Lost Places?

Andreas Metz dokumentiert in seinem Bildband die architektonischen Hinterlassenschaften der DDR und stellt gleichzeitig die Frage nach dem Erhaltenswerten

Von Stefan JägerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Jäger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Judith Schalansky, geboren 1980 in Greifswald, schreibt im Vorwort ihres Buches Verzeichnis einiger Verluste (2018): „Wer einmal wie ich den Bruch der Geschichte erlebt hat, den Bildersturm der Sieger, die Demontage der Denkmäler, dem fällt es nicht schwer, in jeder Zukunftsvision nichts anderes als eine zukünftige Vergangenheit zu erkennen, in der beispielsweise die Ruine des wiederaufgebauten Stadtschlosses einem Nachbau des Palasts der Republik wird weichen müssen.“ Dem 1976 eingeweihten und im Zeitraum von 2006 bis 2008 abgerissenen Palast der Republik widmet sie dann auch eine Erzählung in ihrem Band. Sie erinnert damit an ein Gebäude, das in der DDR als Versammlungsstätte der Volkskammer sowie als Kongresshalle genutzt wurde und das den größten Besucherzustrom Ost-Berlins hatte. Ein Gebäude also, mit dem zahllose Menschen persönliche Erinnerungen verbanden. Auch deshalb, so ist zu vermuten, erhitzten sich die Gemüter so stark, als nach der Wiedervereinigung bekannt wurde, dass der Palast der Republik abgerissen werden sollte. Der Streit über Erhalt oder Abriss machte die Verwerfungen sichtbar, die das Ende der DDR und die dadurch bedingten Veränderungen bei den Menschen ausgelöst hatten. Außerdem zeigte er die Unsicherheiten im Umgang mit den architektonischen Hinterlassenschaften des untergegangenen Staates auf.

Um das, was drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung von der DDR, vor allem in architektonischer Hinsicht, übriggeblieben ist, geht es im Bildband Ost Places – der Anklang an „Lost Places“ schwingt im Titel bewusst mit – von Andreas Metz. Der 1970 in Frankfurt am Main geborene Redakteur und Fotograf hat sich von 2017 bis 2019 auf Spurensuche in Ostdeutschland begeben und dabei zahlreiche Bilder geschossen, die Geschichten vom Alltag in der DDR erzählen. Blättert man durch den Fotoband, wähnt man sich zuweilen in einer längst vergessenen, unwirklichen Welt. Viele der abgebildeten Gebäude befinden sich in einem maroden Zustand und sind dem Verfall preisgegeben wie beispielsweise die ehemaligen Sowjetkasernen in Brandenburg oder alte, sich selbst überlassene Fabrikgebäude. Andere wiederum, vor allem in den Großstädten, wurden aufwendig saniert und/oder werden weiterhin genutzt, zum Teil als Museen.

Unterteilt ist der Bildband in elf thematische Kapitel, die jeweils durch ein kurzes Vorwort eingeleitet werden. In „Der geteilte Himmel“ – eine Reminiszenz an Christa Wolfs gleichnamige Erzählung von 1963 – etwa spürt Metz den Überbleibseln der Grenzanlagen mitsamt der Mauer nach, während er in „Ikonen des Sozialismus“ zahlreiche Abbildungen von Marx-, Lenin- oder Thälmann-Denkmäler versammelt. Auch Straßenschilder mit erhaltenen Straßennamen – viele wurden nach der Wiedervereinigung umbenannt – spart er nicht aus. So gibt es beispielsweise in Leipzig weiterhin eine Dimitroffstraße oder in Wolfen bei Bitterfeld eine Straße der DSF, der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft. Obwohl ein Großteil der Fotografien Architektur gewidmet ist, findet sich auch ein Kapitel mit bekannten Fahrzeugen der DDR – inklusive einer Iljuschin IL-62 der Interflug, die in Stölln (nordwestlich von Berlin) zu besichtigen ist.

Bemerkenswert ist Metzʼ Auge fürs Detail. So entgeht ihm beispielsweise nicht, dass ein Gitter eines Taubenschlags aus Resten eines ehemaligen DDR-Grenzzauns besteht, und auch seine Auflistung der verschiedenen Typen von DDR-Straßenlampen oder der diversen Betonformsteine, eine eigene Kunstform in der DDR, ist bemerkenswert. Diese Detailfreude findet sich indes nicht nur in den Fotografien, sondern ebenso in den Bildbeschreibungen, in die sich allerdings der eine oder andere Fehler eingeschlichen hat.

Der Band ist überaus begrüßenswert auch deshalb, weil er, ohne in Ostalgie zu verfallen, die Frage danach stellt, was vom Alltagsleben in der DDR, in dem die Architektur eine wichtige Rolle spielte, im Sinne einer Erinnerungskultur erhaltenswert ist und was nicht. Museen und Gedenkstätten vor allem zu Opposition, Widerstand und Verfolgung in der DDR, zur Grenze und zur DDR-Geschichte gibt es mittlerweile in großer Zahl, was aber soll beispielweise mit den noch existierenden Kunstwerken und Gebäuden geschehen, die zwangsläufig dem Verfall preisgegeben sind, wenn keine Entschlüsse gefasst werden, wie es mit ihnen weitergehen soll? Sicherlich ist nicht alles erhaltenswert, und es kann hier auch nicht um das Erhalten-Werden als Selbstzweck gehen, aber, um mit Andreas Metz zu sprechen, „es lohnt sich, stärker darüber nachzudenken, wie wir das vereinigte Deutschland um einen wichtigen Teil seiner Kultur bereichern, der zu verschwinden droht.“ Einen ersten Beitrag, zu verschwinden Drohendes festzuhalten, hat der Fotograf mit seinem Bildband bereits geleistet.

Titelbild

Andreas Metz: Ost Places. Vom Verschwinden und Wiederfinden der DDR.
Verlag Neues Leben, Berlin 2019.
208 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783355018883

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