Kampf dem Mittelalterklischee
Gerd Althoff und seine Mitstreiter räumen mit Vorurteilen über das kriegerische Mittelalter auf
Von Désirée Mangard
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMittelaltermärkte, Events auf Burgen und die aktuelle Fantasywelle bezeugen es: Das Mittelalter ist momentan „in“. Zweifelsohne ist es eine faszinierende Epoche, die im kollektiven Gedächtnis jedoch nicht immer ganz zutreffend erinnert wird. Einerseits wird diese Zeit verklärt und romantisiert, andererseits wird das Mittelalter auch oft für ein dunkles und vor allem rohes Zeitalter gehalten. Weder das eine noch das andere Extrem spiegelt allerdings für sich alleine die historischen Tatsachen korrekt wider.
Schon im Klappentext und ausführlicher dann im Vorwort des Bandes Krieg im Mittelalter wird auf solche Klischees bezüglich des Mittelalters eingegangen, die weit verbreitet sind, aber nicht den wahren Gegebenheiten entsprechen. Angesprochen wird beispielsweise das falsche Bild von enormer Brutalität und Grausamkeit, was schon im Vorwort mit dem Vergleich zur Moderne – insbesondere am Beispiel der beiden Weltkriege – relativiert wird. Damit ist also der Leitfaden für den Sammelband klar, in dem sich unterschiedliche Autoren in 12 Beiträgen mit verschiedenen Aspekten von Kampf und Krieg im Mittelalter befassen.
Schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass dieses Buch zumindest optisch keine Kampfansage an die Leselust ist: Mit seinen nicht ganz 130 Seiten lädt es zum Schmökern ein, eine Stadtbelagerung von mehreren Wochen würde man mit der Lektüre aber nicht überdauern. Das Cover ist themenbezogen ansprechend gestaltet und schlägt man das Buch auf, so wird die Ankündigung des Klappentextes bestätigt, denn es zeigt sich tatsächlich als reichbebildertes Werk. Dieses kann zudem mit einer angenehmen grafischen Gestaltung punkten, obwohl oder gerade weil es beinahe dem A4-Format entspricht. Insofern kann also der Angabe, es handle sich um einen „farbenprächtigen Überblick“, durchaus zugestimmt werden.
Herausgegeben wurde der Band durch das Magazin „Damals. Das Magazin für Geschichte“, ist im Theiss-Verlag erschienen und richtet sich nicht an ein wissenschaftliches Publikum, sondern an interessierte Laien. Dies wird besonders daran deutlich, dass der Band zwar durch eine äußerst knappe, zweiseitige Aufstellung verwendeter beziehungsweise teils auch weiterführender Literatur abgeschlossen, auf Einzelnachweise und Quellenangaben innerhalb der Beiträge jedoch ausnahmslos verzichtet wird. Die Bildunterschriften der zahlreichen zeitgenössischen Darstellungen und Karten zeigen sich unterschiedlich ausführlich: Bei einzelnen Beiträgen fallen sie äußerst knapp oder lediglich beschreibend aus, während innerhalb anderer Beiträge zumindest ab und zu eine Datierung und ein Verweis auf die Herkunft der Abbildungen angegeben wird.
Die Themen der einzelnen Beiträge sind eine heterogene Mischung, wobei einerseits historische Einzelereignisse (Kriege oder Schlachten) aufgegriffen und dargestellt werden, andererseits finden sich auch eher breit angelegte Themen, die einzelne Aspekte ohne konkrete zeitliche Beschränkung behandeln (beispielsweise Erziehung des ritterlichen Adels oder Waffentechnik).
Die zwölf Beiträge verfügen über einen jeweils ganz unterschiedlichen Umfang, was jedoch meist der entsprechenden Thematik geschuldet ist. Eine Systematik für die Reihenfolge der einzelnen Artikel ist nur schwer zu erkennen, zwar ist ein gewisses Bestreben nach Chronologie erkennbar, das jedoch nicht konsequent durchgezogen ist. Immer wieder eingestreut zwischen Artikeln zu Einzelereignissen finden sich das ganze Mittelalter betreffende, allgemeinere Themen, die man unter Umständen besser zu einem Themenblock zusammengefasst und an den Anfang oder ans Ende gestellt hätte.
Das Vorwort führt kurz in das Thema ein und wirft einige wichtige Fragen auf. Danach geht man mit der Lektüre von Winfried Dolderers Beitrag 25. Oktober 1415. Verhängnisvoller Pfeilhagel gleich medias in res. Man erhält hier einen Einblick in den Ablauf der Schlacht im nordfranzösischen Azincourt zwischen Franzosen und Engländern und erfährt, wieso der taktisch kluge Einsatz von Bogenschützen über den Sieg entschied. Zwar zäumt der Autor das Pferd quasi von hinten auf, man weiß über den Ausgang der Schlacht Bescheid, bevor man die Vorgeschichte und Ausgangssituation kennt, dennoch ist der Artikel anschaulich geschrieben und auch ohne viel Vorwissen gut verständlich.
Nicht ganz nachvollziehbar ist jedoch, wieso genau dieses sehr spezifische Ereignis, das zeitlich eher am Ende des Mittelalters zu verorten ist, an die erste Stelle des Bandes gesetzt wurde. Diese Frage stellt sich spätestens, wenn man sich das – so grundlegende – Thema des zweiten Artikels ansieht: Was ist Krieg im Mittelalter? Töten um zu herrschen. Man würde annehmen, dass die Klärung, was man mit dem Kriegsbegriff bezogen auf das Mittelalter nun verbinden kann oder soll, ein logischer Einstieg ins Thema gewesen wäre.
Allerdings handelt es sich bei genau diesem Beitrag um das schwächste Glied des Bandes. Dies ist unter anderem natürlich dem Thema geschuldet, das lediglich eine sehr pauschale Annäherung an die Wirklichkeit erlaubt. Obwohl es sich hier um einen der umfangreicheren Beiträge handelt, kann kaum erwartet werden, dass die Fragestellung umfassend behandelt wird und konkret beantwortet werden kann. Dies wird schon dadurch deutlich, dass der Verfasser, Malte Prietzel, zu dieser Thematik bereits ganze Monographien veröffentlicht hat. Abgesehen davon scheint der Autor sich jedoch mit dem Einstellen auf das Zielpublikum schwer zu tun, denn es wechseln sich komplizierte Passagen, für deren Nachvollziehbarkeit einiges an Vorwissen erforderlich ist, mit beinahe banalen Abschnitten ab, die man ersatzlos hätte streichen können. Schon die Einleitung ist etwas langatmig, wie auch die genaue Ausführung zur Arbeit eines Historikers des 19. Jahrhunderts. Besonders die etwas gezwungen hergestellten Gegenwartsbezüge hätte man durchaus komprimieren können. Insgesamt ist der Beitrag ein wenig schwammig und begrifflich etwas ungenau, vor allem aber wird nicht wirklich auf die im Titel genannte Fragestellung eingegangen. Obwohl man bei diesem Thema sicherlich nicht mit einer alles abdeckenden Kurzdefinition von Krieg im Mittelalter rechnen kann, ist man nach der Lektüre dieses Kapitels fast ratloser als zuvor und stellt sich die Frage: „Was ist Krieg im Mittelalter denn nun? Wie wurde er geführt?“. Beantwortet werden diese Fragen dann viel eher im Beitrag von Martin Clauss: Mittelalterliche Waffentechnik. Effizienz, Kosten und Prestige. Hier wird sehr strukturiert und anschaulich über alle möglichen Waffenarten, deren Entwicklung und Einsatz informiert. Zudem erfährt man hier quasi nebenbei, welche Ausformungen von Krieg es im Mittelalter gab und was Krieg im Mittelalter sein konnte. Zu bemängeln ist an dieser Stelle lediglich die Positionierung des Beitrags so weit hinten im Band.
Ebenfalls angenehm zu lesen, mit einem deutlich erkennbaren roten Faden und passenden Bildern sind die Beiträge von Christoph Mauntel (Die Erziehung des Ritterlichen Adels. Prägung auf Kampf und Gewalt im Hundertjährigen Krieg. Exzess als Gewohnheit) und Jürgen Sarnowsky (Schlacht von Hastings. Das Ende Altenglands). Positiv fallen auch besonders die beiden Texte von Nikolas Jaspert auf (Kreuzzüge und „Heiliger Krieg“. Gottesdienst mit dem Schwert sowie Die „Reconquista“. Feldzüge, Grenzkrieg und Friedensperioden). Beide verfügen über eine gute Länge und beinhalten relativ viele Fakten, die aber kompakt zusammengefasst und gut verständlich präsentiert sind. Die Texte sind mit passenden Abbildungen ergänzt, die zudem mit guten Bildunterschriften versehen sind. Insbesondere der Kreuzzugsbeitrag zeichnet sich durch einen leserleitenden Schreibstil und guten Überblick aus, der sogar kurz und verständlich die Forschungsgeschichte sowie unterschiedliche Forschungsansätze thematisiert, den Leser damit aber nicht überfordert. Jaspert schafft auch einen Gegenwartsbezug, der sich ganz natürlich ergibt, nicht gezwungen wirkt und beispielsweise auch geschickter eingebunden ist als bei Prietzels Artikel.
Sven Ekdahl schließt sich an den Kreuzzugsbeitrag mit einem vielleicht nicht ganz so prominenten und bekannten Thema an: Deutschordenskriege bis zur Schlacht von Tannenberg. Der Schrecken der „Heiden“. Dem aufmerksamen Leser wird jedoch nicht entgehen, dass der in diesem Beitrag verwendete Kreuzzugsbegriff nicht mit jenem im Kreuzzugsartikel abgestimmt ist, was zwar dem Autor nicht unbedingt vorgeworfen werden kann, die Redaktion hätte dies im Optimalfall aber etwas glätten können. Diese hätte auch Bernd Schneidmüllers allgemeinen Verweis auf Martin Clauss ein wenig auf den Artikel desselben im gleichen Band zuspitzen können. Insgesamt ist Schneidmüllers Darstellung Lechfeld – Legnano – Bouvines. Drei große Schlachten und ihre Wirkung sehr kompakt und informativ, aber trotzdem gut verständlich, lediglich beim Abschnitt zur Schlacht auf dem Lechfeld finden sich teils durchaus anspruchsvolle Passagen, bei denen ein paar Erklärungen von Bezügen nicht geschadet hätten.
An den Beitrag von Christoph Mauntel (Gewaltexzesse im Hundertjährigen Krieg) anschließend, beschäftigt sich Gerd Althoff in Krieg und Politik. Geregelte Gewalt mit den grundsätzlich existenten, allgemein akzeptierten Gewohnheiten zur Regelung der Kriegsführung. Der Autor, der sich in den letzten Jahrzehnten einen Namen im Bereich der mittelalterlichen Kommunikations- und Konfliktbewältigungsforschung gemacht hat, konzentriert sich im Beitrag hauptsächlich auf die Fehde. Dabei gibt er einen Überblick über generell übliche politische Abläufe, Konfliktpotenziale und mögliche Beilegungsstrategien, die anhand von Beispielen veranschaulicht werden. Allerdings darf sich der Leser hier nicht entspannt zurücklehnen, sondern muss aktiv mitdenken, um alle Bezüge zu durchschauen und den Ausführungen zu folgen.
Kurt Andermann stellt schließlich im letzten Beitrag Die letzten Ritter. Gestalten einer Zeitwende klar, dass nicht militärischer Wandel und wirtschaftliche Probleme das Ende des Ritteradels einläuteten, sondern die Veränderung des politischen Systems beziehungsweise der Verfassung ausschlaggeben war. Er illustriert dabei die allgemeine Entwicklung besonders am Beispiel Götz von Berlichingens und Franz von Sickingens. Quasi nebenbei erhält der Leser einen Einblick in das Hofleben sowie das politische Kalkül des Adels und der Autor lässt das Mittelalter fast unbemerkt ausklingen, indem er den Bogen bis zu den Einflüssen der Reformation und schließlich zum Dreißigjährigen Krieg spannt.
Insgesamt ist mit Krieg im Mittelalter durchaus ein ansprechender Überblick für ein Laienpublikum gelungen, der in Bezug auf Stilistik und Schwierigkeitsgrad allerdings etwas heterogen ist. Während einige Autoren sich gut auf das Zielpublikum, das vor allem aus interessierten Laien bestehen dürfte, eingestellt haben, sind einzelne Beiträge nicht unbedingt als „leichte Bettlektüre“ geeignet. Was dieses Werk jedoch insgesamt nicht leisten kann und will, ist, hohen wissenschaftlichen Standards zu entsprechen. Die einzige den Band als Gesamtwerk betreffende Kritik ist die etwas verwirrende Abfolge der Beiträge. Hier ist der Leser also gut beraten, zuerst einen Blick ins Inhaltsverzeichnis zu werfen und sich eine eigene Lesereihenfolge zu erstellen.
Eine Empfehlung: Beginnen Sie mit dem Beitrag zur Waffentechnik und verschaffen sich dadurch einen Überblick, bevor Sie sich dann in den anderen Beiträgen über Einzelereignisse informieren.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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