Eine „Mischung aus Rationalität und Wahn“

Jens Hoffmann erzählt, wie die Nazis mit der „Aktion 1005“ die Spuren ihrer Massenmorde zu beseitigen versuchten

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Die Praxis der nationalsozialistischen Mordpolitik während des Krieges in den Ländern Osteuropas ist in den letzten Jahren immer genauer beschrieben worden. Die Studien weisen eine systematische und akribische Politik der Menschenvernichtung nach, deren logistisch-organisatorische Umsetzung mit den immer wieder gleichen Methoden einher ging. Vor dem Töten stand die totale Erniedrigung der Menschen, ihre Entwürdigung durch unmenschliche Lebensbedingungen und dauernde Gewalttätigkeiten. Am Endes dieses Leidensweges stand für die Opfer das Ende in einer der Todesmühlen, seien es die massenhaften Erschießungen durch die Sonderkommandos der Einsatzgruppen oder die Konzentrations- und Vernichtungslager.

Zu Recht weist nun Jens Hoffmann in seiner Darstellung der „Aktion 1005“ darauf hin, dass mit den Morden das Vernichtungswerk noch nicht getan war. Denn nach den Morden begann die systematische Beseitigung der Spuren der Verbrechen. In der „Aktion 1005“ wurden zehntausende Leichen aus den Massengräbern der Mordstätten ausgegraben und auf riesigen Scheiterhaufen verbrannt. Dabei wurde auch diese Aktion mit der gleichen „Mischung aus Rationalität und Wahn“ ausgeführt, wie bereits vorher die Mordtagen. „Die Täter der ,Aktion 1005‘“, so schreibt Hoffmann einleitend, „beendeten, was ihre Landsleute – Männer, Frauen, energische Jungen und Mädchen – mit der Identifizierung, Verhöhnung, Kennzeichnung, Isolierung, Ausplünderung, Ermordung und Verwertung ,volksfremder Elemente‘ begonnen hatten. Die Arbeit von Männern wie Paul Blobel, Max Krahner und Hans Sohns war der organisatorische Abschluss der deutschen Vernichtungspolitik.“

Als Paul Blobel im Frühjahr 1942 mit der „Aktion 1005“ (auch „Sonderkommando 1005“), benannt nach einem Geschäftszeichen des Auswärtigen Amtes, beauftragt wurde, hatte er sich als Täter bereits ,bewährt‘. Als SS-Standartenführer befehligte Blobel das Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C. Im Gefolge des Überfalls der Deutschen auf die Sowjetunion ermordete Blobels Truppe im Bereich der Heeresgruppe Süd bis Januar 1942 über 60.000 Menschen. Trauriger Höhepunkt dieser Mordaktionen, die zumeist als Massenerschießungen durchgeführt wurden, war das Massaker in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew am 29. und 30. September 1941. Über 33.000 zumeist jüdische Menschen wurden hier im Verlauf von 36 Stunden erschossen. Insgesamt wurden in Babi Jar bis in den Oktober 1941 mehr als 50.000 Menschen ermordet. Die Erschießungen fanden überall nach dem gleichen Muster statt. Zunächst wurden, sofern nicht das Gelände, wie die Schlucht in Babi Jar ,günstige‘ Voraussetzungen bot, riesige Gruben ausgehoben. Die Menschen mussten an die Gruben herantreten und wurden erschossen. Sie fielen in die Grube, die sich auf diese Art mit tausenden von Körpern füllte. Die Gruben wurden mit Kalk und Erde bedeckt.

Diese Form der Leichenentsorgung erschien den Tätern unvollkommen. Zunächst stand zu befürchten, dass angesichts einer sich bereits seit dem Stocken des deutschen Vormarsches in Russland im November 1941 andeutenden Veränderung der Kriegslage zu Ungunsten der Deutschen, die Rote Armee an den Mordstätten Beweise sicherstellen konnte. Es galt also, diese vorsorglich zu vernichten. Zum anderen kam es an den Orten der Erschießungen immer wieder zu Unmut bei der Bevölkerung über den Zustand der Massengräber, denen Verwesungsgeruch entstieg und die zudem vielfach das Grundwasser zu vergiften drohten. Bedeutsamer aber noch war ein anderer Aspekt: angesichts der im Rahmen der laufenden ,Endlösung‘ anfallenden Leichenberge sollten die ,Enterdungsaktionen‘ effektive Leichenentsorgungstechniken ausprobieren. Blobels als „geheime Reichssache“ getarnte Aufgabe war also auch in dieser Hinsicht ein konsequenter weiterer Schritt in der Logistik des Mordens.

Zumal die Arbeit in den Massengräbern wieder von den Totgeweihten geleistet werden musste. Die Kommandos der „Aktion 1005“ bestanden aus Häftlingen, die unter unvorstellbaren Bedingungen die Leichen bergen mussten, um sie sodann auf riesigen, zu diesem Zweck ,konstruierten‘ Scheiterhaufen zu verbrennen. Nachdem ein Kommando die Arbeit beendet hatte, wurden die beteiligten Häftlinge getötet. Doch trotz aller Unmenschlichkeiten konnten immer wieder einige wenige Häftlinge entkommen. Ihren Berichten ist es zu verdanken, dass über die „Aktion 1005“, anders als zu vielen Vernichtungsaktionen, nicht nur die ,Erinnerungen‘ der Täter berichten. Es war der Dokumentarfilmer Claude Lanzmann, der in seinem Film „Shoah“ den Berichten der Überlebenden über die die Leichenverbrennungen im Rahmen der „Aktion 1005“ einen besonderen Stellenwert einräumte. So wurden die Tätigkeiten dieser Kommandos als Teil des gesamten Vernichtungsprozesses deutlich. Bewusst schließt Hoffmann an Lanzmanns Film an, wenn auch er ausführlich aus den Aussagen der Überlebenden, die diese während der Verfahren gegen die NS-Täter machten, zitiert. So wird das schreckliche Geschehen als eine Teilmaßnahme des Holocaust anschaulich. Freilich, auch das zeigt Hoffmann anhand der in den Fußnoten ausführlich dargestellten Lebensläufe vieler Täter, konnten die Gerichte Gerechtigkeit nur selten herstellen. Die Beteiligung an der „Aktion 1005“ war im Übrigen für viele Täter nur eine weitere Form ihrer aktiven Verstrickung in die Mordtaten. Ihre relativierenden und Schuld abwehrenden ,Erklärungen‘ offenbaren sich neben den Aussagen der Überlebenden als triste Dokumente einer fürchterlichen Leere.

Hoffmanns Band dokumentiert die Einsatzorte der „Sonderkommandos 1005“ in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, Polen und auf dem Balkan und vervollständigt mit seiner Darstellung das Wissen über die Abläufe der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik auf beeindruckende Weise.

Titelbild

Jens Hoffmann: Das kann man nicht erzählen. "Aktion 1005" - Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten.
Konkret Literaturverlag, Hamburg 2008.
432 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783930786534

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