Desperater Hedonismus der Geldelite
Ana Tajder gewährt in „Von der Barbie zum Vibrator“ Einblicke in herrschende Hohlheiten
Von Franz Siepe
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAna Tajder, die mit „Von der Barbie zum Vibrator“ ihr erstes Buch vorlegt, wurde 1974 in Zagreb geboren. Seit 1991, seit dem Ausbruch des Kroatienkriegs, lebt sie in Wien und berichtet auf ihrer Homepage unter anderem, sie habe in einem Modemagazin gelesen, das Brazilian Waxing sei für Frauen nicht unbedingt verpflichtend: Die britische Modezeitschrift „Grazia“ habe es für statthaft erklärt, dass Frauen einen kleinen Streifen Schamhaars – auch Landing Strip genannt – auf der Schamspalte stehenlassen. Frau Tajder entrüstet sich: Niemand sei befugt, ihr vorzuschreiben, wie sie zwischen den Beinen auszusehen habe!
Eine Referenzstelle zu diesem Problem findet sich im vorliegenden Buch in der Eintragung zum „Oktober 2000“ – das Buch simuliert eine Tagebuch-Narration, die sich aber wie eine aus dem Ordner auf den Boden gefallene und unsortierte Loseblattsammlung ins Ungefähre rückdatierter Gedächtnisprotokolle präsentiert –, in der die Ich-Erzählerin, die sich wie die Autorin Ana Tajder nennt, eigentlich mit jemandem ins Bett gehen möchte, es dann aber lässt, weil sie sich ungepflegt fühlt: „Da dämmerte es mir: Ich hatte mich seit… Gott! – Ewigkeiten nicht mehr rasiert oder epiliert!!!!!! Ich konnte nicht! Obwohl ich wollte.“
Unter dem Datum vom „März 2004“ lesen wir, dass sie mit Robert schlafen möchte, allerdings „nur zum Spaß. Weil der Sex mit Robert eigentlich absolut unglaublich toll war und nicht einmal ein Vorspiel brauchte“ – sich dazu Reizwäsche anzieht und für den Beischlaf zurechtmacht: „Das heißt, rasieren, epilieren und meinen Körper pflegen, bis er glatt wie Seide ist. Das heißt perfekte volle weiche Locken in meinem Haar. Das heißt schimmerndes Make-up. Das heißt Kerzen und Räucherstäbchen und perfekte Beleuchtung. Das heißt einen Hauch Parfüm an jede Stelle, die ich geküsst haben will.“
„Ich habe endlich gelernt, meinen Gefühlen zu vertrauen“, schreibt sie und weist wiederholt darauf hin, ein großes Hinterteil zu haben, dem die Männer nicht widerstehen können. Sie kann nicht glauben, bloß deshalb keine dauerhafte „Beziehung“ eingehen zu können, weil die Männer ihre Brüste zu klein finden. Hier sieht sie einen gewissen Unterschied zwischen heterosexuellen Frauen und homosexuellen Männern: Der schwule Marcus habe eine „Leidenschaft für sehr junge Männer“, akzeptiere jedoch nur große Geschlechtsteile: „Schau dir Marcus an. Er sieht einen kleinen Schwanz – er geht.“
Die Erzählerin tituliert sich im Buch als „Nymphomanin“ ; und an anderer Stelle erinnert sich Tajder in ihrer Eigenschaft als Autorin, sie sei damals, zu den Zeiten der Handlung des Buchs im „Laudonplace“ (der fiktive Name bezieht sich auf einen Appartmentkomplex in der Wiener Laudongasse), wirklich beim Sexualverkehr so laut gewesen, dass alle Nachbarn es hören konnten.
Nachdem Ana Tajders Erstling unter dem Titel „Od Barbie do Vibratora“ im Zagreber Verlag Profil 2008 in Kroatien erschienen war, kommentierte der kroatische „Playboy“: „Das Buch hat das Potenzial eines Hits. Guter Rhythmus, gute Pointen – und ein Universitätsabschluss. Das Recht, seine Meinung zu äußern, das Recht auf Verhütung und auf Abtreibung, eine gute Ausbildung abzuschließen, gutes Geld zu verdienen und gute Chancen im Leben geboten zu bekommen, gute Schuhe zu tragen und gutaussehende Männer zu vögeln, das ist gelebter, angewandter Feminismus.“ Nun ziert sich der Umschlagtext der vorliegenden Ausgabe mit dem „Playboy“-Lob, lässt das Zitat aber mit dem Wort „Universitätsabschluss“ ausklingen. Im Hinblick auf den deutschsprachigen Buchmarkt scheint ein akademischer Titel immer noch attraktiver zu sein als „angewandter Feminismus“ in Form des Alphamädchen-Privilegs, „gutaussehende Männer zu vögeln“.
Bei Tajders „Universitätsabschluss“ handelt es sich um den Bachelor of Arts in Marketing Management und den Master of Business Administration der Webster Universität in Wien, einer amerikanischen Dependance für Luxusstudenten aus schwerreichen Familien, besonders osteuropäischer Herkunft, in deren Aufenthaltsräumen – laut einem Bericht Tajders in der „Zeit“ – pausenlos MTV läuft. Nach ihrem Studium arbeitete Tajder als Diplomatin im Dienst Kroatiens und war bei internationalen Firmen angestellt; jüngst noch bei einer Werbeagentur, die auch die Marke Barbie vertritt und, just einen Tag vor Tajders Buchpräsentation in Wien, eine deutsche Web-Seite startete, die Mädchen zwischen sechs und neun Jahren in die Barbie-Welt einführt. – Möglicherweise ein purer Zufall und keine strategisch geplante Marketingsynergie.
Den Spitznamen Barbie trägt die Erzählerin, weil sie sich einmal nach diesem Vorbild herausgeputzt hatte und ihre homosexuellen Freunde sich vor Vergnügen kaum halten konnten. Was aber der „Vibrator“ im Titel soll, bleibt das Geheimnis der Autorin respektive ihrer Verlage. Denn zweimal nur ist – als Rechtfertigung? – ganz peripher von diesem Gerät die Rede. Daher sollte der Leser, der in dieser Hinsicht Ausführliches und Eingehendes erwartet, besser zu anderen Schriften greifen.
Worum geht es aber überhaupt in diesem Werk, dessen dokumentarischer Wert, anders als sein literarischer, zweifellos gegeben ist? Erstens geht es um coole Partys in Wien und sonstwo in der Welt, zweitens, um es mit dem Philosophen Ferdinand Fellmann und seinem Gewährsmann, dem Bühnenautor Marc Ravenhill, zu sagen, um nichts als um „Shoppen und Ficken“, wobei Fellmanns sozialpsychologische Diagnose – „Postmoderner Individualismus als Selbstverführung“ – mit guten Gründen die Reihenfolge umgekehrt haben möchte: „Erst kommt das Ficken, dann als Kompensation das Shoppen, das freilich wieder zu neuen sexuellen Abenteuern antreibt, so dass sich der Kreislauf schließt.“
Darum also geht es in Ana Tajders „Von der Barbie zum Vibrator“. Man kann das Buch ohne weiteres an einem langen Sonntag durchlesen, sofern man unempfindlich gegen das Hardcore-Idiom und die unablässigen infantilen Amerikanismen ist: „Oh mein Gott, er sieht dich dauernd an!“, „Ich liebe es, mit dir zu sprechen“, „Yippie. Sara und ich feiern Silvester in London“, „um Gott Hallo zu sagen“, „Ich liebe Filmsets“, „Ich hasse Bier“, „Ich hasse Enttäuschungen“, „Gino ging und genoss New York während der Fashion Week. Ich hasste ihn“, „Fuck“, „Wow“.
Tajders Personal ist ähnlich angeschrägt wie die Sprache: Alles, was nicht schrilles und beischlafgieriges „Girl“ ist, ist schriller und schwuler Mann. Die wenigen männlichen „Heteros“ sind typischerweise braungebrannte „Models“, die gerade vom „Fotoshooting“ kommen, kapriziöse Opernsänger, derangierte Schriftsteller, impotente sizilianische Adelige oder sexbesessene alternde Regisseure. Andere Männer kommen bestenfalls als nicht satisfaktionsfähige Antitypen vor. Ehe und Familie sind pure Langeweile; aber partout will unsere Single-Barbie wie alle Girls um sie herum ein „Baby“.
Die Autorin, so sagt es der Klappentext, „porträtiert eine Generation, die sich in ihren Freiheiten, Möglichkeiten und Chancen verirrt hat“. – Wieso „Generation“? Die Figuren des Buchs entstammen durchweg einer unerwachsenen Geldelite, die alles daransetzt, sich von der Majorität zu unterscheiden. Schon die Vorstellung, einen Ford Fiesta fahren zu müssen, verursacht ihnen Übelkeit. Die Erzählerin sieht sich als „Marketing Manager“ unterbezahlt und hält es für erwähnenswert, noch nie eine „Putzfrau“ gehabt zu haben. Selbstverständlich räsoniert sie über die Karriere von Putzfrauen nicht – um so mehr über die eigene: „Ich bekam meine ersten Visitenkarten; sie waren doppelseitig bedruckt. Ich hatte ein eigenes Büro. Und anstatt für andere Leute Kaffee zu machen, hatte ich jetzt eine Sekretärin, die mir Kaffee machte. Das war ein Riesensprung. Ich war überwältigt.“
Alphamädchen-Emanzipation ist also, wenn man von einer Frau bedient wird. Wie Tajder auf ihrer Homepage mit freudiger Erregung verkündet, hat Alice Schwarzer ihr ein Interview zugesagt. Nun denn, vielleicht wird man danach auch erfahren, wer den beiden den Kaffee gekocht hat.
Die „Alumni News“ der Webster University Vienna stellten Tajders Buch im Frühjahr 2009 als „Croatian Sex and the City“ vor. Diese Überschrift scheint so weit hergeholt nicht zu sein, zumal im Buch selbst die präfigurative Kraft der US-TV-Serie explizit herausgestellt wird. Aber auch demjenigen, der vom „Sex and the City“-Original verschont geblieben ist, dürfte das Gesamtszenario nicht unbekannt vorkommen. Hatte nicht die junge Philosophin Ariadne von Schirach vor wenigen Jahren in „Der Tanz um die Lust“ das überspannt-übersexualisierte, wodkavernebelte Leben der Berliner „Szene“ ähnlich – wenngleich ein wenig nachdenklicher – durchleuchtet wie jetzt Tajder die Eskapaden der Jeunesse dorée Wiens? Dort war zu lesen: „Wir spielen alle Existenz in dieser schönen neuen Welt. Unsere Vorväter konnte man noch mit dem Jenseits locken, wir sind Gegenwartsfetischisten. Und suchen die Transzendenz in der Immanenz. Die Ewigkeit im Augenblick. Denn darauf ist alle Jagd gerichtet. Das persönliche Begehren, der perfekte Moment. Der Triumph.“ Auch, so ergänzen wir nun, die Barbie. Und der Vibrator.
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