New York Story

Richard Prices New York-Krimi „Cash“ zeigt seinen Autor als einen der Großen des Genres

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Polizeithriller kämpft mit seinen eigenen Problemen, damit, dass er auf der falschen Seite ist, der langweiligen, damit, dass er für Gerechtigkeit sorgen muss, das aber oft nicht kann, weil schon seine Repräsentanten alles andere als gerecht sind, damit, dass er etwas aufklären soll, obwohl doch die Rekonstruktion des Verbrechens, die Rekonstruktion von Spuren, die dann zum Täter führen sollen, bestenfalls als gewollt bezeichnet werden kann, damit auch, dass er allzu oft moralingetränkt daherkommt („kein Opfer ist vergessen“), was ihn in vielen Fällen ungenießbar macht, damit, dass er, um wenigstens etwas Funken aus seinem Thema zu schlagen, Leser allzu häufig mit lebensweltlichem Abfall zuschüttet, der Seite um Seite füllt und vom Wesentlichen ablenkt (wenn es denn nicht das Wesentliche ist, wer weiß das schon?).

An diesem Umstand haben die zahlreichen Unit-TV-Serien, die sich in der einen oder anderen Art dem Verbrechen und seiner Aufklärung nähern, nur bedingt etwas geändert. Denn neben den auch im Format, im Unterhaltungswert und im intellektuellen Anspruch herausragenden Exempeln ist die Zahl der belanglosen Serien, die ein Muster nur ausschreiben, immer hoch geblieben. Und in diesem Geröll die wenigen Perlen zu finden, ist und bleibt eine aufwendige Aufgabe.

Dass es freilich keineswegs langweilig ist, sich dem Polizeibetrieb und Ermittlergewerbe zu nähern (und seinem Kontext), zeigen im TV Formate wie „24“ oder eben auch „The Wire“ – beide allerdings mittlerweile eingestellt.

Dass einer der „Wire“-Autoren, der zudem mit Regisseuren wie Woody Allen und Martin Scorsese zusammengearbeitet hat, Richard Price, nun einen neuen Krimi vorgelegt hat, ging als Nachricht schon eine Weile durch die Szene. Nun ist er bei S. Fischer auf deutsch erschienen – und ist ein grandioses Stück Krimi-Literatur, eine der Perlen, nach denen Krimi-Leser beständig suchen. Und einer der Belege dafür, dass neben dem Krimi-Geröll eben auch die außergewöhnlichen Krimis immer nachwachsen.

Dabei muss Price den Polizeithriller nicht neu erfinden – es ist alles da, was man aus der New Yorker Szene eben kennt: Die irischen Polizisten, die das Rückgrat des Betriebs ausmachen und das seit Jahrzehnten, die Latinos und Schwarzen, die zur jüngeren Generation gehören, die Scheidungen und versauten Lebensläufe, der Hang zum Alkohol und die mangelnde Teamfähigkeit, Vorgesetzte, denen die Öffentlichkeit und schnelle Erfolge mehr gelten als die Wahrheit, gute Polizisten, schlechte, unaufrichtige und aufrechte, große und kleine Kriminelle, Rassismus, Armut und Gewalt, Jugendliche, die unter falschem Einfluss und mit verhängnisvollen Vorbildern heranwachsen, die die richtigen oder die falschen Entscheidungen treffen. Price taucht in den New York-Kosmos ein, der einem über die Jahrzehnte hinweg mit zahlreichen Filmen und Romanen ans Herz gewachsen ist und in dessen fiktiver Szenerie man sich beinahe wie zuhause bewegen kann.

Aber es sind nicht die Zutaten, die Prices Krimi so außergewöhnlich machen, es ist seine Zurichtung, seiner Verarbeitung, seine Form. „Cash“ ist im Wesentlichen ein Dialogroman, der ungeheuer dicht geschrieben ist, und der es vermag, das zu vermitteln, was gern Authentizität genannt wird. Wenngleich aber niemand (wahrscheinlich nicht einmal ein Bewohner der Lower East Side) wird beurteilen können, ob Prices Schilderungen realistisch sind – für die Leser wirken sie so, und das ist die Basis, auf der sein Roman funktioniert.

Drei Männer, die sich kaum kennen, werden auf einer nächtlichen Sauftour von zwei Heranwachsenden überfallen, die sich und anderen beweisen wollen, dass sie wer sind. Während der eine der Überfallenen, Cash, der ein Restaurant leitet, seinen Geldbeutel abliefert, bricht der zweite volltrunken zusammen. Nur der dritte, Ike, wehrt sich und wird von einem der Jungen erschossen.

Während sich die Polizei schnell auf die Ungereimtheiten des ersten Zeugen, Cash, konzentriert und ihn sogar eine Weile für den Schützen hält, wissen Leser die ganze Zeit, wer der Täter ist. Die Mehrgleisigkeit der Erzählung, die den Schützen, die ermittelnden Polizisten und den Hauptzeugen, Cash, vorführt, erlaubt dies, und Price gelingt das Kunststück, die Ermittlung, die nach einiger Zeit umschwenken muss, weil sich Cash auch für die Polizei als unschuldig herausstellt, ungemein mit Spannung aufzuladen. Nicht die Frage, wer der Täter ist, sondern die, ob die Polizisten bei ihren Nachforschungen erfolgreich sein werden und welchen Weg sie dabei einschlagen, zieht die Aufmerksamkeit auf sich – und das von der ersten bis zu letzten Seite.

Titelbild

Richard Price: Cash. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow.
S. Fischer Verlag, Frankfurt, M. 2010.
522 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783100608109

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