Wenig Vergleichbares
In dem von Matthias Luserke-Jaqui herausgegebenen Band der Reihe „Neue Wege der Forschung“ werden Schillers Dramen subtil analysiert
Von Ursula Homann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMatthias Luserke-Jaqui, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt und ausgewiesener Schiller-Kenner, hat anlässlich des 250.Geburtstags von Friedrich-Schiller einen Band mit Aufsätzen zu Dramen des Dichters herausgegeben. Diese „dokumentieren die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem Werk, dem in der europäischen Literaturgeschichte nur wenig Vergleichbares an die Stelle zu stellen ist.“ Immerhin werden viele dieser Dramen heute noch gelesen und aufgeführt. Gleichwohl blieb ihre Wirkungsgeschichte von den wechselnden Zeitläufen nicht verschont, weder von Missverständnissen noch von ideologischen Verzerrungen.
Erschienen ist der Band in der Reihe „Neue Wege der Forschung“. Allerdings darf man diese Bezeichnung nicht allzu wörtlich nehmen. Denn viele der hier abgedruckten Beiträge entstanden schon in den 1980er-Jahren und repräsentieren somit einen Zeitraum von mehr als einem Vierteljahrhundert. Bei ihrem Erscheinen, haben sie, so schreibt der Herausgeber, heftige Diskussionen ausgelöst und sowohl Zustimmung als auch Kritik oder gar Ablehnung erfahren. Dennoch sind sie, wie sich jeder Leser schnell davon überzeugen kann, auch heute noch lesens- und bedenkenswert und keinesfalls überholt.
Der erste Aufsatz ist Schillers „Räubern“ gewidmet und wurde im Jahr 1982 von Hans-Jürgen Schings für ein Symposium verfasst. Dieses Jugendwerk des Dichters aus dem Jahr 1781 lebt, so Schings, „von den Explosionen der großen Geister“ oder wie es bei Schiller heißt: „alle Geister werden angezogen von Vollkommenheit.“ Vor allem aber mache, so Schings weiter, eine Vielfalt von Ambitionen und Interessen, „das Besondere und das Monströse dieses Erstlings aus.“
Albert Meier weist in seinem Beitrag über „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ darauf hin, dass diesem Stück weder in der Buchfassung von 1783 noch in der Mannheimer Bühnenbearbeitung von 1784 „ein nennenswerter Erfolg“ beschieden war, obwohl es „ein wichtiges Glied in der Gattungsgeschichte der Tragödie“ sei und sich hier schon „das Prinzip der Erhabenheit“ ankündigt, das der Dichter dann später in seinen Kant-Studien entworfen hat. Trotz des Fehlschlags der Mannheimer Aufführung hält Meier es für richtig, „mit den aktuellen Mitteln des emotionalistischen Theaters auch politische Stoffe zu bearbeiten.“
Günter Saße wiederum äußert sich über das Verhältnis von Liebe und Macht in Schillers „Kabale und Liebe“. Liebe als Negation der Gesellschaftsordnung verschaffe, so Saße, Ferdinand das Triumpfgefühl eines Siegers, der die väterliche Welt vernichtet hat, während Luise durch ihre Liebe über die Grenzen der altständischen Ordnung hinausgetrieben wird. Liebe sei hier keineswegs die Macht, die unterschiedliche Lebenswelten zu überwinden vermag, sondern eher „ein Verfügungsprogramm, das die gesellschaftliche Verteilung von Macht und Ohnmacht in den Raum der Intimität überführt.“
Während sich Wilfried Malsch ausgiebig mit der „Moral und Politik in Schillers ,Don Karlos’ auseinandersetzt, analysiert Jutta Greis Schillers „Wallenstein“ im kultur- und literaturhistorischen Kontext der Diskursgeschichte des 18. Jahrhunderts. Schiller selbst hat seine Wallenstein-Trilogie einmal leicht ironisch das „neue dramatische Monstrum“ genannt.
Als Gegengewicht zur militärisch-politischen Welt, um die es im „Wallenstein“ auch geht, erläutert Luserke-Jaqui in seiner Einleitung, sei die Liebesgeschichte zwischen Thekla und Max Piccolomini zunächst angelegt gewesen. Am Ende zeige sich jedoch auch hier, dass in der Sphäre der Macht das scheinbar Private stets auch öffentlich und politisch ist.
Bernhard Greiner hat sich über Schillers Tragödienentwurf jenseits des „Pathetischerhabenen“ in „Maria Stuart“ Gedanken gemacht. Die Teilhabe an tragischer Daseinserfahrung, glaubt er, gebe dem bürgerlichen Publikum Selbstbewusstsein und schränke dieses zugleich empfindlich ein. Da mit dem Bejahen des Tragischen die Grundlage des Autonomiepostulats, das von der Freiheit des Individuums ausgeht, erheblich eingeschränkt werde, stellt sich die Frage, ob der Protagonist, wenn sein Handeln gebunden ist, überhaupt die volle Verantwortung für sein Tun übernehmen könne.
Gerhard Sauder schildert, wie Schillers „romantische Tragödie“, nämlich die „Jungfrau von Orléans“, von des Dichters Zeitgenossen geradezu überschwänglich gefeiert worden ist. Kurz streift er die unterschiedlichen Interpretationen dieses Dramas und erklärt, dass diesem durch die Interpretation als vaterländisches Stück, oder als „Theaterstück der Grausamkeit oder Verwirrung der Gefühle“ durch eine allzu selektive Perspektive Gewalt angetan werde. Lesenswert bleibe die „Jungfrau von Orléans“ allemal und zwar „als befremdendes Dokument einer Gegenposition zur eigenen Zeit.“
Matthias Luserke-Jaqui zählt die „Braut von Messina oder die feindlichen Brüder“, neben dem „Wallenstein“, der „Maria Stuart“, der „Jungfrau von Orléans“, dem „Wilhelm Tell“ und dem Dramolett „Die Huldigung der Künste“ (1805), zu Schillers klassischen Dramen. Hier gehe es weniger um begründete Handlungen als vielmehr um die Darstellung komplexer seelischer Sachverhalte.
Gonthier-Louis Fink sieht in Schillers „Wilhelm Tell“ „ein antijakobinisches republikanisches Schauspiel“. In diesem sei wohl von der Freiheit die Rede, aber dabei sei nicht zu sehr die politische Freiheit gemeint, die die „Déclaration des droits de l’homme 1789 verkündet hatte, sondern die ,alte‘ verbriefte, von jedem Kaiser neu beschworene Schweizer Freiheit.“
Da sich jeder Beitrag jeweils nur mit einem Schiller-Drama befasst, gelingt es den Autoren, die sich hier allesamt als ausgemachte Schiller-Experten erweisen, zahlreiche Winkelzüge und Deutungsmöglichkeiten aufzudecken und subtil und tiefgründig zu durchleuchten, auf die in einer kurzen Rezension leider nicht näher eingegangen werden kann. Wer sich also mit Schillers Dramen eingehender als oft üblich befassen will und schwierigen Gedankengängen nicht abhold ist, dem sei die Lektüre dieses Bandes nachdrücklich empfohlen.
|
||