Gegen den großen Strom

Im Gesprächsbändchen "Nahaufnahme" sperrt sich Michael Haneke gegen die Auslegung seiner Filme, diskutiert aber mit Verve Topoi und Methode

Von Lennart LaberenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lennart Laberenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es ist schwer die Welt zu verändern mit dem Geld der Leute, die sie in Ordnung finden." Zu dieser Einsicht kam der zumeist kontrovers diskutierten Regisseur Wolfgang Staudte im Laufe seiner Karriere. Dahinter steht der Impetus des Aufklärers, für den Film und die eigene Produktion eine Botschaft und eine Moral haben. In gewisser Weise ist der Film damit ein Instrument, ganz im Sinne Sergej Eisensteins eine sinnlich fassbare Utopie, de propaganda fide. Wenngleich der Ausspruch Staudtes beim österreichischen Filmregisseur Michael Haneke grundsätzlich auf Beifall stoßen müsste, gibt es doch einen entscheidenden Unterschied in der Arbeitsweise: Interessierte Staudte ein politisches Positivbild, so setzt Haneke ausschließlich auf eine privat erfahrene Empathie mit den Schmerzen und der Bitterkeit der eigenen Welt. Gegen die instrumentelle Betrachtung des Films im Sinne der positiven Utopie verwehrt er sich wortreich und präzise im jüngst mit dem "Zeit"-Redakteur Thomas Assheuer veröffentlichten Gesprächsband: "[I]ch glaube nicht an Sinn oder Effizienz einer Ideologisierung im künstlerischen Bereich. Dort kann immer nur der einzelne Mensch gemeint sein. Sonst endet man schnell bei der Propaganda, und sie ist das Gegenteil künstlerischer Differenziertheit und Komplexität."

Auf der einen Seite bekennt sich Haneke zum Kunstwerk mit seiner nicht notwendigerweise narrativen Struktur, andererseits geht es ihm explizit um die private Erfahrung in der modernen Welt des Kapitalismus: "Ich denke, es ist ,politischer' und gleichzeitig künstlerisch angemessener, dieses Ohnmachtsgefühl, die Verzweifelung und die Wut bis in die feinsten Herzverästelungen zu beschreiben und durch diese Beschreibung Reaktionen im Rezipienten hervorzurufen, als ihn mit Lösungen oder gar Gebrauchsanweisungen zu verdummen." Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, ob Haneke es nun explizit macht oder im Understatement vergräbt: Auch sein Stilmittel der Erzeugung von Empathie zielt auf eine andere Welt.

Michael Haneke, der 1942 in München geborene Sohn des deutschen Schauspielers und Regisseurs Fritz Haneke und der österreichischen Burg-Schauspielerin Beatrix von Degenschild, ist einer der wichtigsten Regisseure des zeitgenössischen deutschsprachigen Kinos, vielleicht gerade weil seine Arbeit mit Ambivalenzen spielt, sich dem generellen Drang zur positiven Auflösung versperrt und so im dialektischen Umkehrschluss eminent politisch ist. Im Gegensatz zur ästhetisch und inhaltlich belanglosen Unterhaltungs- und Bespaßungsindustrie, die weit mehr als nur das Herzstück des deutschsprachigen Films ausmacht, hat Haneke die Irritation der Gemütlichkeit, das Unbehagen des Betrachters im Blick. Den Protestantismus seiner Familie (aus der zumal im katholischen Österreich ein gewisser Antagonismus erwuchs), aus der eine gewisse Strenge stammt, vermengt er mit einer privilegierten und doch sehr einfachen Position - der Rückbindung der Struktur seiner Arbeit an seinen persönlichen Geschmack: "Ein Regisseur ist nicht dafür da, dem Zuschauer zu sagen, wo es langgeht. Ich selbst werde ganz ungehalten, wenn mir jemand in einem Film oder einem Buch erklärt, was ich denken oder empfinden soll."

Dabei geht es ihm in seiner Arbeit immer auch um eine Gegenposition zum Mainstream - soviel klingt im Gespräch mit Assheuer durch. Das Diktum Susan Sonntags beherzigend, nach dem die Interpretation des Intellektuellen dessen Rache am Künstler sei, war es das aber auch schon, was Haneke an Bedeutung zulässt. Wann immer der "Zeit"-Redakteur Intentionen erfragen oder Auslegungen besprechen will, antwortet ihm Haneke (und dem Leser kann wahlweise der strenge oder maliziöse Ton im Ohr klingen): "Wenn sie das so sehen, will ich ihnen nicht widersprechen." Haneke widersetzt sich den Zuschreibungen ganz folgerichtig: Würden wir eindeutig erfahren, von wem die Videokassetten mit den Beobachtungen der Familie stammen ("Cachè"), oder was der taubstumme Junge am Ende von "Code inconnu" uns sagt, würde das "die Szene entzaubern. Sie gewinnt ihre Schönheit ja dadurch, dass sie unsere Phantasie provoziert."

Michael Haneke offenbart sich vor den einfühlsamen und beharrlichen Fragen Assheuers im Grunde als ein Künstler, dessen Grundverständnis einerseits sehr stark in der protestantisch motivierten Perfektion der Formensprache geprägt ist, andererseits ähnlich etwa dem künstlerischen Grundverständnis von Alain Kaprow, der den Zuschauer zum Ko-Produzenten des Kunstwerkes machte, funktioniert, und schließlich als Anhänger von Robert Bresson, nach dem es nicht um schöne Kameraarbeit, nicht um schöne Bilder, sondern um "notwendige Bilder, notwendige Kameraarbeit" gehe. Weit entfernt ist Haneke von Andrei Tarkowskis strengem Formalismus, der in Korrespondenz zu seinen Dialogen steht, aber sein "Faible für Disziplin" lässt ihn sich nicht "in den Seelenzustand [des Schauspielers], sondern in seine Geographie [einmischen]" - um somit wieder an Tarkowski heranzurücken.

Gespannt können wir lesen, dass er seine Schauspieler mehr arrangiert als inszeniert, um sie aufeinander und entlang des Skripts wirken zu lassen. Wenn etwa Juliette Binoche ihm zwei Alternativen zur Szene anbieten will, antwortet er ihr, um jede oktroyierte Auslegung, jeden hierarchischen Kommentar von ihrem Spiel fernzuhalten: "Wenn du mich schon so fragst, dann möchte ich, dass du es in der einen Szene so und in der anderen Szene so spielst." Haneke spricht viel und ausdrücklich über die Methode seiner Arbeit, die wiederum seine Weltsicht wiederspiegelt. Durch die sublim insistierende Frageführung erschließt sich so einiges, so dass das schmale Bändchen über sich herauszuwachsen scheint - Filmemacher und -analysten, aber auch Kulturinteressierte, die keine Impulse für konkrete Arbeiten erwarten, können darin immer wieder ihre eigenen Fragen beantwortet finden. Allerdings ohne dass sich Haneke dabei selbst verrät.

Wie in den vorhergehenden Bänden aus der "Nahaufnahme"-Reihe gelingt es dem Alexander Verlag auch hier, einen wichtigen Stoff resolut und adäquat zu behandeln. Gleichzeitig zeigt das Buch auf, was für ein belangloses Palaver, was für eine schlichte Reproduktion von Halbbildung in einem Großteil der Interview-Formate in den Tageszeitungen vorherrscht.


Titelbild

Michael Hanecke: Nahaufnahme. Gespräche mit Thomas Assheuer.
Alexander Verlag, Berlin 2008.
180 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783895811883

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