Sargnagel einer schwierigen Ehe
Über Carla Haas‘ sensibel und oft quälend anstrengend erzähltes Romandebüt „Der Zweifel“
Von Winfried Stanzick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Romandebüt der 1972 geborenen Schweizerin Carla Haas ist die detailliert und sensibel, oft aber auch quälend anstrengend erzählte Gesichte einer Ehe, und der Zweifel insbesondere der Ehefrau am Sinn ihres weiteren Fortbestehens.
Der Roman beginnt damit, dass Ella, um etliche Jahre jünger als ihr Mann Yannick, nach Helsinki fliegt, um Yannick dort während eines Kongresses zu besuchen. Yannick ist ein berühmter Bakteriologe, hat eine bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckung gemacht und träumt vom Nobelpreis. Dazu ist es notwendig, alle nur möglichen Termine überall auf der Welt wahrzunehmen. Ella hat sich mittlerweile daran gewöhnt, dass sie ihren Mann in der Regel nur noch sehen kann, wenn sie ihm auf diesen Reisen folgt. Ihren früheren Beruf hat sie ohne Not aufgegeben. Yannicks großer Erfolg bringt sehr viel Geld ein, und Ella weiß diesen Luxus zu schätzen. Ihren Wunsch, eine Familie zu gründen, hat sie fast schon vergessen, denn sie ist sicher, „dass es ihm nie gelingen wird, seine Familienwünsche zu verwirklichen. Eine innere widersinnige Bewegung treibt ihn immer an, sich beruflich zu bestätigen und seine persönlichen Anliegen hinten anzustellen.“
Insgeheim ist Ella davon überzeugt, dass ihre Ehe eine Farce ist, doch sie schafft es nicht, es Yannick zu sagen. Doch nun in Helsinki will sie mit ihm sprechen, zumal sie einen Mann namens Luis, dem sie vor kurzem begegnet ist, einfach nicht aus ihrem Kopf bekommt.
Doch auch Yannick, der Ella ernsthaft liebt und sie jedes Mal, wenn er sie trifft, begehrt, auch zärtlich und leidenschaftlich mit ihr schläft, was sie immer genießt, sieht seine Ehe an eine Grenze gekommen. „Jeder lebt in seiner Welt und manchmal, manchmal treffen ihre Welten für einige Tage aufeinander. Dieses Gesetz ist nirgendwo aufgeschrieben, hindert sie aber daran, eine zu große Vertrautheit aufzubauen.“ Auch Yannick hat sich vorgenommen, in Helsinki mit Ella zu sprechen; er will das alles ändern.
Immer wieder an Luis denkend, sitzt Ella in ihrem Hotelzimmer, auf Yannick wartend, und erinnert sich dabei an ihr Leben und seine Stationen. Diese Rückblenden setzt die Autorin sehr geschickt ein. Sie erzeugt damit eine ganz besondere Spannung, obwohl der Leser von Anfang an den Ausgang ihrer erotischen Geschichte mit dem feinfühligen und charmanten Luis kennt. Die Erinnerungen erklären dem Leser und auch der sich ihrer Vergangenheit vergewissernden Protagonistin, wie es zu der gegenwärtigen und unbefriedigten Situation gekommen ist. Ob die Ausführlichkeit, mit der Yannicks frühere Frau beschrieben wird, nötig war, darüber kann man streiten. Doch diese Geschichten und auch die zerstörerische Beziehungsgeschichte von Ella, die sie vor ihrer Ehe mit einem andren Mann hatte, zeigen viel von der Dynamik und der Eigenart der Ehe von Ella und Yannick.
„Der Zweifel“ ist die vielen Menschen sehr vertraute Auseinandersetzung mit einem eigentlich unbefriedigten Leben, die Schilderung anstrengender und dramatischer Versuche beider Ehepartner, das für eine bessere Zukunft zu ändern – und der bitteren Erkenntnis, dass sie daran immer wieder scheitern werden.
Die Versuchung, die Begegnung mit einem anderen Menschen, der all das zu haben scheint, was dem Ehepartner abgeht, zu einem Fluchtpunkt zu machen, hat schon viele Frauen und Männer beschäftigt. In der Regel bleibt es nur eine Flucht und ersetzt nicht die wirkliche Auseinandersetzung. Denn die könnte ja eine endgültige Entscheidung und den Verlust aller angenehmen Privilegien mit sich bringen. Auch in Haas’ Buch bleibt das Ende offen, selbst wenn sie das Ende geschickt an den Anfang des Romans platziert hat. Sie schafft es in ihrem ersten Roman, menschliche Beziehungen in einer Tiefe zu beschreiben, die fasziniert.
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