Der Ehrenmann und der Spekulant

Vom Bild des Unternehmers in Thomas Manns Buddenbrooks mit einem Vergleich zu Alexander Kiellands Roman Fortuna

Von Tatjana Kielland SamoilowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tatjana Kielland Samoilow

Gesellschaftskritische Romane des 19. Jahrhunderts, wie die von Honoré de Balzac, Charles Dickens, Gustav Freytag, Emile Zola, Friedrich Spielhagen oder des norwegischen Autors Alexander Kielland, thematisieren häufig Aspekte der kapitalistischen Gesellschaft. Der rücksichtslose Kapitalerwerb durch Land- und Börsenhandel sowie durch Schwindlereien spielt hier eine zentrale Rolle. Thema dieses Essays ist die Figur des Spekulanten in Thomas Manns erstem Roman, "Buddenbrooks" (1901), sowie ein Vergleich mit Alexander Kiellands "Fortuna" (1884). Dass Mann bei der Ausarbeitung der "Buddenbrooks" unter anderem von Kielland beeinflusst war, ist nachgewiesen. Kielland wurde Ende des 19. Jahrhunderts (und um die Jahrhundertwende), gemeinsam mit Henrik Ibsen, Jonas Lie und Bjørnstjerne Bjørnson, als einer der vier großen Schriftsteller der norwegischen Literatur verkauft und auch ins Deutsche übersetzt. Diese Autoren sind Repräsentanten für den sogenannten "Modernen Durchbruch", einer literaturgeschichtlichen Strömung des Realismus und Naturalismus in Skandinavien zwischen 1870 und 1890. Diese hatte starken Einfluss in Europa und vor allem in Deutschland. Weitere bekannte Vertreter sind der schwedische Dramatiker August Strindberg und die dänischen Autoren Herman Bang, J.P. Jacobsen und Henrik Pontoppidan. Die Frontfigur des Modernen Durchbruchs war der dänische Literaturkritiker Georg Brandes, dessen Werk "Hauptströmungen in der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts" auch nachweislich die Ausformung des historischen Hintergrunds in den "Buddenbrooks" beeinflusst hat. Kennzeichnend für diese Bewegung war ihr gesellschaftskritisches Engagement. Kiellands Schriften sind scharfe Angriffe auf das Schulwesen, die Ausnutzung des Proletariats durch das Bürgertum, die Doppelmoral der Kirche und die Heuchlerei überhaupt. Vereinfacht gesagt benutzt Kielland die literarische Form zum politischen Zweck und so wurde er von vielen als Tendenzdichter aufgefasst. Der Kapitalismus und seine Folgen ist ein wiederkehrendes Thema in seinen Werken, von seinem ersten Roman "Garman & Worse" (1880) bis zu seinem letzten, "Jacob" (1891). In "Fortuna" (1884), dem zweiten Teil einer Trilogie über Abraham Løvdahl ("Gift - Fortuna - Johannesfest"), schildert Kielland die Konsequenzen der weltweiten Finanzkrise der 1870er- und 1880er-Jahre, deren Ausmaß er unter anderem mit wilden Spekulationen in Verbindung setzt. Der Spekulant ist eine spezifisch kapitalistische Erscheinung, die sowohl in "Fortuna" als auch in den "Buddenbrooks" mit Unehrlichkeit gleichgesetzt wird. Im Folgenden möchte ich mich hauptsächlich auf die Figur des Spekulanten in den "Buddenbrooks" konzentrieren und gegen Ende eine Parallele zu Kielland ziehen.

Interpretationen des Unternehmerbildes in Thomas Manns "Buddenbrooks" konzentrieren sich häufig auf eine Gegenüberstellung der beiden konkurrierenden Firmen - Buddenbrook und Hagenström. Meines Erachtens fungiert jedoch nicht so sehr der moderne Unternehmer Hagenström als Gegenpol zu den Buddenbrooks, sondern die Figur des auf der Grenze des Gesetzes balancierenden Spekulanten. Das Ziel eines Spekulanten ist es, durch kurzfristige, risikoreiche Transaktionen aus Geld mehr Geld zu machen - die Kapitalakkumulation also, um es mit Karl Marx auszudrücken. Das Element der Spekulation wird in der Forschung zwar immer wieder hervorgehoben, der Spekulant selber wird jedoch meines Erachtens nicht in ausreichendem Maße als eigene Figur oder eigenes Motiv analysiert - und das, obwohl zahlreiche Spekulanten auftauchen und viele kleine unehrliche Geschäfte erwähnt werden. Wie bewusst Mann den Aspekt der Spekulation eingebaut hat, wird auch deutlich, wenn man den Brief Onkel Martys, bei dem Mann Erkundigungen eingeholt hat, studiert. Als Ursachen für Firmenuntergänge gibt dieser unter anderem folgende an: wilde Spekulationen durch einen Teilhaber oder Sohn, Termingeschäfte, übertriebenen Wechselhandel und Kauf auf Akzept, teures Geld durch Transaktionen mit Bankiers. Diese Geschäftsarten, welche mehr oder weniger deutlich in die "Buddenbrooks" integriert wurden, sind im 19. Jahrhundert zwar nichts Neues, treten jedoch immer häufiger auf und weisen auf eine Schwächung der Geschäftsmoral hin. Man kann in den "Buddenbrooks" eine unterschwellige Diskussion erkennen, in der die Rolle des Kaufmannes neu verhandelt wird. Auf der einen Seite wird das Bild des ehrenvollen Kaufmanns dargestellt, der gesellschaftlich und politisch engagiert sowie prinzipienfest ist, langfristig denkt und nach dem traditionellen Moralkodex: "Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können!" handelt. Auf der anderen Seite steht das Bild des Kaufmannes, welcher, um es mit Christian Buddenbrooks Worten auszudrücken: "Eigentlich und bei Lichte besehen [ein] Gauner [ist]". Die Tugend des Bürgertums wird durch den gesellschaftlichen "Willen zum Geld", also durch die Fetischisierung des Geldes, herausgefordert. Dass dies im Roman thematisiert wird, lässt sich bereits im ersten Teil nachweisen. Bei der Einweihungsfeier kommt das Gespräch auf die Julimonarchie. Der Konsul Jean Buddenbrook rühmt diese und spricht von "praktischen Idealen", woraufhin sein Vater vor Verdruss in den Dialekt verfällt und sagt: "Praktische Ideale... na, ja... [...] Da schießen nun die gewerblichen Anstalten und die technischen Anstalten und die Handelsschulen aus der Erde, und das Gymnasium und die klassische Bildung sind plötzlich Bêtisen, und alle Welt denkt an nichts, als Bergwerke ... und Industrie... und Geldverdienen... Brav, das alles, höchst brav! Aber ein bißchen stupide, von der anderen Seite, so auf die Dauer - wie?".

Der alte Buddenbrook bezeichnet dieses Streben nach dem reinen Geldverdienen, welches er auch mit dem Verfall der Bildung und des Bildungsbürgers in Verbindung setzt, als stupide. Dies wird wiederum später von Thomas aufgegriffen, als jener darüber klagt, wie sehr sich der Kaufmannstand geändert hat, da das persönliche Eingreifen des Kaufmannes allmählich aus der Mode kommt und der Geschäftsmann nur noch ein Bürokrat ist. "Ach" sagt er zu seinem Freund Stephan Kistenmaker, "ich fürchte beinahe, daß der Kaufmann eine immer banalere Existenz wird, mit der Zeit". Das Dasein Thomas Buddenbrooks wird so auch als eine hohle Existenz geschildert, in der er nur noch eine Rolle füllt. Ein typischer Repräsentant für eine solche stupide Fixierung auf das Kapital und dessen Erhöhung ist der Spekulant, der, frei von Idealen und Bildung, nur nach dem Geld strebt. Der Geist des Spekulanten, um es mit den Worten des deutschen Soziologen und Volkswirts Werner Sombart auszudrücken, ist, dass dieser nicht mehr durch äußeren Zwang handelt, sondern durch einen inneren Zwang. Die treibende Kraft des Spekulanten ist die Hoffnung - auf Geld, Reichtum und Macht. In den "Buddenbrooks" wird der Moralcodex des ehrenvollen Kaufmanns, den die Buddenbrooks repräsentieren, herausgefordert.

Der Wahlspruch der Firma, der die Moral des bürgerlichen Kaufmanns ausdrücken soll, wird dreimal angeführt. Das erste Mal, als wir zu Beginn des zweiten Teils der "Buddenbrooks" einen Überblick über die Geschichte von Familie und Firma erhalten, als der Konsul in den Familienpapieren blättert. Hier kann kein Zweifel an der Solidität des Credos gehegt werden. Während der Wahlspruch zu diesem Zeitpunkt also noch deckend für das Bild des Kaufmanns ist, wird er in den folgenden zwei Nennungen problematisiert und herausgefordert. Das erste Kapitel im vierten Teil besteht aus drei Briefen. Der zweite ist vom Konsul Buddenbrook an seinen Sohn Thomas gerichtet, welcher sich zu diesem Zeitpunkt zur Ausbildung in Holland befindet. Thomas spielt mit dem Gedanken, das Handeln der Firma auch auf den Export auszuweiten, wovon sein Vater ihm jedoch abrät: ,,,Ich habe mich zu einer Zeit als die Konkurrenz in diesem Geschäftszweige noch sehr gering war (während sie jetzt erheblich gewachsen) gleichfalls mit diesem Gedanken beschäftigt und, so weit Raum und Gelegenheit dazu vorlagen, auch einige Experimente gemacht. Meine Reise nach England hatte hauptsächlich den Zweck, auch in diesem Lande Verbindungen für meine Unternehmungen nachzusuchen. Ich ging zu diesem Ende bis Schottland hinauf und machte manche nutzbringende Bekanntschaften, erkannte aber alsbald auch den gefährlichen Charakter, welchen die Export-Geschäfte dorthin an sich trugen, weshalb eine weitere Kultivierung derselben in der Folge auch unterblieb, zumal ich immer des Mahnwortes eingedenkt gewesen bin, welches unser Vorfahr, der Gründer der Firma, uns hinterlassen [...]'".

Bei seinem Besuch in Schottland wurde die Kaufmannsmoral des Konsuls bereits auf eine Probe gestellt, welche er jedoch bestand. Interessant ist, dass sich der Charakter des unehrlichen Kaufmanns und Spekulanten sehr weit weg befindet - am Ende Schottlands. Johann Buddenbrook konstituiert den Spekulanten also als etwas Fernes und Fremdes, obwohl er ihm gar nicht so fremd erscheinen kann, da Christian und Thomas bereits als Kinder den Versuch unternommen hatten, sich durch ein spekulatives Geschäft zu bereichern. Als sie zwei Anzüge beim Schneider in Auftrag gaben, bewegten sie diesen dazu, die Rechnung auf 80 statt 70 Courantmark auszustellen und ihnen die Zwischensumme auszuzahlen. Als dies dem Konsul zu Ohren kam, erhöhte jener seinen Söhnen das Taschengeld, denn es heißt: "Führe uns nicht in Versuchung". Diese Anekdote greift den späteren Kauf der Pöppenrader Ernte vorweg, denn es ist ja gerade eine solche Versuchung, die zu dem Handel führt.

Das Wesentliche in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass der Konsul den deutschen Kaufmann im Allgemeinen als ehrlich einzuschätzen scheint. Auf diesem Hintergrund kann auch sein Entsetzen erklärt werden, als er erkennt, welchem Komplott er verfiel, als er seine Tochter an Bendix Grünlich vergab. Als Grünlich vor dem Konkurs steht und der Konsul ihm mitteilt, dass er keine finanzielle Hilfe leisten wird, kommt es zu einer unangenehmen Auseinandersetzung zwischen dem Konsul, Grünlich und dem Bankier Kesselmeyer: "Der Konsul stand totenblaß an der Thür, den Griff in der Hand. Das Grauen rann ihm den Rücken hinunter. Befand er sich in dieser kleinen, unruhig beleuchteten Stube allein mit einem Gauner und einem vor Bosheit tollen Affen? [...] ,Herr, ich verachte Ihre Worte', brachte er mit geringer Sicherheit hervor. ,Ich verachte Ihre wahnsinnigen Verleumdungen um so mehr, als sie auch mich treffen... mich, der ich meine Tochter nicht leichtfertiger Weise ins Unglück gebracht habe. Ich habe sichere Erkundigungen über meinen Schwiegersohn eingezogen... das Übrige war Gottes Wille!'"

Er wandte sich, er wollte nichts mehr hören, er öffnete die Tür. Aber Herr Kesselmeyer schrie ihm nach: ",Ahah? Erkundigungen? Bei wem? Bei Bock? Bei Goudstikker? Bei Petersen? Bei Maßmann & Timm? Die waren ja alle engagiert! Die waren ja Alle ganz ungeheuer engagiert! Die waren ja Alle ungemein froh, daß sie durch die Heirat sicher gestellt wurden".

Der Konsul schlug die Tür hinter sich zu".

Der Schock des Konsuls ist genuin. Er, der niemals Geschäfte gemacht hatte, die ihn um den Schlaf gebracht hätten, der nur in Schottland mit dieser Art Handel "gefährlichen Charakters" in Berührung gekommen ist, wurde von allen betrogen. Das Wort "alle" wird in Kesselmeyers Rede ja mehrfach wiederholt und stellt somit den gesamten Kaufmannsstand in Frage.

Das Ethos des ehrenvollen Kaufmanns wird endgültig beim Kauf der Pöppenrader Ernte herausgefordert. Das Gespräch zwischen Tony und Thomas kann wie eine Diskussion über die Kaufmannsnatur interpretiert werden. Nach einem Besuch bei ihrer Schulfreundin Armgard in Rostock berichtet Tony ihrem Bruder über die miserablen Verhältnisse dieser Adelsfamilie, die auf das Handeln von Armgards Mann Ralf von Maiboom zurückgeführt werden können. Der, so heißt es: "spielt in Rostock, er spielt in Warnemünde, und seine Schulden sind wie Sand am Meer". 35.000 Courantmark Schulden sind innerhalb von zwei Wochen fällig und Maiboom muss aus diesem Grund seine Ernte vorzeitig - auf dem Halm - verkaufen. Thomas will zunächst nichts davon wissen, er möchte niemanden "brutal ausbeuten" und "Wucherprofit" erzielen.

",Ich habe von solchen Geschäften hauptsächlich aus Hessen gehört, wo ein nicht kleiner Teil der Landleute in den Händen von Juden ist... Wer weiß, in das Netz welches Halsabschneiders der arme Herr von Maiboom gerät'".

Thomas' Hinweis auf die Juden in Hessen ist eine fast genaue Übernahme aus dem Brief seines Onkels Marty: "Getreide auf den Halm kaufen dürfte hier wohl kaum vorgekommen sein. M.W. werden derartige Geschäfte in Hessen gemacht, wo der Landmann vielfach in den Händen von Juden ist". Meine Aufgabe ist es nicht, antisemitische Untertöne zu diskutieren. Das stereotype Bild vom Juden als unehrlichem, geldgierigem Halunken war ein Produkt seiner Zeit, das sowohl in der schönen Literatur als auch in der Prosa immer wieder auftaucht. Die Funktion dieser Aussagen besteht darin, sich vom unehrlichen Spekulanten abzugrenzen. Dieses Dreigestirn - Kaufmann, Adel, Jude - lässt sich auf einen Einfluss von Gustav Freytags "Soll und Haben" zurückführen, in dessen Werk der Kaufmann mit Tugend, der Adelige mit Frivolität und der Jude mit Habgier gleichgesetzt wird. In den "Buddenbrooks" wird die Differenz dieser drei Typen aufgelöst. Dies wird deutlich, als Thomas den Vergleich erneut aufnimmt: ",Du weißt, unter [den adeligen Gutsbesitzern] ist Dieser und Jener, der den Kaufleuten, obgleich sie ihm doch so nötig sind, wie er ihnen, nicht allzu viel Hochachtung entgegenbringt, die - bis zu einem Gewissen Grade anzuerkennende - Überlegenheit des Produzenten über den Zwischenhändler im geschäftlichen Verkehre allzu sehr betont und, kurz, den Kaufmann mit nicht sehr anderen Augen ansieht, als den hausierenden Juden, dem man, mit dem Bewußtsein, übervorteilt zu werden, getragene Kleider überläßt. Ich schmeichle mir, im Allgemeinen den Eindruck eines moralisch minderwertigen Ausbeuters auf die Herren nicht gemacht zu haben [...]'".

Während Thomas im ersten Textabschnitt den Juden und den Halsabschneider gleichsetzt, handelt es sich in dem zweiten Zitat um einen Vergleich zwischen Juden und Kaufmann. Thomas distanziert sich von jeglicher Unehrlichkeit und Halsabschneiderei, während die Umwelt (hier der Adel), den Kaufmann als eher unehrlich einschätzt und damit Christians Auffassung, alle Kaufmänner seien Gauner, stützt.

Tonys Reaktion auf Thomas' ablehnende Haltung ist ebenfalls eine Distanzierung von dem Ausbeuter: "Juden? Halsabschneider?" ruft sie, "Aber es ist von dir die Rede, Tom, von dir!". Tony appelliert hier an den Ehrenmann. Was sie hervorhebt, ist nicht der Profit, den Thomas bei diesem Geschäft herausschlagen kann, sondern die Hilfe, die er ihrer Freundin Armgard leisten würde. Dies ist letztendlich der Vorwand, unter dem der Kauf vorgenommen wird.

Das Geschäft endet bekanntlich damit, dass die Firma Buddenbrook am Tage des hundertjährigen Jubiläums bei dieser Transaktion 40.000 Courantmark verliert. Die Hundertjahrfeier bildet den dramatischen Höhepunkt des Romans. Trotz Thomas' Versuch, dies zu verhindern, wird das Ereignis mit Prunk und Pracht gefeiert. Als Hochachtungszeichen an die renommierte Firma wird Thomas eine massive Gedenktafel überreicht, in der der Spruch mit hohen gotischen Lettern eingraviert ist: "Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können". Diese letzte Erwähnung des Spruches erhält einen ironischen Beiklang, der sich verstärkt, als der Senator nur wenig später erfährt, dass die Ernte durch Hagel, welchen die Gäste auf das Glasdach prasseln hören, zerstört worden ist. Der Moralcodex ist durch dieses Spekulationsgeschäft gebrochen, was auch Thomas erkennt, der nur noch sagen kann: "Es ist gut so!". Diese fehlgeschlagene Transaktion führt zu dem endgültigen Umschlag des Unternehmers Thomas Buddenbrook, welcher von nun an jegliche Lust an der Arbeit verliert.

Was für eine zentrale Rolle diese Episode - und das Thema der Spekulation allgemein - spielt, zeigt die Tatsache, dass im ersten Teil des Romans bereits auf sie vorgegriffen wird. Während des Essens zur Feier des neuen Hauses der Familie Buddenbrook wird das Thema auf die vorherigen Hausbesitzer und den Fall dieser Firma (und damit auch der Familie) gelenkt. So analysiert der Makler Grätjens: ",wenn man bedenkt, welcher Wahnsinn den Ruin herbeiführte... Wenn Dietrich Ratenkamp damals nicht diesen Geelmaack zum Kompagnon genommen hätte! [...] Ich weiß aus bester Quelle, meine Herrschaften, wie gräulich der hinter Ratenkamps Rücken spekuliert und Wechsel hier und Accepte dort auf Namen der Firma gegeben hat...Schließlich war es aus... Da waren die Banken mißtrauisch, da fehlte die Deckung'".

Die Geschichte der früheren Hausbesitzer greift nicht nur auf den Fall der Familie und der Firma Buddenbrook voraus, er führt auch den "neuen" Typus Geschäftsmann ein: den Spekulanten und Betrüger. Der Name Geelmaack setzt sich aus zwei plattdeutschen Wörtern zusammen: Geel ist Gelb. Die Farbe Gelb wird traditionell mit Gold, also auch mit Geld assoziiert. "Maacker" kann von "maken" (machen) oder "Macker" (Kamerad) abgeleitet werden. Somit wird Geelmaack zum Gelb/Geldmacher oder Geldkameraden. Der Name spiegelt in der ersten Variante das Ethos des Kapitalismus, das der Kapitalakkumulation, wieder, in der zweiten - Geldkamerad - kann man ihn als Warnung vor der falschen Freundschaft mit dem Geld lesen. Wie Georg Potempa festgestellt hat, braucht man nur Ratenkamp mit Buddenbrook, und Geelmaack mit Herrn Marcus auszuwechseln sowie die Rolle des Geschäftsführers und seines Teilnehmers umzutauschen, und schon ist die Zukunft der Firma und Familie vorweg genommen. Ich möchte an dieser Stelle einen Vergleich mit, und einen möglichen Einfluss durch Kielland aufzeigen.

Kiellands Roman "Fortuna" handelt unter anderem von der chemischen Fabrik "Fortuna", welche durch die Bürger der Stadt Stavanger finanziert worden ist, deren Existenzgrundlage jedoch auf einer Illusion beruht. Die Fabrik ist das, was man eine Finanzblase nennt. Der Mechanismus, welcher hinter der Etablierung derartiger Aktiengesellschaften steht, wurde bereits Ende des 18. Jahrhunderts von Daniel Defoe beschrieben: "Es gibt leider nur zu viele prahlerische Anpreisungen von neuen Entdeckungen, neuen Erfindungen, neuen Maschinen und anderem mehr, die, über ihren wahren Wert heraus gestrichen zu etwas großem werden sollen, falls die und die Summen aufgebracht und die und die Maschinen gemacht sind. Solche Scheinerfindungen haben die Phantasie Leichtgläubiger so erregt, dass sie auf einen bloßen Schimmer von Hoffnungen hin Gesellschaften gebildet, Komitees gewählt, Beamte ernannt, Aktien ausgeschrieben, Kontobücher eingerichtet, große Kapitalien aufgenommen und einen leeren Begriff dermaßen in die Höhe getrieben haben, daß viele Leute sich haben verleiten lassen ihr Geld gegen Aktien an ein neues Nichts hinzugeben".

Es ist ein solcher Mechanismus, der bei Kielland in Romanform dargestellt wird. Nachdem sich der betrügerische Gründer der Fabrik noch rechtzeitig aus dem Geschäft zurückzieht, wird der in der Stadt anerkannte Professor Carsten Løvdahl Direktor und versucht, die Fabrik gemeinsam mit seinem Geschäftsführer Marcussen durch wilde Spekulationen zu retten. Als die Fabrik letztendlich untergeht, reißt sie die ganze Stadt mit sich. Kielland zeigt also in seinem Roman in kleinerem Rahmen die Konsequenzen der kapitalistischen Weltkrise.

Es ist die Figur des Geschäftsführers Marcussen, die in diesem Zusammenhang interessant ist, da dieser vom - nur am Rande erwähnten - Spekulanten Geelmaker widergespiegelt wird. Als der Bankdirektor ahnt, dass die Fabrik nicht so solide ist wie es erscheint, fordert er die Einlösung von Wechseln. Als Rettung schlägt Marcussen vor, den Kredit der Fabrik voll auszunutzen. Auf dem Namen Løvdahls könne er sofort eine Millionen Kronen zusammenbringen:

",Die Fabrik', sagte [Professor Løvdahl], ,hat ja einige Schulden.'

,Das beste wäre, man ließe die Fabrik zum Teufel gehen', meinte Marcussen offenherzig.

,Aber Marcussen! Wie können Sie -.'

,Entschuldigen Sie, Herr Professor, ich meinte nur, die Fabrik geht beinahe über unsere Kräfte.'

,Die Fabrik muß gehen. Sie und alle die anderen klugen Herren sollen sehen; kein Wort mehr davon. Was meinen Sie damit: unseren Kredit benützen?'

Marcussen sah seinen Chef unsicher an. Er hatte seine kaufmännische Ausbildung in Geschäften empfangen, wo man es sehr gut verstand, seinen Kredit bis zum äußersten auszunutzen.

,Wir gehen in die Bank von Norwegen und holen so viel Geld, wie wir haben wollen', sagte er lächelnd.

,Aber Deckung, Valuta.'

Jetzt schien es Marcussen an der Zeit, die Unschuldsmiene fallen zu lassen, und er erklärte daher flott und fließend: ,Wir trassieren für den Betrag, den wir heute brauchen, z.B. auf O.T. Falch-Olsen in Kristiania mit sechs Tagen Sicht, diskontieren den Wechsel in der Bank von Norwegen und senden heute Abend mit der Post unser auf drei Monate lautendes Akzept zur Deckung.'

,Hm - ja! Das könnten wir ja tun', erwiderte der Professor; er, der sich erst in späteren Jahren mit diesen Sachen beschäftigt hatte, konnte sich nicht so rasch wie Marcussen in diesen Wechselgeschichten zurechtfinden; er ließ sich darum immer leicht imponieren und überließ solche Dinge gern seinem bevollmächtigten Geschäftsführer'".

Wie Geelmaack wird Marcussen als ein Künstler mit Wechseln beschrieben, der in ungeheurem Tempo hier und dort mit Wechseln handelt und schließlich, wie Geelmaack, Akzepte auf dem Namen der Firma gibt. Wie bei Ratenkamp und Geelmaack, werden die Banken auch in "Fortuna" misstrauisch und fordern schließlich ihr Geld. Auch die Namensverwandtheit "Marcus" und "Marcussen" kann auf den Einfluss Kiellands hindeuten.

Der Aspekt der Spekulation, welcher in der gesellschaftskritischen Literatur des 19. Jahrhunderts immer wieder behandelt wird, ist in "Fortuna", anders als in den "Buddenbrooks", Hauptthema. Der Spekulant verkörpert die äußerste Konsequenz des Kapitalismus und stellt einen Menschen dar, der bar von Bildung und moralischen Skrupeln, nur nach dem Profit strebt und somit eine vollkommen banale Existenz repräsentiert. Thomas Mann problematisiert in den "Buddenbrooks", beeinflusst vom skandinavischen, russischen und französischen Realismus, hintergründig den Unternehmer in der kapitalistischen Gesellschaft.