Katalanisches Rebellentum
Der Band „Rebellisches Barcelona“ erinnert an die widerständigen Traditionen Kataloniens, zu der in eigener Weise auch „Das graue Heft“ von Josep Pla gehört
Von H.-Georg Lützenkirchen
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Rebellisches Barcelona“ nennt sich dieser engagierte Stadtführer. Das Herausgeberkollektiv will keine herkömmlichen touristischen Sehenswürdigkeiten vorstellen, sondern zielt auf einen andere Art der Stadterkundung: man beabsichtigt, „die einzigartige Geschichte der Stadt durch die Orte, Monumente, Menschen und Gruppen zu vermitteln, die die Ordnung angegriffen haben, die von einer sozialen Minderheit über den Großteil der Bevölkerung errichtet worden ist.“
Für einen solchen Ansatz eignet sich Barcelona auf einzigartige Weise. Auch im heutigen modernen Spanien versteht sich Barcelona nicht so sehr als zweitgrößte Stadt Spaniens sondern zuvörderst als Hauptstadt der Autonomen Gemeinschaft Katalonien. Gegen die zentralistische Macht der spanischen Zentralregierung repräsentiert Barcelona selbstbewusst eine katalanische Eigenständigkeit – gewissermaßen ein anderes Spanien, das in der Konkurrenz zu Madrid – man denke nur an die Fußballrivalität zwischen dem FC Barcelona und den „Königlichen“ von Real Madrid – immer wieder neuen Ausdruck findet.
Dieses Bewusstsein betont bis heute den republikanischen Geist der Stadt. Er entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert. Im Zuge der Industrialisierung wurde Barcelona einerseits zu einem Zentrum der Modernisierung, das auf ganz Spanien wirkte, andererseits aber auch zu einem Zentrum des Widerstands gegen die mit dieser Modernisierung verbundenen sozialen und politischen Verwerfungen. Dabei entwickelte sich in der Stadt eine eigene Form des politisch-sozialen Widerstandes. Nirgendwo war die Bewegung des Anarchismus so lebendig und einflussreich wie in Barcelona.
Der Band „Rebellisches Barcelona“ versteht sich in dieser Tradition. Man bietet keine neutrale Stadterkundung, sondern mit dem Verweis auf das Erbe verbindet sich auch eine Verpflichtung zur Wahrung desselben. Der Band ergreift Partei und will so selber Teil der Tradition sein.
Er führt durch zehn Stadtteile Barcelonas, die in etwa den offiziellen Bezirken der Stadt entsprechen. Eine Karte, in welcher die vorgestellten Orte nummeriert sind, leitet das jeweilige Kapitel ein.
Vorangestellt ist der Stadterkundung ein Kapitel über „Barcelonas Aufstände 1835-1951“. Sie beginnen mit der „Sommerrevolte 1835“, die sich gegen die Repressionen der klerikal-absolutistischen „Karlisten“ in Katalonien wandten und finden ihren Höhepunkt in den Kämpfen der Jahre 1936/1937, als die anarchistische Bewegung im Angesicht der faschistischen Bedrohung durch die Truppen General Francos ein letztes Mal machtvoll auftrat, ehe sie in selbstzerstörerischen Auseinandersetzungen mit den ‚orthodoxen‘ Kommunisten zerfiel und den Franco-Truppen schließlich keinen Widerstand mehr entgegensetzen konnte. Mit dem Straßenbahnboykott von 1951 beenden die Herausgeber dieses Kapitel der Stadtgeschichte. Doch fiel dieser ‚Aufstand‘ bereits in die nahezu 40-jährige Zeit der Franco-Diktatur, die mit brutaler Macht alles Aufständische in Schach zu halten suchte. Auch wenn nach dem Ende der Franco-Diktatur Barcelona von klassischen ‚Aufständen‘ verschont blieb, so lässt sich doch fragen, warum die Herausgeber der Zeit nach 1975 keine Aufmerksamkeit mehr widmen. Will man neben den ‚Aufständen‘ vergangener Zeit andere Formen des zivilen Widerstandes nicht anerkennen? Oder fehlt es an einer Methodik, ideologiebefreite neue Formen des Widerstandes einzuordnen?
Das rebellische Barcelona ist nicht zu verstehen ohne das Land dessen Hauptstadt es ist – Katalonien. Dieses Land sah sich über Jahrhunderte dem zentralistischen Machtanspruchs Spaniens ausgesetzt. Dieser Anspruch ging immer einher mit der Unterdrückung der Eigenständigkeit des Landes, der katalanischen Sprache und mit ihr der identitätstiftenden Kultur. Das Beharren auf Eigenständigkeit wurde umgekehrt von Madrid immer als Bedrohung des spanischen Zentralstaates wahrgenommen. Umso verbissener und uneinsichtiger unterdrückte man die Katalanen. Bis heute, da Catalunya eine Autonome Gemeinschaft in Spanien ist, wirken die Erfahrungen aus der Geschichte nach.
Und entsprechend hoch geachtet sind die Repräsentanten der katalanischen Eigenständigkeit. Dazu gehören vor allem die SchriftstellerInnen, die immer auch der katalanischen Sprache die Treue hielten. Einer der bekanntesten ist Josep Pla (1897-1981). Dessen umfangreiches schriftstellerisches und journalistisches Werk brachte ihm große Anerkennung ein. Trotzdem war er nicht unumstritten. Auf Seiten der Linken galt er als konservativer Opportunist, seine Haltung während der Franco-Zeit wird heute auch von ‚neutralen‘ Beobachtern kritisch gesehen. Den Konservativen dagegen kam sein gegen die etablierten Konventionen gerichtetes Schreiben verdächtig vor. Was ihn als Schriftsteller und Menschen ausmachte, das schrieb er selbst auf. In den Jahren 1918/19 verfasste er tagebuchartige Notizen nieder, die er später überarbeitete und als eigenständiges Buch herausgab. „Das graue Heft“, 1966 erstmals in Deutschland erschienen, ist eine wohldurchkomponierte Selbstinszenierung. Sie lässt einen Menschen erkennen, dessen bohèmehafte Allüren ihn ein elitär anmutendes Selbstverständnis als junger Künstler entwickeln lassen. Diesem Selbstverständnis ist eine gewisse Selbstzufriedenheit zu eigen. Sie gefällt sich im künstlerischen Aufbegehren gegen Konventionen, ohne aber ein wirkliches politisches Bewusstsein zu erlangen. Vielmehr geht es ihm um einen elegant plaudernden Stil, eine Ästhetik des Einschmeichelns. Eben das aber hinterlässt bei der Lektüre ein stetig sich steigerndes Gefühl der Unzufriedenheit.
|
||||