Elementar nützlich

Tobias Wimbauers Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein elementar nützliches Buch ist zu annoncieren, ein "Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers". Der Sinn leuchtet unmittelbar ein: Ernst Jünger hat viele Jahrzehnte seines Lebens ein literarisches Tagebuch geführt. Berühmt sind die unter dem Titel "Strahlungen" zusammengefaßten Tagebücher der dreißiger und vierziger Jahre, bemerkenswert "Siebzig verweht", die Tagebücher, die den greisen Jünger von der Mitte der sechziger bis zur Mitte der neunziger Jahre begleitet haben.

Tobias Wimbauer (geb. 1976), der als Jünger-Forscher und Jünger-Sammler firmiert, hat nichts anderes getan als alle offenen und versteckten Einträge zu Personen zusammenzustellen, die sich in Jüngers Tagebüchern finden lassen. Zu den meisten Namen liefert Wimbauer eine kurze, meist einzeilige Eintragung, zum Beispiel heißt es bei Emil Nolde: "eigtl. E. Hansen, Maler u. Graphiker, 1867 - 1956".

Funktion, Alias-Namen und Lebensdaten - der Verfasser hat seine Einträge aufs Notwendigste konzentriert. Darunter folgen sämtliche Erwähnungen der Person der Zeitgeschichte oder der mythologischen Figur in der zeitlichen Reihenfolge ihres Erscheinens in den Tagebüchern. Da Jünger seine Tagebücher für spätere Auflagen überarbeitet, zum Teil auch gekürzt hat, ist ggf. angegeben, in welcher Ausgabe sich der (dann weggefallene) Eintrag finden lässt. Einleuchtend ist Wimbauers Verfahren, aufgrund der unterschiedlichen Ausgaben und Fassungen nicht die Seitenzahl des jeweiligen Eintrags anzugeben, sondern das Datum. Dies hat den einzigen Nachteil, dass man bei umfangreicheren Einträgen (wie zum Beispiel dem 14./15.6.1966) mitunter mehr als zwanzig Seiten lesen muss, bis man zur Fundstelle gelangt. Gleichwohl kann man sich relativ schnell eine Übersicht über den Personenkreis verschaffen, mit dem Jünger verkehrt hat, sei es persönlich, sei es brieflich.

Elementar nützlich ist dieses Register nicht zuletzt deshalb, weil viele Personen, die Jünger in seinem Werk aufführt, zwar historisch, aber nicht so bekannte Personen sind oder bedeutend, dass sie zum allgemeinen kulturellen Wissen gezählt und in Enzyklopädien oder Geschichtswerken aufgefunden werden könnten. Elementar nützlich ist das Buch auch, weil es die in Jüngers Tagebuchwerk verwendeten Decknamen entschlüsselt. Jünger hat nämlich die Marotte, bestimmte Personen nicht mit ihrem Eigennamen, sondern mit einem Aliasnamen aufzuführen: berühmt sind "Kniébolo" (für Hitler), "Grandgoschier" (für Goebbels) oder "Perpetua" (für Gretha Jünger). So erfährt man bei Wimbauer, dass sich hinter der "Doctoresse", einer in den "Strahlungen" oft erwähnten Frau, die Ärztin Sophie Ravoux verbirgt. Wimbauers Register berücksichtigt also nicht nur die Echtnamen, sondern auch die Aliasnamen.

Leider sind die meisten Aliasnamen nur als Subeintrag unter dem Echtnamen aufgeführt. Wer zum Beispiel erfahren möchte, wen man sich unter "Bogumil", "Don Capisco", dem "Meister" oder dem "Magister" vorzustellen hat, wird in diesem Register lange suchen müssen. Denn nur wer schon weiß, dass "Bogumil" ein Deckname für den Philosophen Friedrich Hielscher, der "Meister" ein Deckname für den Astrologen Fritz Lindemann und "Don Capisco" ein Spitzname für Carl Schmitt ist, findet den jeweiligen Aliasnamen sofort - als Subeintrag zum Echtnamen.

Das Register ist um Vollständigkeit bemüht, aber einzelne Einträge fehlen, zum Beispiel der Hinweis auf Gustav Gründgens ("Siebzig verweht I", 19.8.1965), den großen Mimen, der nach Manila kam, um dort zu sterben. Auch mancher Übertragungfehler wurde nicht nachrecherchiert und von Wimbauer stehen gelassen, zum Beispiel "Harry Oberlänger" (recte Oberländer). Gelegentlich schießt Wimbauer auch über das Ziel hinaus; so führt er den Eintrag vom 12.7.1942 (in "Das erste Pariser Tagebuch") als Erwähnung von Jüngers Mutter, Schwester und Ehefrau auf. In diesem Tagebuch-Eintrag schildert Jünger die Traumbegegnung mit einer Frau in einem Schlangenladen und fragt sich nach dem Erwachen, wer denn die Frau gewesen sei: "Solche Erscheinungen sind unbestimmt vertraut; oft drängen mehrere Wesen wie Schwester, Frau und Mutter sich in ihnen zusammen wie unter einem Tuch - dem Urstoff der Wirklichkeit." Soviel Naivität macht lachen: Schwester, Frau und Mutter bestimmen hier also das System der weiblichen Verwandtschaft, es geht mitnichten um Johanna, Gretha oder Karoline Jünger.

Gerade ein elemantar nützliches Buch wie dieses Personenregister ist verbesserungswürdig. Das System der Querverweise könnte deutlich erweitert werden; die allzu sparsamen Erläuterungen zu den einzelnen Einträgen könnten behutsam ausgebaut und auf den neuesten Stand gebracht werden; nicht nur die Tagebücher, sondern auch Publikationen aus Jüngers "Dunstkreis" wären zur Präzisierung des Datenbestands auszuwerten, darunter Gretha von Jeinsens "Silhouetten" (1955), ihre Tagebuchblätter und Briefe, die 1949 unter dem Titel "Die Palette" erschienen sind, Armin Mohlers Briefwechsel mit Carl Schmitt und die Dokumente, die er zum Werk von Ernst Jünger zusammengetragen hat (1955 unter dem Titel "Die Schleife" erschienen), die Autobiographien von Friedrich Hielscher, Karl O. Paetel oder Wolf Jobst Siedler. Carl Schmitts Glossarium: Ferner Jüngers eigene Publikationen, die eine Mischform aus Essay und Tagebuch darstellen, Schriften wie "An der Zeitmauer" (1959), "Subtile Jagden" (1967), "Annäherungen. Drogen und Rausch" (1970), sowie die Briefwechsel mit Rudolf Schlichter und Carl Schmitt.

Als Jäger und Sammler wird Tobias Wimbauer sicher bald eine erweiterte Ausgabe seines wichtigen Buches vorlegen. Sie sei schon hier dankbar empfohlen.

Titelbild

Tobias Wimbauer: Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers. Rombach Wissenschaft, Reihe Litterae.
Rombach Verlag, Freiburg 1999.
540 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3793092100

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