Die Lust am Widerspruch

Balladen zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Martin Walser

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Martin Walser ist mehr als nur einer der wichtigsten deutschsprachigen Nachkriegsschriftsteller. Er hat, zusätzlich zu seinem literarischen Schaffen, stets auch mit großer Leidenschaft an öffentlichen Debatten teilgenommen. Daher scheiden sich die kritischen Geister nicht nur an seinen Romanen, sondern auch an seinen politischen Statements.

Vor allem seine Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels spaltete 1998 das Lager der Intellektuellen. Ignatz Bubis warf Walser damals "geistige Brandstiftung" vor und rückte den Autor in eine politisch rechte Ecke. Ähnlich wortgewaltig wurde auch die öffentliche Debatte über seinen 2001 erschienenen - und völlig misslungenen - Roman "Tod eines Kritikers" geführt. Die FAZ hatte vier Wochen vor dem Erscheinen des Buches eine hitzige Diskussion ausgelöst, weil sie in der Hauptfigur (nicht zu Unrecht) frappierende Ähnlichkeiten mit Marcel Reich-Ranicki ausgemacht hatte.

Es war einer der schwächsten Romane Walsers, und es roch aus den Buchseiten stark nach einem Rachefeldzug des Autors, der sich vom Frankfurter "Kritikerpapst" Reich-Ranicki stets ungerecht behandelt fühlte. Nicht minder medienträchtig war Walsers Verlagswechsel. Nach über 40 Jahren kehrte er dem Suhrkamp Verlag vor drei Jahren den Rücken, seitdem erscheinen seine Werke bei Rowohlt. So auch der pünktlich zum Geburtstag herausgebrachte, schmale Balladenband mit dem Titel "Das geschundene Tier", in dem Tochter Alissa 39 kurze Texte ihres Vaters illustriert hat.

Inzwischen haben sich die Wogen geglättet und es ist ein wahrer Walser-Hype ausgebrochen. Am 19. März zeigte das ZDF die Verfilmung des Romans "Ohne einander" mit Jürgen Prochnow und Walser-Tochter Franziska in den Hauptrollen; der Bodenseekreis unterstützt eine Bühneninszenierung des Romans "Ein fliehendes Pferd" durch das Stadttheater Konstanz mit 20.000 Euro; im Herbst soll die Verfilmung von "Ein fliehendes Pferd" (mit Ulrich Noethen, Katja Riemann und Ulrich Tukur) ins Kino kommen, und sogar die FAZ hat das Kriegsbeil begraben und am 10. März großformatig Walsers Tagebucheinträge zu vergangenen Geburtstagen veröffentlicht.

Martin Walser ist nie ein Schriftsteller des Elfenbeinturms gewesen, er nimmt am öffentlichen Diskurs teil und leidet nach eigenem Bekenntnis stark unter den aktuellen politischen Auseinandersetzungen. In einem Interview bekannte er, dass er nicht aufhören könne, zu fragen, wie die Attentate des 11. September 2001 zustande gekommen seien, und dass "unser aller Begriffe von gut und böse" ins Wanken geraten sind.

Mehr als vier Jahrzehnte widmete sich Walser in seinen Romanen den gescheiterten Existenzen des Mittelstandes, die mit ihrem "Schöpfer" gealtert sind - durchaus vergleichbar mit John Updikes "Rabbit"-Romanen. Von den "Ehen in Philippsburg" (1955) lässt sich eine verbindende Klammer bis hin zu "Finks Krieg" (1996) setzen. Die Figuren ähneln einander (einige hat Walser nach mehrjährigen Pausen wiederbelebt - Helmut Halm und Gottlieb Zürn) in ihrer Antriebslosigkeit, in ihrer Lethargie und ihrem Mittelmaß. Ihr Handeln war zumeist auf's Reagieren reduziert; erst mit Stefan Fink schuf Martin Walser einen aktiven, einen agierenden Protagonisten.

Trotz zum Teil heftiger Anfeindungen hat Walser lange an seinem Mittelstands-Panorama festgehalten. Selbstbewusst scheint er schon immer gewesen zu sein. Als er 1951 die Tagung der legendären Gruppe 47 als junger Rundfunkjournalist besuchte, antwortete er auf Hans Werner Richters Frage "Wie läuft's?" mit den Worten: "Technisch einwandfrei, aber was da gelesen wird, kann ich besser." Zwei Jahre später gehörte Walser selbst zum "erlauchten Kreis" und wurde 1955 für seine ersten Erzählungen "Ein Flugzeug über dem Haus" mit dem Preis der "Elite-Gruppe" ausgezeichnet. Danach ging es literarisch steil bergauf.

Dabei hatte Martin Walser, der am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren wurde, alles andere als gute Voraussetzungen, um eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Seine Eltern schlugen sich mehr schlecht als recht mit einer Gaststätte und einem Kohlenhandel durch. Nach dem Krieg, den er ab 1943 als Flakhelfer aktiv miterlebte (diese Erfahrungen flossen in den Roman "Ein springender Brunnen" ein), musste er gleichzeitig seiner Mutter helfen (der Vater war 1938 gestorben) und sich um seine Ausbildung kümmern. Dennoch schloss er gerade 24-jährig sein Studium mit einer Promotion über Franz Kafka ab.

Viele Romananfänge zeigen auch die deutliche Affinität zum großen Prager Dichter und dessen Protagonisten Gregor Samsa aus der "Verwandlung". Die Schlafenden haben es Walser angetan: "Als Franz Horn aufwachte" (Jenseits der Liebe, 1976); "Xaver griff nach dem leisen, unerträglichen Weckergeräusch" (Seelenarbeit, 1979); "Als Gottlieb Zürn aufwachte" (Das Schwanenhaus, 1980).

In jüngster Vergangenheit lief der seit vielen Jahren in Überlingen am Bodensee lebende Autor noch einmal zur literarischen Höchstform auf - beginnend mit den aphoristisch zugespitzten Texten der Sammlung "Meßmers Reisen" (2003) über den "Augenblick der Liebe" (2004) bis hin zum letzten Roman "Angstblüte" (2006). Bücher voller Lebensweisheit, in denen sich Walser (mal ironisch, mal bitter-ernst) mit den Problemen des Älterwerdens auseinander setzte. "Die Lust, nein zu sagen" treibt nicht nur die Meßmer-Figur, sondern auch ihren geistigen Schöpfer an, der zeitlebens gegen den Strom des Zeitgeistes schwamm.

Der nonkonformistische Zeitgenosse Martin Walser durchlief einen politischen Wandlungsprozess sondergleichen. In den unruhigen Jahren der Studentenbewegung kokettierte er öffentlich mit der DKP, ab Anfang der 1980er-Jahre schwang er sich zum vehementen Befürworter der deutschen Vereinigung auf (die literarische Umsetzung in der Novelle "Dorle und Wolf", 1987, ging allerdings schief) und gastierte wiederholt als Redner auf den Parteitagen der CSU.

Die zurückliegenden Geburtstage, so haben wir aus den Tagebuchauszügen in der FAZ erfahren, waren für Walser häufig Anlass zu melancholischen Grübeleien.

Wünschen wir ihm zu seinem 80. Geburtstag ein ähnliches Glücksgefühl wie seiner Romanfigur Gottlieb Zürn im "Augenblick der Liebe", als der betagte Herr auf seiner Terrasse am Bodensee von der jungen Beate Gutbrod mit einer riesigen Sonnenblume beschenkt wurde.