Die bösen Geister sind los

Eine neue Krimireihe erzählt von Drogen und Toten in Vietnam

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der junge Mandarin Tân, Richter in einer kleinen, aber aufstrebenden Hafenstadt im Norden Vietnams hat kein leichtes Leben. Gleich mehrfach prasseln die seltsamen Fälle auf ihn ein. Da ist einmal die Dschunke, die von einer kleinen Flotte von Geisterschiffen angegriffen wird, mit aus den Gräbern entschlüpften Leichnamen: "Mit toten Augen, die Lippen blutleer, starrten sie auf die hochaufragende Dschunke. Jedes der Boote wurde von einem stehenden Mann befehligt, während die anderen mit trübem Blick dahockten. Ihre leichenblasse Haut leuchtete schwach im Sternenlicht. Mit dem weißen Band, das sie um die Stirn geschlungen hatten, sahen sie aus, als trauerten sie um sich selbst, bewegungslos und in Totenstarre. Ihre Kleider hingen in Fetzen herunter, wahrscheinlich waren sie von Jahren in der Feuchtigkeit unter der Erde verfault. Die Boote bildeten einen Sperrriegel aus schwimmenden Särgen, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ." Entsetzt flieht die Mannschaft und lässt die zwei Frauen zurück, die in der Dschunke lagen, zwei kranke Gefangene, die sie zu einer Insel transportieren sollten. Dann werden Grabsteine vom Friedhof gestohlen und verschwinden spurlos. Der etwas seltsame, sich Drogenexperimenten hingebende Graf Diêm wird auf ganz seltsame Art ermordet: auf seinem Balkon wird ihm der Hals aufgeschlitzt, ohne dass irgendjemand ihm nahegekommen zu sein scheint. Kein Zweifel: die Geister sind los.

Hilfe bekommt der energische Tân von Doktor Porc, einem etwas arroganten Arzt, Fachmann af dem Gebiet der Kräuterheilkunde und der Giftstoffe, und von seinem Freund, dem Schriftgelehrten Dinh. Dihn ist ein Lebemann, der sich vor allem in gutem Essen, auserlesenen Stoffen und Edelsteinen auskennt, aber auch ein phänomenales Gedächtnis hat, mit dessen Hilfe er kistenweise schriftliche Unterlagen, Abrechnungen und Papiere durchsehen kann und zielsicher auf eventuelle Widersprüche stößt. Das kommt Tân bei den Untersuchungen sehr zugute, denn der Reeder Phung schüttet ihn mit Material nur so zu, damit man nicht merkt, was er eigentlich im Schilde führt. (Auch das ein weiterer Fall, der nur durch die Ermittlungen ans Licht kommt.)

Und dann ist da noch der ausländische Priester Hsiu-Tung, der auf ein Schiff wartet, das ihn nach Europa zurückbringen kann, ein Mann mit seltsamen blauen Augen und roter Körperbehaarung und ebenso seltsamen Angewohnheiten. So hüpft er oft in Sprüngen durch die Straßen, macht seltsame Zeichen und murmelt Zaubersprüche, wenn erneut ein Toter aufgefunden wird. Vor allem aber ist da die faszinierende Madame Eisenhut, eine Frau, die sich aus der normalen Gesellschaft zurückgezogen hat, die meiste Zeit als Vagabundin lebt und jetzt zeitweise als Gefängniswärterin arbeitet. Hsiu-Tung besucht sie sehr häufig, um mit ihr zu diskutieren, und auch der junge Mandarin Tân verliebt sich in sie.

Den beiden Schwestern Thanh-Van und Kim wurden 1962 und 1963 in Vietnam geboren, wuchsen in den USA und Frankreich auf, sind jetzt Physikerin beziehungsweise Maschinenbauerin und haben unter dem Nachnamen Tran-Nhut bereits mehrere Krimis zusammen geschrieben. Ihnen ist ein großer Wurf gelungen: Mit ihrer Reihe um den Mandarin Tân führen sie den Leser in das Vietnam des 17. Jahrhunderts. Das Land, das unter dem kulturellen und politischen Einfluss der Chinesen steht und streng konfuzianisch organisiert ist, entfaltet schnell seinen eigentümlichen Reiz mit all den Eunuchen, schönen Frauen, strengen Bräuchen und abergläubischen Menschen, dem seltsamen Essen und heimlichen Drogen, dem Kampf zwischen den Religionen des Taoismus und Konfuzianismus, den Einflüssen von jesuitischen Missionaren wie Hsiu-Tung, die gleichzeitig tief beeindruckt sind von der uralten Kultur, und den Versuchen der europäischen Handelsmächte, die sich die Märkte öffnen wollen, und sei es mit Gewalt. Dagegen stehen nicht nur die traditionsbewussten Chinesen wie Tân, sondern auch andere Strömungen, die unter Berufung auf den staatskritischen Taoisten Mo Tsi die Barbaren abwehren wollen. Zwischen den Parteien befinden sich korrupte Beamte, geldgeile Kaufleute und die Armen, die sowieso keine Vorteile von der Globalisierung haben.

Sehr atmosphärisch, rasant spannend und lebendig, voller Informationen über eine fremde Welt, die in Gefahr läuft, von den Chinesen oder den Europäern überrollt zu werden, haben die Schwestern Tran-Nhut eine exotische und kraftvolle Krimireihe geschaffen, die nicht von ungefähr an die Richter-Di-Klassiker von Robert van Gulik erinnern. Auch bei ihm steht ein konfuzianischer Richter im Mittelpunkt, der mehrere Fälle gleichzeitig aufklären muss, auch bei ihm erfährt man viel über die Religionen und die Gesellschaft des alten China (beziehungsweise Vietnam).

Aber Tran-Nhut schreiben sehr viel detaillierter als van Gulik, sparen auch nicht mit Kritik an der allumfassenden Globalisierung, die damals ihren Anfang nahm und in der Zukunft gerade Vietnam mit viel Elend überhäufen sollte. Ihr Richter Tân ist zudem noch sehr viel jünger als der gefestigte Richter Di, den nur sehr weise Taoisten aus dem Gleichgewicht bringen können. Mandarin Tân ist bei allem Scharfsinn und aller Einbettung in den Konfuzianismus, dem er seine Karriere zu verdanken hat, noch eine suchende Persönlichkeit, beeinflussbar von schönen Frauen, die unheimliche Rollen spielen, mit Peitsche und Drogen hantieren, über Physik, Astrologie, Politik und Religion diskutieren, so schön und geheimnisvoll, dass man ihnen einfach nicht widerstehen kann. Natürlich wendet sich am Schluss doch noch alles zum Guten - aber sehr knapp und überraschend.

Warum der Verlag den dritten Band einer Reihe als ersten veröffentlicht, weiß keiner. Eine Begründung liegt jedenfalls nicht vor: Verlagspolitik ist nun auch mal eine düstere Angelegenheit. Aber was klar sein sollte, ist, dass der Verlag jetzt die anderen Bände auch noch publizieren muss. Denn die Krimis um den Mandarin Tân sind eine wundervolle Neuentdeckung.


Titelbild

Tran-Nhut: Das schwarze Pulver von Meister Hou. Ein Kriminalfall für Mandarin Tân.
Übersetzt aus dem Französischen von Michael Kleeberg.
Unionsverlag, Zürich 2008.
320 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783293003835

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