Von Mischwesen zu Donald Trump

Hubert Filsers populärwissenschaftliches Sachbuch „Menschen brauchen Monster“ begibt sich auf Spurensuche nach Herkunft, Wohnorten und Funktionen von Monstern

Von Hannah Varinia SüßelbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannah Varinia Süßelbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die überwältigenden Erfolge phantastischer Bücher wie Harry Potter, Der Herr der Ringe oder Das Lied von Eis und Feuer zeigen eines deutlich: Monster haben Konjunktur. Der Wissenschaftsjournalist und Physiker Hubert Filser zeigt, dass diese Popularität keine Entwicklung der Moderne ist. Seit Anbeginn der Zeit ist der Mensch das einzige Lebewesen auf diesem Planeten, das sich über Gestalten austauscht, die es gar nicht gibt. Erste Belege für den Glauben der Menschen an Monster stellen bis zu 60.000 Jahre alte Höhlenmalereien dar. Monster sind von jeher erdachte Wesen, die, wenn sie nicht gar den Beginn der Fiktion darstellen, auf jeden Fall der älteste Beleg dafür sind.

Der Aufbau des Sachbuchs Menschen brauchen Monster – Alles über gruselige Gestalten und das Dunkle in uns ist leicht nachvollziehbar und führt chronologisch in die Geschichte der Monster ein. Grundannahme ist dabei, dass Monster als eine Erweiterung der Realität in jeder Gesellschaft vorhanden sind. Mehr noch: Eine Gesellschaft ohne Monster ist nicht vorstellbar, sie sind ein universelles kulturelles Phänomen. Hubert Filser klärt die Frage auf, warum Menschen überhaupt Monster erfinden.

Plausibel erklärt er, es liege in der menschlichen Natur, hinter jeder Aktion einen Akteur zu vermuten. Bei jedem Rascheln oder Knacken einen gefährlichen oder gar übernatürlichen Angreifer zu erwarten, ist ein evolutionär sinnvolles Frühwarnsystem. Monster versinnbildlichen Bedrohungen, Geschichten über diese Wesen stellen eine Möglichkeit dar, mit dem Schrecken umzugehen. Kein Wunder also, dass die antiken Religionen der Ägypter, der Griechen oder auch der Azteken, geprägt waren von Monstergöttern, Halbwesen und Giganten. Seitdem werden antike Mythen oder auch Märchen immer weiter tradiert. Einige Monster, wie beispielsweise der Vampir, blicken auf eine wandlungsreiche Lebensspanne zurück – von der untoten, nicht verwesenden Leiche über den bedrohlichen Blutsauger bis zum im Sonnenlicht glitzernden Volvo-Besitzer in nur 300 Jahren. Aber selbst in modernen Geschichten wie Harry Potter finden sich bewährte Monster. So zeigt sich die Eigenart der Persönlichkeitsspaltung von Dr. Jekyll und Mr. Hyde in Harry, da das Böse auch in ihm lauert, obwohl er auserwählt wurde, eben jenes zu besiegen.

Wir erfahren, einer Tierdokumentation gleich, mehr über die Wohnorte der Monster: verwunschene Orte, extreme oder gefährliche natürliche Gegebenheiten wie Vulkane, oder auch schlicht das Unbekannte. Interessanter sind jedoch seine Erklärungen, zu welcher Zeit welche Monster auftreten. Mit der Entdeckung der neuen Welt durch Christopher Kolumbus und die Entwicklung der Naturwissenschaften wandelte sich die Funktion der Monster. Waren sie bis dato göttliche Zeichen, mit moralischer und kultureller Bedeutung, so wurden sie nun zu Besonderheiten der Evolution, die empirisch erforscht werden wollen. Sie rückten aus dem Unbekannten heraus und wurden Teil der Gesellschaft. Im 16. Jahrhundert wurde das Interesse der Menschen an den Wundern der Natur immer größer. Kleinwüchsige Menschen oder missgebildete Kinder wurden zu dieser Zeit nicht mehr, wie vorher meist üblich, sich selbst und dem Tod überlassen, sondern neugierig bestaunt und bewundert. Im Zeitalter der Elektrizität entwickelte sich aus der Pathologie und dem Galvanismus die Inspiration Mary Shelleys für ihren Roman Frankenstein. Nun wurde das Böse nicht mehr im Unbekannten oder an den Grenzen der Welt gesucht, sondern vielmehr im dunklen Inneren der Menschen selbst.

Durch immer neue Ausbreitungsmedien, von rudimentären Stempeln über weit verbreitete Niederschriften bis hin zu Filmen, wurden Monster Allgemeingut. Jede neue Person, die an Monster glaubte, wurde zum Wirt des Monströsen. Ihre Funktion blieb dabei fast durchgängig ähnlich. Monster dienen der Mahnung und der Warnung, sie personifizieren Ängste. Durch die Veränderungen der Ängste durch die Jahrhunderte wandeln sich auch die Monster. Früher war es eher die Angst vor dem Unerklärbaren, der Dunkelheit. Heute ist es die Angst, den technischen Fortschritt nicht kontrollieren zu können – etwa angesichts Künstlicher Intelligenz, Cyborg Technologie oder Botnets, einer Gruppe automatisierter Schadprogramme, die auf sozialen Plattformen wie Twitter oder Facebook agieren, als stünden reale Personen hinter diesen Profilen, wodurch sie jederzeit Meinungen und Trends beeinflussen können. Die Grenze zwischen Mensch und Maschine verschwimmt immer mehr und so wächst die Angst vor den Folgen der menschlichen Hybris.

Filser führt mit viel Witz durch die Monster-Geschichte. So spricht er beispielsweise von der „Emanzipation“ der Monster von ihren göttlichen Urahnen. Aber auch humoristische Überschriften wie „Antike – das Drama beginnt“ animieren zum Schmunzeln. Durch die Zeichnungen von Peter M. Hoffmann umrahmt die Gestaltung des Buches, den Inhalt außergewöhnlich passend. Besonders gelungen ist dabei die Referenz, dass auch Mönche im Mittelalter Monster als Schmuckelemente seitlich am Rand vieler Bücher verewigten und Filsers Buch sich damit selbst in diese Tradition stellt. Leider sind die Ausführungen des Buches oft etwas oberflächlich. Eine ausführliche, differenziertere Darstellung hätte jedoch wesentlich mehr Platz in Anspruch genommen.

Diesen kleinen Wehrmutstropfen vergibt man jedoch schnell, da es bei all den humorvollen Elementen überaus positiv überrascht, dass das Buch auch eine eindeutige politische Botschaft enthält. Geschickt spannt der Autor den Bogen von der unmissverständlichen Definition Adolf Hitlers als leibhaftiges Monster („Düsterer als die Realität hätte sich niemand ein Monster ausdenken können“) bis hin zu unserer problembehafteten Gegenwart, in der politische Krisen und kulturelle Veränderungen dominieren. Filsers sonst so neutraler Sprachduktus ändert sich in diesem Kapitel schlagartig und erhält eine gestochene Schärfe und Deutlichkeit. Zeiten des Umbruchs, so wird deutlich, rufen neue Monster auf den Plan. Nicht namentlich genannt, aber dennoch offen dargestellt wird die Monströsität der neuen rechtspopulistischen, nationalen Auswüchse in Deutschland, was deutlich auf die AfD, die Identitäre Bewegung und andere reaktionäre Strömungen anspielt. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum Filser dieses Buch gerade jetzt geschrieben hat. Überall auf der Welt seien Politiker*innen auf dem Vormarsch, die offen Ängste und Misstrauen schüren, um ihre Macht auszubauen. Namentlich nennt er Silvio Berlusconi, Recep Tayyip Erdoğan und natürlich Donald Trump, die durch ihren zur Schau gestellten Narzissmus Wahlprogramm machen. Die mahnende Funktion der Monster nutzt der Autor, um vor der Entmenschlichung ganzer Gruppen zu warnen und auf die Politik der Fälschungen aufmerksam zu machen.

Die Funktion von Schrecknissen wird in Menschen brauchen Monster eindrücklich gezeigt. Teilweise fiebert man mit den Monstern, identifiziert sich mit ihnen und erkennt sich in ihnen wieder. Anstatt sie zu fürchten, lernt man durch dieses Buch ihre Hintergründe und ihren Zweck kennen. Es ermutigt, die eigenen Monster anzunehmen, sich um sie zu kümmern, aber auch sich entschlossen gegen sie zu stellen. Sonst fressen sie uns auf.

Titelbild

Hubert Filser: Menschen brauchen Monster. Alles über gruselige Gestalten und das Dunkle in uns.
Piper Verlag, München 2017.
288 Seiten,
ISBN-13: 9783492058445

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