Hoch die Gläser!

Was Alkohol im Film erzählt

Von Marcel MenneRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Menne

In den Festivalzelten wird er in Strömen ausgeschenkt, beim Gang ins Kino schwappt er den Besuchern über die Hände. Die Reste können dann, endlich auf dem Sitzplatz angekommen, getrunken werden. Doch nicht nur an diesen Orten ist Alkohol auf dem „Festival des Deutschen Films“ vertreten. Auch auf den Leinwänden fließt so mancher Tropfen. Ob Alkohol nun eine gesellschaftlich akzeptierte Partydroge, ein Laster, ein Beruhigungsmittel oder etwas weniger Naheliegendes ist? Da liegen die Festivalbeiträge Der Hund begraben (2017), Die Anfängerin (2018) und Die Freibadclique (2017) weit auseinander. Von der filmischen Qualität des Einsatzes von Alkohol ganz zu schweigen.

Kommt ein Mann in eine Bar. Was nun auch als schlechter Kalauer fortgesetzt werden könnte, beschreibt zugleich die Ausgangslage einer Szene aus Sebastian Sterns Groteske Der Hund begraben. Der gebeutelte Familienvater Hans, gespielt von Justus von Dohnányi, möchte seine Nerven am Kneipen-Tresen beruhigen. Doch als ihm einer der anderen Gäste das frischgezapfte Bier streitig macht, sieht Hans das letzte ihm verbliebene Stück Männlichkeit in Gefahr. Schließlich hat ihm zuvor nicht nur ein Hund den Rang in der Familie abgelaufen, seit kurzer Zeit ist er auch noch arbeitslos. Also tut er, was jeder ‚echte Mann‘ in seiner Situation tun würde: Er kippt sein Bier im Sturztrunk die Kehle hinunter und behauptet es so gegen den Rivalen. Ein ähnlicher Moment ist auch Ulrike Krumbiegel in Die Anfängerin vergönnt. Neben dem beeindruckenderen Tempo, in dem die mit dem Namen Annebärbel gestrafte Protagonistin eine ganze Flasche Sekt in einem Zug leert, unterscheiden sich die Szenen allerdings auch noch in der Inszenierung. Sieht man dem Treiben um Hans‘ Männlichkeitsbeweis in der verwegenen Kneipe aus einiger Distanz in einer langen, starren Einstellung zu und erwartet schon die anstehende Prügelei, steht für Annebärbel weniger die Profilierung im Vordergrund. Für Ulrike Krumbiegels Figur ist es vielmehr Ausdruck der persönlichen Entwicklung von der zugeknöpften Ärztin und jede Emotion erstickenden Ehefrau zum ausgelassen feiernden Mitglied eines Eiskunstlaufvereins. Entsprechend werden ihre Sekunden mit der Sektflasche und das darauffolgende gelöste Lächeln auch mittels Close Up festgehalten. Dann läutet ein Bäuerchen eine Feier-Montage ein, die man so ähnlich schon viel zu häufig gesehen hat. 

Gerade zum Ende hin verliert sich Alexandra Sells Die Anfängerin leider immer stärker in stereotypen Handlungsverläufen, was auch vor dem Umgang mit Alkohol nicht Halt macht. Denn selbstverständlich folgt auf die Feier mit der Partydroge gleich deren Schattenseite. Schließlich verdammt Sells Drehbuch Annebärbel dazu, am nächsten Tag arbeiten zu müssen. Ihr bleibt also nichts anderes übrig, als völlig verkatert in die Praxis zu kommen und ihrer biestigen Mutter damit die Gelegenheit zu bieten, sich wieder in ihr Berufsleben einzumischen. Gleichzeitig wird dem Publikum noch mit erhobenem Zeigefinger die lasterhafte Seite des Alkohols vorgeführt. Zynischer formuliert instrumentalisiert Alexandra Sell den Alkohol als billiges Mittel zur Verschärfung des Mutter-Tochter-Konflikts und bestraft ihre Hauptfigur mit einem Kater für das Verbrechen, Spaß gehabt zu haben.

Wem das zu bieder und abgedroschen erscheint, der bekommt in Friedemann Fromms Die Freibadclique einen interessanteren Beitrag geliefert, zählt gerade der Einsatz von alkoholischen Getränken doch zu den Stärken des Kriegsdramas. Alkohol markiert hier nicht nur den großen Kontrast zwischen dem streng reglementierten Naziregime und der bald darauf im Nachkriegsdeutschland einziehenden amerikanischen Kultur, die von Partys und Drinks geprägt ist. Er unterstreicht auch die unterschiedlichen Reifegrade innerhalb der titelgebenden Freibadclique, deren Wege im Verlauf des Krieges auseinanderführen, um letztlich zumindest die drei interessantesten Mitglieder wieder aufeinandertreffen zu lassen. Wurden Onkel und Bubu zwar durchaus vom Kriegserleben geprägt, so sind sie doch Jungen geblieben. Knuffke hingegen kehrt als völlig Anderer zurück ins Freibad. Er hat nicht nur die Seiten gewechselt und arbeitet nun mit dem zwielichtigen Amerikaner McKee zusammen, er beginnt sogar eine Affäre mit dessen Geliebter, während Onkel und Bubu bestenfalls als sexuelle Reserve für gefallene Männer herhalten durften. Als Gradmesser dieser Entwicklungen setzt Friedemann Fromm Alkohol ein. Knuffke lässt die Jungs nur auf deren Flehen hin zu einer Party der Amerikaner kommen und gibt ihnen dort heimlich Bier. Onkel und Bubu vertragen den Alkohol nicht, werfen Knuffke betrunkene Anschuldigungen an den Kopf und reden auf dem Heimweg prahlerisch von einer Pistole, die sie vor den Amerikanern versteckt haben. „It’s just boy’s talk“, verteidigt Knuffke später seine alten Freunde bei einer Anhörung. Die Jungen seien einfach den Alkohol nicht gewohnt und hätten so Schwachsinn erzählt, fährt er abgeklärt fort. Die Kluft zwischen dem gereiften Mann Knuffke und den Burschen Bubu und Onkel könnte kaum größer sein. 

Alkohol kann allerdings nicht nur trennen, sondern auch vorzüglich verbinden. Das muss man wohl nur jenen sagen, die noch nie einem Trinkgefährten pathetische Liebesschwüre ins Ohr gelallt haben. In Der Hund begraben werden in einer sehr gelungenen Szene jedoch auch die weniger Kneipenerfahrenen über die verbindende Kraft des Alkohols aufgeklärt. Hans trinkt nach dem Bier auf ex ein weiteres kühles Blondes mit dem von Georg Friedrich gespielten Mike. Je leerer die Gläser werden, desto mehr verbrüdern sich die beiden. Gemeinsam hecken sie sogar einen Plan zur Verbesserung von Hans‘ Lebenssituation aus, der allerdings zum Scheitern verurteilt ist. Nicht nur auf diese Weise ähnelt er somit dem Plan von William H. Macys Jerry Lundegaard aus Fargo der Coen-Brüder. Sowohl in Fargo als auch in Der Hund begraben verschwören sich die Hauptfiguren in einer Kneipe mit Fremden, um die eigene Notlage vermeintlich clever aufzulösen, und treten so erst die absurden Wendungen des jeweiligen Films los. Trennen Joel und Ethan Coen Lundegaard allerdings symbolisch mit einer Wand aus Bierflaschen von den angeheuerten Ganoven, wählt Sebastian Stern glücklicherweise einen anderen Weg als seine erklärten amerikanischen Vorbilder. Er drapiert die Gläser von Hans und Mike dicht aneinander und fängt dadurch deren Verbrüderung im Bild ein. Aus der ähnlichen Ausgangslage emanzipiert sich Stern so ein Stück weit von dem Einfluss der Coens und zeigt deutlich die eigene Handschrift.

Beruhigungstropfen, Ausdruck der Männlichkeit, gesellschaftlich akzeptierte Partydroge, Laster, Kontrastmittel, Gradmesser, Trennobjekt oder Verbindungselement? Das Bild vom Alkohol im Kino wird immer so verschieden sein wie die Filme, die von ihm erzählen. Etwas einheitlicher dürfte der Einsatz von Alkohol den Kinofilm allerdings bereichern, statt bloßes Mittel zum Zweck zu bleiben. Friedemann Fromm lotet so die Verhältnisse seiner Figuren zueinander aus, wenngleich auf eher konventionelle Weise. Sebastian Stern gelingt darüber hinaus eine gekonnte Variation einer ikonischen Szene des amerikanischen Kinos. Alexandra Sell hingegen benutzt den Alkohol lediglich, um den Plot plump voranzutreiben und lädt Die Anfängerin zudem unnötig mit einer langweiligen, biederen Moral auf. Klar, es gibt schlimmere filmische Verbrechen als den nicht sonderlich durchdachten Gebrauch von Alkohol. Wirklich gute Filme erkennt man jedoch häufig an der Stimmigkeit jedes noch so kleinen Details, daran, wie sämtliche Elemente ineinandergreifen und so eine Geschichte erzählen, die man stets aufs Neue hören und sehen möchte. Geht man nicht dafür ins Kino, zu bemerken, wie selbst der Anordnung von zwei Biergläsern auf subtile Weise Bedeutung zukommt? Wenn nicht, kann man auch gleich während des Films eine ganze Flasche Sekt kippen, mit den Nachbarn quatschen, an den falschen Stellen lachen und beim Abspann applaudieren, egal, welche uninspirierten Bilder auf die arme Leinwand projiziert sein mögen. Prost!

Erwähnte Filme

Der Hund begraben. Oder die Geschichte von einem Mann, der überflüssig wurde
Deutschland 2017
Regie: Sebastian Stern
Drehbuch: Sebastian Stern
Darsteller: Justus von Dohnányi, Georg Friedrich, Juliane Köhler
86 Minuten

Die Anfängerin
Deutschland 2018
Regie: Alexandra Sell
Drehbuch: Alexandra Sell
Darsteller: Ulrike Krumbiegel, Annekathrin Bürger, Maria Rogozina, Christine Stüber-Errath, Stephan Grossmann
98 Minuten

Die Freibadclique
Deutschland 2017
Regie: Friedemann Fromm
Drehbuch: Friedemann Fromm
Darsteller: Jonathan Berlin, Andreas Warmbrunn, Theo Trebs, Joscha Eißen, Laurenz Lerch, Vica Kereke
104 Minuten

Fargo
USA 1996
Regie: Joel Coen, Ethan Coen
Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen
Darsteller: Frances McDormand, William H. Macy, Steve Buscemi, Peter Stormare
98 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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