Theater auf Leben und Tod

Giwi Margelaschwilis metaliterarische Reflexionen

Von Jonas EngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Engelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Giwi Margelaschwili auf die Bühne tritt, gestützt von seinen Verlegern, ist das Publikum, das seinen Roman „Officer Pembry“ als Debütwerk empfunden hat, überrascht. Mit einem 80-jährigen Autor hat bei einem Buch über eine Nebenfigur aus Thomas Harris‘ „Das Schweigen der Lämmer“ wohl niemand gerechnet. Dass der 1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geborene Margelaschwili in Deutschland bereits einige Romane vorgelegt hat, ist am deutschen Publikum ebenso vorbeigegangen wie seine ungewöhnliche Biografie zwischen Georgien und Deutschland. Die Eltern waren georgische Flüchtlinge, Margelaschwilis Mutter brachte sich in Berlin früh vor lauter Heimweh nach Georgien um. Sein Vater dagegen wurde 1946 vom sowjetischen NKDW erschossen, woraufhin Giwi bei Verwandten in Georgien unterkam.

Obwohl er bereits seit 1987 wieder in Berlin lebte, hat es erst der Berliner Verbrecher Verlag geschafft, dem Autor ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu ermöglichen und bemüht sich nun, dem deutschen Publikum das umfangreiche Werk nahe zu bringen. Zwei Bände der Werkschau sind bislang erschienen, ein Roman und ein Theaterstück, und für Herbst 2008 ist ein Band mit Erzählungen angekündigt, Titel: „Der Tod eines Lesers“. Ebenso wie bei den beiden schon erschienenen Büchern deutet der Titel bereits den inhaltlichen Rahmen an. Alle Bücher Margelaschwilis drehen sich um den Kosmos des Lesens, des Lesers und des Buches, um das Hinterfragen von literarischen Strukturen und das Spiel mit Lesererwartungen.

Dieses Prinzip funktioniert mal mehr mal weniger gut, mehr im Falle von „Zuschauerräume“, weniger bei „Officer Pembry“. Die Idee des Romans „Officer Pembry“, einer „Prospektiven Kriminalpolizei“ am Ende des 21. Jahrhunderts die Aufgabe zuzuweisen, Verbrechen zu vereiteln, die in literarischen Werken angekündigt sind, ist zugegebenermaßen originell. Kommissar Meinleser, die Hauptperson, ist einer dieser mit dem Lesen von Kriminalromanen beschäftigten Angestellten, dessen aktueller Fall das etwa hundert Jahre alte „Schweigen der Lämmer“ ist, in dessen Handlung Hannibal Lecter während seiner Flucht aus dem Hochsicherheitstrakt den Wachmann Pembry brutal ermordet. Der Roman beschreibt die Überzeugungsarbeit, die Meinleser bei Pembry zu leisten hat, der nicht so recht an diese Macht oder Vorbestimmung der Literatur glauben will (und sich zu allem Überfluss auch noch in Clarence Starling verliebt hat). Nachdem er dann schließlich doch umgestimmt werden konnte und sein Schicksal abzuwenden bereit ist, beginnt die langwierige Suche nach einer geeigneten Strategie, dem literarischen Schicksal zu entgehen.

Leider fällt der Roman sprachlich hinter die durch die Handlung geweckten Erwartungen zurück. Der Leser hat mit mühsamen literarisch-philosophischen Exkursen zu kämpfen, denn die Tatsache, dass Literatur zu tödlicher Realität wird, benötigt natürlich eine theoretische Untermauerung. Diesen philosophischen Monologen Meinlesers kann man als Leser leider nur mit wenig Gewinn folgen; die ständigen „Realpersonen“ und „Buchpersonen“, „Buchweltwirklichkeiten“, „krimibibliologisch parallelen Realmordfälle“ und das „buchthematische Verhalten“ erweisen sich als sprachliche Killer des Leseflusses. Diese Bürokratisierung der literarischen Sprache könnte man natürlich als dem Thema angemessen interpretieren, wenn eben dem Leser die Verantwortung für den Tod in der Literatur zugeschrieben wird und lediglich das Nichtlesen eines Mordes diesen zu verhindern in der Lage ist. Dennoch wirken viele der Theorien etwas altbacken und auch literarisch schon zur Genüge abgegrast: das Spiel mit Lesererwartungen und der Einbezug desselben in den Lektüreprozess, das Spiel mit intertextuellen Verweisen et cetera.

Viel besser funktioniert das Spiel in Margelaschwilis Theaterstück „Zuschauerräume“, das sich dem Titel entsprechend mit dem Verhältnis von Zuschauer und Theater auseinandersetzt. Das „historische Märchen“ ist gegen Ende des 16. Jahrhunderts angesiedelt. Es geht um Grenzen, die bewacht werden, die Grenzen zwischen Adel und Volk, zwischen Staaten, die in ihrer Bedeutung hinter jene zwischen Zuschauern und Schauspielern im Theater zurückfallen. In „Zuschauerräume“ jedenfalls sind dies die Grenzen, die am stärksten umkämpft sind.

Ausgangspunkt ist des Königs Plan – natürlich gegen den Willen seiner Berater –, sein Reich seinem Volk zu schenken, und nicht nur dies, auch seine eigene Macht will er schmälern und dem Adel seine Privilegien nehmen: „Es ist höchste Zeit, daß man den Adelsstand und alle Privilegien aufhebt, daß man die Grenzen zwischen Haupt- und Nebenpersonen verschwinden läßt und das ganze blutige Theater, das sich Geschichte nennt, endlich aufhört, immer wieder neue unschuldige Opfer zu seiner Unterhaltung zu fordern.“

Das Ende des Theaters in Form eines Theaterstückes also. Hintergrund für die revolutionären Umtriebe des Königs ist aber weniger eine politische Einsicht als vielmehr sein Gefühl, permanent von einem Raum außerhalb seiner Wahrnehmung beobachtet zu werden, aus einem Zuschauerraum, wodurch die Geschichte – im doppelten Wortsinne –, in der er sich befindet, vorherbestimmt ist: „Der König haßt die Zuschauerräume, weil sie für ihn der Geburtsort allen weltgeschichtlichen Übels sind.“

In Form des Theaterstücks funktioniert die Reflexion über das Medium Theater in sehr unterhaltsamer Weise und wird gerade durch die Vielfalt der Stimmen, die alle eine andere Meinung zum Verhältnis von Zuschauer und Schauspiel kundtun, zu einer entspannteren Lektüre als sein Gegenstück in Romanform, „Officer Pembry“. Auch als Parodie funktioniert das Stück, etwa auf die Liebeskomödie, die ad absurdum geführt wird, wenn beispielsweise der von seinem vorgeblichen Freund verratene Offizier des Königs Erpich von den Häschern des Herzogs, die nicht nur die gesellschaftliche Ordnung, sondern auch die Zuschauerräume zu erhalten versuchen, vor den Augen seiner Geliebten wie auch der Zuschauer fast zu Tode gefoltert wird. Während dieses Vorgangs, bei dem der Kopf des Gefolterten immer wieder gegen die unsichtbare Vierte Wand zwischen Bühne und Publikum geschlagen wird, fleht Dornrose, seine Geliebte: „Wenn es euch gibt, warum kommt ihr dann nicht auf die Szene, um zu retten? Ihr müsst euch doch erbarmen! Ihr könnt den Mord hier oben doch nicht ruhig ansehen!“ Erpich stirbt am Ende nicht, wie in klassischen Theaterstücken, für seine Überzeugung, sondern nur für das Publikum.

Margelaschwili zwingt den Leser dazu, sich mit dem Bösen zu identifizieren, denn nur dieses gewährleistet den Fortbestand des Theaters beziehungsweise des Zuschauerraums. Dieses Spiel mit den Identifikationen ist äußerst geglückt und lässt den Leser am Ende etwas ratlos, aber auch nachdenkend zurück. Und das ist immerhin mehr als die meisten Theaterstücke zu leisten in der Lage sind.

 

Titelbild

Giwi Margwelaschwili: Officer Pembry.
Verbrecher Verlag, Berlin 2007.
197 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783935843904

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Titelbild

Giwi Margwelaschwili: Zuschauerräume. Drama.
Verbrecher Verlag, Berlin 2008.
117 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426086

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