Mord als Geschäftsgebaren

Zu Petros Markaris' Bekenntnissen über sein "Leben zwischen Istanbul, Wien und Athen"

Von Norbert MecklenburgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Mecklenburg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Petros Markaris ist uns vor allem durch eine Hand voll Romane bekannt, die den wohl markantesten griechischen Beitrag zum zeitgenössischen europäischen Kriminalroman darstellen. Sein Athener Mordkommissar Kostas Charitos gesellt sich zu Maigret, Wallander, Pepe Carvalho, Commissario Brunetti und wie sie alle heißen.

Markaris' neues Buch ist zwar wie alle seine Krimis in deutscher Übersetzung bei Diogenes erschienen, aber der Titel "Wiederholungstäter" täuscht: Es geht nicht etwa um eine Serie von Morden, sondern um eine skizzenhafte autobiografische Erzählung vornehmlich über die verschiedenen literarischen Felder, auf denen sich der Autor Markaris der Reihe nach betätigt hat: Theater, Drehbuchschreiben, literarisches Übersetzen, vor allem aber: seit fünfzehn Jahren sein wiederholtes Verfassen von Kriminalromanen.

In gewisser Weise täuscht auch der Untertitel, sofern er eine "zwischen Istanbul, Wien und Athen" ausgebreitete Lebensgeschichte erwarten lässt. Denn so viel versprechend dieser Metropolen-Dreiklang in dem Buch auch angeschlagen wird, so spärlich bleibt doch seine schriftstellerische Durchführung. Von Istanbul als Geburts- und Heimatstadt des Autors erfährt der Leser nicht viel mehr, als dass sie ihm, dem Vielgereisten, die "Stadt der Düfte" geblieben ist. Von Athen, seinem hauptsächlichen Lebens- und Arbeitsort, und seiner "Hassliebe" zu ihm lesen wir kaum mehr, als dass er ein "riesiges Betonhäusermeer" und nachts erheblich anziehender ist als bei Tage. Über Wien gibt es im ganzen Buch nicht mehr als zwei halbe Sätze, die mitteilen, dass Petros, bevor er Schriftsteller wurde, dort Wirtschaftswissenschaften studierte, um dann viele Jahre lang als Vertreter einer Zementfabrik im Nahen Osten und Maghreb zu arbeiten. Das war - wie sich später herausstellte - eine gute Schule für den Krimiautor.

Mögen Titel und Untertitel seines Buches täuschen, sein Inhalt enttäuscht keineswegs. Denn um die anregende Darstellung seiner Arbeit auf mehreren literarischen Feldern ranken sich autobiografische Skizzen und aphoristische Einsichten, die ebenso lehrreich wie locker gestrickt sind. Das erste und mit Abstand längste der vier Kapitel des Buches dreht sich - naheliegenderweise - um die späte Berufung zum Romancier. Es ist eine kleine Poetik-Vorlesung zum Genre des Kriminalromans, in die hier und da Biografisches eingeblendet wird: motiviert durch die typische Leser-Frage nach Ähnlichem und Verschiedenem im Leben von Autor Markaris und Held Charitos.

Es geht dabei unter anderem um die Beziehung des mediterranen Kriminalromans zum Essen, um das auffällige 'Mutter-Syndrom' seiner männlichen Kommissare, um die denkwürdige Korrespondenz zwischen rückständigen Gesellschaften und gutem Essen, um Zunahme der Grausamkeit von Mordfällen bei schwedischen Krimiautoren im Gegensatz zu südeuropäischen - Markaris liefert dafür eine ebenso einleuchtende wie makabre Erklärung. Vor allem geht es um den Aufstieg der Städte zu den eigentlichen Helden des modernen, anspruchsvollen, meist gesellschaftskritischen europäischen Kriminalromans, in dem mehr und mehr Wirtschaftsverbrechen vorherrschen. "Heute ist Mord Teil des Geschäftsgebarens." Bertolt Brecht, den Markaris extensiv und intensiv studiert und ins Griechische übersetzt hat, lässt grüßen: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank.

Der Drehbuchschreiber Markaris verdient Aufmerksamkeit vor allem als mehrfacher Co-Autor des überragenden Filmregisseurs Angelopoulos, mit dem er seit 1971 befreundet ist, das heißt seit den Jahren der Junta-Herrschaft in Griechenland. Das interessante Kapitel darüber spart nicht mit bissigen Seitenhieben auf die TV-Kultur, das "Gebrabbel der Fensterchen", das "privaten Blödsinn zum öffentlichen Schauspiel" macht. Ebenso interessant aber ist auch das Brecht-Kapitel, in dem überzeugend auch Parallelen zu Angelopoulos gezogen werden. Theater war die "erste Liebe" des jungen Petros, aber erst Besuche beim Berliner Ensemble im Jahr 1960 brachten ihn darin wirklich voran. Als linker Junta-Gegner und 'Brechtologe' verfasste Markaris mit "Die Geschichte des Ali Redscho" nicht nur seine brechtischste Arbeit, sondern auch eine der nachhaltigsten Widerstandsäußerungen gegen die Militärdiktatur im Bereich der Kunst.

Da nach Griechisch und Türkisch Deutsch seine dritte Sprache, seine "Bildung eher deutsch als griechisch" und nahezu seine ganze Lektüre auf Deutsch erfolgt ist, nimmt es nicht wunder, dass sich Markaris auch großes Verdienst als Übersetzer aus dem Deutschen erworben hat. Von diesem Arbeitsfeld handelt das letzte Kapitel des Buches, insbesondere von seinem letzten Projekt: einer Gesamtübersetzung von Goethes "Faust" plus Kommentar. Wer nicht Neugriechisch kann, vermag diese Leistung zwar nur zu ahnen, aber der Rezensent hat größtes Vertrauen zu ihr, seitdem er Markaris bei einer Goethe-Tagung in Istanbul über "Faust als Komödie" hat sprechen hören - so etwas ebenso Erfrischendes wie Aufschließendes bekäme kein deutscher Germanist hin!

Zu bedauern bleibt, dass die eingeblendeten autobiografischen Skizzen, besonders über Herkunft - väterlicherseits aus einer armenischen Familie -, Kindheit und Jugend in Istanbul, allzu skizzenhaft geblieben sind. Wie markant ist dagegen, was mit wenigen Worten über die Borniertheit der griechischen Minderheit, den Nationalismus der türkischen Mehrheit in der Bosporus-Metropole gesagt wird, über den erzwungenen Exodus, über die brutale finanztechnische 'Türkifizierung' des Kapitals 1942 bis 1944 - ein dunkles, in der Türkei tunlichst verdrängtes Kapitel. Wie anrührend skizziert ist das Hin- und Herpendeln des jungen Petros zwischen dem Elternhaus auf einer der Prinzeninseln im Marmarameer, Chalki, türkisch: Heybeliada, und der 'poli', der Metropole, wo er auf einem "St. Georgs-Kolleg" zur Schule ging, um Kosmopolit zu werden. Aber eben leider nur skizziert.

Lange Erzählungen zu produzieren, langweilte den Autor Markaris bisher. Vielleicht aber wird er noch altersweise und erzählt uns mehr über diese Istanbuler Jahre und auch über den türkisch-griechisch-deutsch-österreichischen Städte-Drei- oder Vierklang in seinem bunten Leben.


Titelbild

Petros Markaris: Wiederholungstäter. Ein Leben zwischen Istanbul, Wien und Athen.
Diogenes Verlag, Zürich 2008.
192 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783257066395

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