Rote Kindheit

Said Sayrafiezadeh schreibt kurzweilig und ohne Tiefgang von seiner Kindheit als jüngster Spross einer revolutionären Familie

Von Oliver DietrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Dietrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sein Name ist unaussprechlich, wie Said Sayrafiezadeh immer wieder selbstironisch feststellt. Dennoch wirkt der junge Said zunächst wie das typische Abbild eines amerikanischen Jungen, der sich für Skateboards und Football interessiert – zumindest fast: seine Mutter ist jüdisch, der Vater iranischer Mathematik-Professor, und ihre größte Gemeinsamkeit ist der Kampf für eine proletarische, sozialistische Welt. Diese außergewöhnliche Konstellation sollte den Stoff für eine Satire – oder wahlweise Tragödie – beinhalten, bleibt jedoch hinter den Erwartungen zurück.

Der Junge wächst mit seiner Mutter auf, sein Vater ist viel in der Welt unterwegs, um die sozialistische Revolution voranzutreiben – und die beiden bereits erwachsenen Geschwister arbeiten eifrig und engagiert für die Sozialistische Arbeiterpartei. Während sein Vater immer seltener nach Hause kommt und schließlich mit einer beträchtlich jüngeren Frau anbandelt, bleibt er in den Köpfen und auf Fotos ein patriarchischer Teil der Familie. Saids Mutter stellt sich blind in den Dienst der Organisation, wozu auch selbstauferlegte Armut gehört.

Sayrafiezadehs schriftstellerisches Talent ist keineswegs von der Hand zu weisen, und auch die Übersetzung liest sich tadellos. Allein: es will keine richtige Lust am Roman aufkommen, auch wenn er sich noch so kurzweilig liest. Handwerklich ist kaum etwas auszusetzen: die Figuren sind lebendig, Schauplätze und Dialoge unterhaltsam und man wird als Leser nicht überfordert. Dennoch scheint irgendetwas zu fehlen.

Vielleicht scheitert der Roman an den geweckten Ansprüchen: die Erwartungshaltung ist einfach zu groß, wenn man das Konfliktpotenzial dieser Kindheit vor Augen hat. Doch der Fokus liegt weder auf seiner arabisch-jüdischen Patchwork-Familie, noch auf dem in die Mitte der 1970er- und 1980er-Jahre gelegten politischen Konflikt. Die kommunistische Revolution, mitten in Zeiten des Kalten Krieges? Für Sayrafiezadeh nichts weiter als verklärte Lagerfeuer-Romantik anstatt ernsthafter politischer Umbruch.

Nun schreibt der Autor aus der Perspektive eines Kindes, von wo aus er per se eine distanziertere Perspektive einnimmt. Dadurch ist er ohne eigene Position, arrangiert sich nur mit den gegebenen Umständen, wodurch aber die Brisanz völlig an Boden verliert. Vielleicht hätte Sayrafiezadeh ein wenig mehr Bissigkeit, ein Quäntchen mehr Mut zum schwarzen Humor gut getan. Von den eindringlichen Kindheitsbeschreibungen eines Frank McCourt ist er jedenfalls meilenweit entfernt.

Und so treibt auch der Protagonist ziellos inmitten einer politischen Bewegung, welche weder er selbst noch die anderen verstehen oder erklären können, und welche offenbar keinerlei begründbare Existenzberechtigung zu haben scheint. Doch Politik soll hier auch gar nicht diskutiert werden: es geht mehr um leichte Unterhaltung als Positionierung.

Revolutioniert wird in dieser Erzählung gar nichts; das sozialistische Engagement vor allem der Mutter wird quasi durchgehend als Irrweg beschrieben. Und letztlich gelingt auch dem erwachsen werdenden Said und seiner Mutter der Absprung in die wohlige, kapitalistische Wärme des Landes der Unbegrenzten Möglichkeiten.

Titelbild

Said Sayrafiezadeh: Eis essen mit Che. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbaneell.
Aufbau Verlag, Berlin 2010.
267 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351032982

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