Unser Alltag – alles eine Sache der Perspektive
Der Lyriker Boris Greff legt seinen dritten Gedichtband vor
Von Michael Eschmann
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Warte nur ein Weilchen, dann hat sich der Kleingeist überlebt“, schreibt der in Saarbrücken geborene und heute in Merzig lebende Lyriker Boris Greff, der nun bereits seinen dritten Gedichtband veröffentlichen konnte. Und man höre und staune: Zwei weitere Titel sind bereits geplant und haben eine Verlagszusage. Wer in den sozialen Medien unterwegs ist, wird ob kurz oder lang ihm begegnen. Er wirbelt dort herum, liest Shakespeares Sonette oder macht Lyriklesungen, die 10.000 und mehr „Klicks“ haben. Seine Innovation, seine Empathie, ja seine Originalität (jedes Buch unterscheidet sich stilistisch von den anderen) und die daraus resultierende Fantasie scheinen ein Teil eines Erfolgskonzepts (wenn es denn überhaupt eines gibt) zu sein.
Im vorliegenden Band hat er sich dem Stadtleben mit all seinen Facetten verschrieben: Die vielen Begegnungen der unterschiedlichen Menschen, das manchmal traurige Schicksal des Einzelnen und die großen Themen wie Liebe und Tod spiegeln sich in den Gedichten wider, die von einer klaren und geradezu realitätsbewussten Sprache getragen werden, aber nie langweilen, sondern durch eine Brise Humor und Ironie eine nachdenkliche Richtung weisen. Schon die erste Strophe des ersten Gedichts „Vorort-Vorwort“ belegt dies:
In der Siedlung unten am Bahndamm
schlafen die Häuser nahe am Gleisbett;
alles dröhnt und vibriert bei jeder Tram;
das Glas tanzt dann auf dem Regalbrett.
Mit einem Augenzwinkern, jedoch nicht pessimistisch, werden in der letzten Strophe schwierige Wohnsituationen beschrieben:
Auch in Beton, in Teer und Asphalt
stirbt nicht das Leben, erstirbt nicht das Lachen.
Der Tag ist verbraucht, ist müde und alt;
Die Nacht kann nun ihr Sternfeuer entfachen.
Erinnern wir uns: Es heißt immer, gute Lyrik müsse den Leser berühren. Der Text solle irgendwie nachhallen. Hier ist dies der Fall. Das große Kinosterben der Siebziger Jahre im letzten Jahrhundert, damals durch die aufkommenden Videotheken beschleunigt, findet in folgenden Versen des Gedichts „Filmriss“ einen literarischen Nachruf:
Ein ehemaliges Kino, ein Lichtspielhaus;
vergilbte Plakate im Schaukasten
dort sah die Kleinstadt nach Glamour aus;
wieviele Träume auf diese Leinwand passten!
Genau diese Nachdenklichkeit, dieses Reflektieren über die Vergänglichkeit der Dinge im Leben (darunter eben auch die Traumwelt: Kino) machen Boris Greffs Verse zum genauen Beobachter in einer poetischen Zeitreise durch die letzten fünfzig Jahre. Und ganz zum Schluss im letzten Gedicht, das „Finale“ heißt, belegt der Autor, dass er auch ein Talent zur Philosophie besitzt. Hier gibt es eine Art von Perspektivwechsel. Der Leser ist nun im Weltall und blickt von oben auf unseren blauen Planeten hinab. Jetzt aber erscheint all das, was uns täglich Freude und Kummer bereitet, nicht mehr wichtig, sondern nur noch nichtig und klein. Denn um es frei mit Georg Büchner zu sagen: „Wir sind Asche, wir sind Staub, wie dürfen wir klagen?“
|
||