Medien-Moloch Los Angeles

Über James Freys Roman „Strahlend schöner Morgen“

Von Babette KaiserkernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Babette Kaiserkern

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

James Freys Buch „Strahlend schöner Morgen“ beweist prägnant, wie sehr Machart und Marketingstrategien der erfolgreichen Mainstream-Fernsehserien inzwischen nicht nur die Inhalte sondern auch die Schreibweise der „Schönen Literatur“ beeinflussen. Letztlich wirkt das gar nicht unpassend, denn das Buch spielt in Los Angeles, der wichtigsten Filmmetropole der westlichen Welt. Mit der klassischen Romantradition hat der fast sechshundert Seiten lange Schmöker nur wenig zu tun. Vielmehr aber mit den Regeln und Gesetzen des Erzählens unter der Herrschaft des Drehbuchs.

Durch den Text ziehen sich vier verschiedene Handlungsstränge. Der obdachlose Joe haust in einer Toilette. Esperanza, die Tochter illegaler mexikanischer Einwanderer, ist klug und begabt, bringt es aber zunächst nur zum Dienstmädchen bei einer steinreichen und unbarmherzigen Lady. Maddie und Dylan sind aus ihren desolaten Elternhäusern im mittleren Westen nach Los Angeles geflohen, um sich ihren kalifornischen Traum von Freiheit und Wohlstand zu erfüllen. Ans oberste Ende des Reichtums sind die beiden Filmstars Casey und Amberton gelangt, bei denen die Kluft zwischen Sein und Schein größer nicht sein könnte. In der Öffentlichkeit verbreiten sie das Bild einer perfekten Vorzeige-Familie, doch ihre drei Kinder sind in der Retorte gezeugt und ihre Vorlieben richten sich aufs jeweils eigene Geschlecht. Dank ihres Geldes und ihrer Macht können sie sich jeden Wunsch erfüllen, bis einmal ein junger Liebhaber Widerstand leistet. Wie in einer TV-Serie brechen die Sequenzen stets dann ab, wenn es am spannendsten wird. Klischees und Gefühlswirkungen bestimmen die Erzählungen. Das Verhältnis zwischen Reichtum und Gutherzigkeit verhält sich umgekehrt reziprok zueinander. Je weniger die Personen besitzen, umso gutherziger und liebevoller sind sie. Vollends märchenhaft im Hollywood-Stil wird es, wenn das arme Latino-Dienstmädchen bei ihrer bösen Dienstherrin dem gutherzigen Sohn begegnet und dies in einer echten Liebesbeziehung endet – allen sozialen Differenzen zum Trotz.

Die Handlung lebt von zukunftsgerichteten Aktionen, denen Gefühle, vor allem die Liebe, den Antrieb liefern. Der filmische Blickwinkel beherrscht die Erzählweise bis ins Detail: An einem Kulminationspunkt erscheinen alle vier Paare in schnellen Short-Cuts nacheinander in Betten liegend. Im Film wären das wohl simultane Parallelmontagen geworden. Wie in einem Drehbuch folgen einfache, knappe Sätze im permanenten Präsens aufeinander. Auf sprachliche Kunstfertigkeiten, wie Wortspiele, Metaphern, Zeitstufen und die Möglichkeitsformen des Konjunktivs, wird verzichtet. Alle Dialoge beginnen stets mit dem Hinweis: „Er spricht“ beziehungsweise “Sie spricht“.

Zwischen die Erzählsequenzen streut Frey erfundene und reale Fakten und Zahlen über die Metropole Los Angeles, beispielsweise zu Wohnvierteln, Autobahnen, Kriminalität, Kriegsveteranen und vielem anderen. Doch „Vorsicht: Dies ist keine wahre Geschichte“ wird der Leser vorweg gewarnt. Mit literarischen Erfindungen hat Frey Erfahrung. Als sich zwei von ihm publizierte Autobiografien als fiktiv herausstellten, erregte das einen durchaus verkaufsträchtigen Skandal. Auch sein erster Roman „Strahlend schöner Morgen“ changiert zwischen Fakten und Fiktionen und landet dabei letztlich in den seichten Gewässern des Trivialen. Möglicherweise wollte James Frey mit dieser Schreibweise im Stil eines Drehbuches den mythischen Subtext des Medien-Molochs L.A. abbilden. Doch der Mangel an kritischer Distanz und produktiver Reflexion macht sich immer dort bemerkbar, wo die Personen zu Schablonen werden und die Handlung zu „action“ im filmischen Sinn, mit Überfällen, Verfolgungen, Schießereien. So gleicht „Strahlend schöner Morgen“ zu sehr amerikanischen Fernsehserien wie „Private Practice“ und „Sex in the City“. Ein Roman in der traditionsreichen Bedeutung des Wortes ist „Strahlend schöner Morgen“ sicher nicht, sondern lediglich unterhaltsame, oberflächliche TV-Unterhaltung in Buchgestalt.

Titelbild

James Frey: Strahlend schöner Morgen. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens.
Ullstein Verlag, Berlin 2009.
590 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783550087677

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