Von Julies Sehnsucht, in der Luft zu sein
Erlend Loe und seine potenzielle Selbstmordkandidatin
Von Christina Langner
Auf ihr eigenes Leben legt die achtzehnjährige Julie derzeit nicht besonders viel Wert. Sterben möchte sie. Ganz unverständlich ist das gleichwohl nicht, hat sie doch unlängst ihre Mutter, ihren Vater und ihren Bruder bei einem Flugzeugabsturz verloren. Nun lebt sie allein in einer Osloer Villa, verdammt zum Leben und schildert dem Leser durch ihre Tagebucheinträge, wie sie schon bald diese für sie nun sinnlos erscheinende Welt verlassen möchte.
So tragisch die Geschichte, so schräg, komisch und stellenweise geradezu irrsinnig witzig ist die Art, auf die Erlend Loes Figur sie erzählt. Julies Nachsinnen über den besten Weg, sich "um die Ecke zu bringen", bringt tatsächlich überaus kreative Ideen hervor: In ihrem ganz eigenen tragisch-witzigen Stil überlegt sie etwa, ob sie nicht einfach eine Mohammed-Karikatur veröffentlichen sollte, "dann kommt vielleicht ein Muslim und nimmt mir den Selbstmord ab. Das wirkt verlockend".
Dass es Julie durchaus ernst ist mit der Sache, zeigt sich schon bald. Weder die Bemühungen ihrer Schulfreundin Constance die rührende Sorge des polnischen Fliesenlegers Krzysztof noch die Sitzungen mit ihrem Therapeuten, dem "Psycho-Geir", können sie von dem Versuch abbringen, sich während einer Theateraufführung zu erhängen. Der Versuch schlägt fehl, sie landet im Krankenhaus und probiert es dort gleich noch einmal, wieder vergebens. Die Zeit danach, nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, wird für Julie schwerer als die davor. Der Selbstmord war ihre Lösung, die jetzt keine mehr zu sein scheint. Sie weint sehr häufig, sehr viel und sehr hingebungsvoll über alles Mögliche, macht sich urplötzlich auf zum Flughafen, um einfach irgendwo hinzufliegen und auf diese Weise, wenn auch nur für eine gewisse Zeit, ihre Sehnsucht danach zu stillen, "vom Erdboden zu verschwinden" und "in der Luft zu sein".
Skurril, liebevoll, schlicht und ungewöhnlich: Mit diesen Adjektiven lässt sich auch das jüngste Stück Literatur des Norwegers Erlend Loe beschreiben. Julies tragische Geschichte geht - ganz ohne übertriebene Sentimentalität - ans Herz und wird, so einfach sie daherkommt, zu einem bald perfekten Symbol für die menschliche Existenz. Fragen nach Sinn und Unsinn, nach den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Lebens treiben Julie um und führen sie letztlich zurück zur Lust am Leben.
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