich aufmerksam gemacht haben und für so manche Unternehmenszerschlagung verantwortlich gemacht werden. Sogar die Frankfurter Börse AG war schon Ziel von solchen Attacken.

Dass Hadda Choleriker ist und sich der Verhaftung dadurch zu entziehen sucht, dass er den ermittelnden Beamten niederschlägt, später sogar aus dem Gefängnis flieht, bis er von einem Bus angefahren wird, ergänzt das Bild des Mannes aus den besten Wirtschaftskreisen Englands, für den eigene Gesetze zu gelten scheinen. Allerdings ist von Anfang an klar, dass an den Anschuldigungen etwas oberfaul ist und dass Hadda Opfer einer Intrige wird, gegen die er sich nicht wehren kann – unter anderem deshalb, weil er sich der ihn bedrohenden Gefahr nicht bewusst ist. Die Geschehnisse folgen sehr schnell aufeinander, Hadda liegt also bereits im Koma, bevor er überhaupt realisieren kann, was da mit ihm geschieht. Damit könnte der Roman auch schon zu Ende sein, was er aber nicht ist, auch weil ja noch Raum für die Entwicklung des Themas ist, das wohl die Anregung zu dem wie immer dräuenden deutschen Titel ist (Rache eben). Damit am Ende Rache sei, muss Hadda wieder aus dem Koma erwachen, was auch geschieht. Er ist zwar nachhaltig lädiert: Er hat ein Auge verloren und zieht ein Bein nach, das heftigst zertrümmert war. Auch sitzt er in einer Haftanstalt ein und hat sich anscheinend völlig in eine eigene, unberührbare Innenwelt zurückgezogen. Der Mann ist gezeichnet, und niemand geht davon aus, dass er je wieder an seine alte Qualität heranreichen wird oder gar freikommt.

Was sollte er aber auch draußen? Die Frau seiner frühen Träume hat sich scheiden lassen, die halbwüchsige Tochter stirbt, während er im Gefängnis sitzt, das Vermögen ist in den Wirren der Wirtschaftskrise um 2000 verloren, der Rest in den Insolvenzen verteilt, ihm bleibt lediglich die Hütte des Vaters irgendwo auf dem Land. Da kann er auch bleiben, wo er ist.

Ja, wenn nicht die Psychiaterin Alva Ozigbo wäre, die sich des Falls Wolfs annimmt – nicht um ihn zu entlasten, sondern um ihn dazu zu bringen, sich seiner Taten zu stellen, für die er verurteilt wurde. Das geschieht – die Berichte und Erinnerungen Haddas tragen große Teile der Erzählung –, es kommt zur unvermeidlichen Katharsis und zur Freilassung Haddas. Keine Gefahr mehr für die Gesellschaft.

Mit anderen Worten, nun kann die Geschichte endlich beginnen und die Wahrheit ans Licht kommen. Die ist naheliegenderweise ein wenig kompliziert. Zu allem gibt es eine Variante, und nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Es folgt eine Geschichte von Schuld und Unschuld, Verrat und Rache, und von so etwas wie echten Freunden, die sich allerdings erst finden müssen. Vater-Sohn-Konflikte spielen ebenso eine Rolle wie die wahre Geschichte zwischen den Eheleuten, es kommt zu einem großen Finale und einem kleinen Nachhall. Am Ende steht eine Welt, die wieder geordnet scheint, weil alles erklärt worden ist, was zu erklären ist. Und am Ende steht auch der Eindruck, dass dennoch keine Zeile überflüssig war in diesem sehr sehr dicken Krimi. Und das ist erstaunlich.

Titelbild

Reginald Hill: Rache verjährt nicht. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
684 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518463901

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