Zwei Männer, ein Kind

Simon Becketts Thriller „Obsession“ handelt vom Desaster der Vaterschaft

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leiden der abgeschafften Väter geht gelegentlich durch die Presse, wie auch die Leiden der überforderten alleinstehenden Mütter immer wieder für Aufsehen sorgen. Trennen sich hier die Klagewege der Geschlechter, ist das Entsetzen über geschändete Kinder mittlerweile zum Generalbass der moralgesäuerten Öffentlichkeit geworden: Ein nach verbüßter Haft entlassener Kinderschänder wird aus dem Dorf vertrieben, in dem er bei Verwandtschaft Unterschlupf gefunden hatte. Die Sperrung von Kinderpornoseiten findet grandiosen Beifall. Die Vernachlässigung von Kindern, die zum Teil bis zu deren Tod geführt hat, sorgt immer noch für mediales Aufsehen und demonstratives Entsetzen. Die Sorge ums Kind scheint also auch in unserer angeblich so verrohten Gesellschaft immer noch eines der zentralen Themen zu sein, unabhängig davon, ob es sich hier nur um die nächste Sau handelt, die durchs Mediendorf getrieben wird, oder um virulente Probleme der Strafverfolgung und Verbrechensvermeidung. Das führt naheliegend auch zu merkwürdigen Konjunkturen im Kriminalgenre.

Während im Krimi Macht- und Kindesmissbrauch in der Regel eng verknüpft werden, hat der englische Krimiautor Simon Beckett einen anderen Ansatz gewählt. Ihm geht es um eine Art leidenschaftlicher Vaterschaft und um die Konfrontation von gleichermaßen gerechtfertigten Ansprüchen, die allerdings keinen Ausgleich möglich machen.

Der Entwurf: Ben ist erfolgreicher Fotograf, verheiratet und hat ein Kind, das seine Frau mit in die Beziehung gebracht hat. Alles läuft soweit ungemein gut, eine glückliche Ehe, woran sich auch nichts ändert, als sich herausstellt, dass Jacob, so der Name des Jungen, ein Autist ist. Der Umgang mit dem Jungen ist schwierig, er hat seine festen Routinen, die mit ungemein großer Regelmäßigkeit eingehalten werden sollen, seine Außenwahrnehmung ist ansonsten stark reduziert. Dennoch sind Ben, Sarah und Jacob nicht nur eingespielt, sondern glücklich. Vieles könnte besser sein – aber so wie es ist, hat jeder seinen Platz und alles ist gut. Bis Sarah eines Tages unvermittelt stirbt. Nicht dass das irgendetwas an Bens Zuneigung für Jacob ändern würde. Auch wenn die Verantwortung für den Jungen nun allein auf ihm lastet, wird er ihr in aller seiner Niedergeschlagenheit doch gerecht.

Alles ändert sich jedoch in dem Moment, in dem Ben eine Kassette findet, in der Sarah Zeitungsausschnitte aufbewahrt hat, die vom Verschwinden eines Jungen direkt nach der Geburt berichten. Der fragliche Junge ist am selben Tag geboren wie Jacob. Ein erster böser Gedanke ist da. Kurz danach erfährt Ben von einer engen Freundin Sarahs, einer Hebamme, dass dieser absurde Gedanke der Wahrheit entspricht: Sarah hat den Jungen aus Verzweiflung entführt und für ihr eigenes Kind ausgegeben. Ihr eigenes Kind hat sie nach einer Fehlgeburt auf einer öffentlichen Toilette in Panik in einen Mülleimer gelegt. Es blieb verschwunden.

Ben kann es nicht glauben und muss es doch, zu ähnlich ist der leibliche Vater Jacob. Bens zögerlicher Versuch, die leiblichen Eltern zu finden, enden im Fiasko. Der Detektiv, den er engagiert, versucht ihn zu erpressen und geht, als Ben sich nicht darauf einlässt, zum Vater, einem ehemaligen Soldaten, der auf einem Schrottplatz arbeitet und der mittlerweile in einer neuen Ehe mit einer ehemaligen Prostituierten lebt. Ben bleibt nichts anderes übrig, als zur Polizei zu gehen und den Kindesdiebstahl anzuzeigen. Jacob wird, nach langem hin und her (mit dem erwarteten Medienspektakel) seinem leiblichen Vater übergeben (die Mutter ist lange tot), Ben erhält ein Besuchsrecht.

Soweit könnte alles geregelt sein, Ben könnte ein bisschen leiden und zugleich erleichtert sein, weil er die Last mit Jacob los ist. Aber wie es so geht: Von der Last befreit, meldet sich die in Trauer, Entsetzen und Stress ein wenig untergegangene Vaterliebe mit Macht zurück. Außerdem verweigert Cole, der leibliche Vater, Ben das eingeräumte Besuchsrecht und zeigt sich als gewalttätiger Psychopath, der beinahe ebenso autistisch agiert wie sein Sohn. Naheliegend kommt es dann zum großen Desaster, bei dem es ein kleineres Massaker gibt. Am Ende steht dann zwar ein kleines Happy End, aber dennoch bleibt ein Unbehagen.

Gut, das Spiel mit dem Ziehvater in der Zwickmühle ist erlaubt, warum auch nicht? Allerdings erlaubt sich Beckett eine Zuspitzung, die denkwürdig ist, wenn nicht gar zweifelhaft. Aus dem ganzen Thriller wäre nichts geworden, wenn Cole nicht der Verrückte wäre, der er im Roman ist. Aber dass Beckett diesen Kunstgriff wählt, um seinen Roman eskalieren lassen zu können, ist nicht plausibel. Ein normaler Cole, der in einigermaßen gesetzten Verhältnissen lebte, mit hinreichendem Intellekt und ausreichender geistiger Gesundheit gesegnet wäre, hätte sich möglicherweise mit Ben, der ja an allem unschuldig und unwissend dazu ist, ein wenig gestritten. Am Ende wäre aber daraus möglicherweise eine Art Patchwork-Familie wie in Nick Hornbys „About a Boy“ geworden. Das aber hat Beckett nicht gereicht, wohl weil dringend ein Thriller draus werden sollte. Und so muss der Verrückte nicht nur durchgeknallt, sondern auch stark sein, und sein Sohn all das auch noch geerbt haben. Als Konstruktion ist das vielleicht halbwegs funktionstüchtig, und dennoch bleibt ein ,Geschmäckle‘ übrig, das dem Buch nicht gut tut.

Titelbild

Simon Beckett: Obsession.
Übersetzt aus dem Englischen von Andree Hesse.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009.
416 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783499248863

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