Meinten Sie: Orthographie?

Über die Zukunft unserer Sprache: Bastian Sicks neue Kolumnen in "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3"

Von Konrad LeistikowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Konrad Leistikow

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gutes und vor allem richtiges Deutsch zu schreiben, so hieß es in unserer Einführungsvorlesung, gebiete jedem Germanisten schon die Berufsehre. Das klang zwar etwas pathetisch, aber plausibel. Doch spätestens mit den Kontroversen um die Rechtschreibreform begann man sich zu fragen, wer eigentlich entscheidet, was gut und richtig ist. Die Duden-Redaktion? Der Rechtschreibrat? Oder die FAZ? Kaum. Im Zeitalter von SMS und Internet ist es wohl eher die Gemeinde der oft mehr schlecht- als rechtschreibenden 'Deutsch-User'.

36 neue Zwiebelfisch-Texte versammelt Bastian Sick in seinem dritten Buch. Die zweite Kolumne ist der reformierten Rechtschreibreform gewidmet. Darin schreibt er: "Die Zukunft unserer Orthografie liegt nicht in den Händen von Politikern und auch nicht in der Duden-Redaktion, sondern in den elektronischen Kommunikationsmitteln. Der größte Teil dessen, was tagtäglich geschrieben wird [...], entsteht heute am Computer. Und immer mehr Menschen verlassen sich dabei auf die automatische Rechtschreibprüfung ihres Textverarbeitungsprogramms."

Noch bedenklicher ist es, wenn Menschen die Hinweise von Internet-Suchmaschinen wie Google als Maßstab für richtiges Schreiben ansehen. Denn diese "Tipps" sind längst nicht immer verlässlich, basieren sie doch lediglich auf einem Abgleich von Trefferzahlen. Was die Rechtschreibung angeht, verhält sich Google deshalb ungewohnt konservativ: Gibt man das Wort "Orthografie" (in der neuen Schreibweise) in die Suchmaschine ein, erhält man prompt den Verbesserungsvorschlag "Meinten Sie: Orthographie?". Während dieser Fall noch eher komisch anmutet, wird es bei Lehnwörtern aus dem Englischen wirklich problematisch: Sick weist darauf hin, dass Google den deutschen Plural "Storys" in das englische "Stories" verschlimmbessert - schlichtweg deshalb, weil es weitaus mehr englisch- als deutschsprachige Internetseiten gibt. Obwohl die deutsche Grammatik andere Beugungsregeln vorsieht, werden sich also früher oder später fremde Schreibweisen durchsetzen.

Doch nicht nur die deutsche Grammatik, sondern auch klassische Berufsbilder verändern sich unter dem Einfluss der neuen Medien: "Inzwischen ist auch der Beruf des Literaturkritikers bedroht. Denn die meisten Buchrezensionen, die heute gelesen werden, stammen gar nicht mehr von ausgewiesenen Literaturkennern, sondern von Laien", schreibt Sick. Das ist zweifellos richtig, aber diese Unterstützung haben die Profis auch dringend nötig angesichts der wachsenden Zahl von Schriftstellern: "42 Prozent der Deutschen fürchteten eine Rezension", gibt Sick in seiner großartigen Kolumne "Über das Intrigieren fremder Wörter" den Pressetext einer Agentur wieder. Fremdwörter bereiten uns oft enorme Schwierigkeiten; so kann eine eigentlich harmlose Rezension schon mal Angst und Schrecken verbreiten, wenn sie sogar von Fachleuten mit einer Rezession verwechselt wird.

Weitere Höhepunkte des Buches sind Texte wie "An was erkennt man schlechten Stil?" und "Entschuldigen Sie mich - sonst tu ich es selbst!". In "Der antastbare Name" geht es um die richtige Schreibweise von Eigennamenkomposita (wie zum Beispiel "Ernst-Reuter-Platz"). Immer öfter trifft man die Schreibweise "Ernst Reuter-Platz" an und fragt sich unwillkürlich, ob es sich vielleicht um einen Herrn mit Doppelnamen handelt. Um Missverständnisse dieser Art zu vermeiden, sollten auch Eigennamen innerhalb eines Wortes mit Bindestrichen gekoppelt werden. Peinlich nur, dass das Ticket-Portal http://www.eventim.de/ Sicks Veranstaltungen mit der Überschrift "DIE GROSSE BASTIAN SICK SCHAU" bewirbt. Das Internet macht eben alle gleich.

Dass auch der "sympathischste Sprachklugscheißer des Landes" (Juku Köln) nicht festlegt, was gut und richtig ist, weiß Bastian Sick nur allzu gut. Im Gegensatz zu fundamentalistischen Sprachkritikern wie Karl Kraus sieht er sich auch gar nicht als Instanz der absoluten Wahrheit: Er ist ein "ironischer Geschichtenerzähler", wie er selbst im Vorwort zum ersten Buch schrieb. In ebendieser charmanten Manier setzt er sich beharrlich für einen bewussten und differenzierenden Umgang mit der Sprache ein, weil er weiß, dass Achtlosigkeit beim Sprechen und Schreiben mit oberflächlichem Denken einhergeht. Längst sind seine klugen und witzigen Texte kein Geheimtipp unter verschrobenen Linguphilen mehr. Stattdessen freut sich ein ganzes Land mit Sick am Reichtum der deutschen Sprache und der Vielfalt ihrer (oft skurrilen) regionalen Ausprägungen.

Vielleicht hat sogar gerade die oft gescholtene Rechtschreibreform zu einem Bewusstseinswandel beigetragen: "Der zähe Reformprozess hat [...] nicht nur Verwirrung gestiftet und Verdruss gebracht, er hatte auch sein Gutes: In regelmäßigen Abständen sorgte er dafür, dass unser wertvollstes Kulturgut - die Sprache - ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt wurde." Die Geschichte erinnert ein bisschen an den Janosch-Klassiker "Oh, wie schön ist Panama". Denn mit der mehrfach nachgebesserten Ausführung der Rechtschreibreform, die im August 2006 in Kraft trat, sind zahlreiche mühsam errungene Neuregelungen relativiert oder sogar wieder zurückgenommen worden. Folgerichtig zitiert Sick die "Berliner Zeitung", die am 29. Juli 2006 schrieb: "Zehn Jahre hat es gebraucht, um wieder dort anzukommen, wo man aufgebrochen ist." - Oh, wie schön ist unsre Sprach'!

Wie bereits in Folge 2 können sich die Leser auch im dritten Buch mit einem Deutschtest ihrer Sprachkompetenz vergewissern und im Zwiebelfisch-Abc in Kurzform über verbreitete Irrtümer informieren. Der Dativ ist also immer noch (mit erstaunlich großem Erfolg) dem Genitiv sein Tod. Aber ob nun Dativ oder Genitiv - dieses Buch sollte man in jedem Fall gelesen haben.


Titelbild

Bastian Sick: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Folge 3.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006.
261 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-10: 3462037420

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