Vaterschaft statt Drogen

Wolf Wondratscheks Roman „Das Geschenk“ handelt von der Beziehung eines Vaters zu seinem pubertierenden Sohn

Von Gunter IrmlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunter Irmler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wolf Wondratschek ist dem Lesepublikum vor allem als Lyriker  bekannt. Seine Gedichte der 1970er-Jahre gehörten über lange Zeit zu den erfolgreichsten Lyrikbänden überhaupt. Von dieser sogenannten „Rock-Poesie“ verkaufte der Autor damals mehrere 100.000 Bände. Sympathischen Aussteigern, aber auch Verlorenen begegneten wir darin. So den Helden seines Gedichtbandes „Chucks Zimmer“: wie Chuck und all den anderen Freaks. Chuck wird nun in Wondratscheks neuestem Roman erneut zur Hauptfigur. Darin erlebt er als Endvierziger das titelgebende Geschenk einer späten, aber keineswegs alltäglichen Vaterschaft eines Sohnes. Und die führt den Protagonisten, der noch als Student in den 1960er-Jahren gegen althergebrachte Konventionen Sturm lief, zu ihn verblüffenden Einsichten.

Die Vaterrolle ist alles andere als eine Institution zur Maximierung männlichen Glücks: Seiner Illusion beraubt, muss Chuck der Realität ins Auge sehen. Zwar hat er sich mit den neuen Vatergefühlen wie im Handumdrehen von einer schweren Drogensucht befreit. Lange Zeit hatte er dies vergeblich herbeigesehnt. Dem Tod hatte er einst wegen seines Kokainkonsums ins Gesicht geblickt. Stets hatte er die Vaterrolle idealisiert, mit der er von der Droge loskommen wollte. Und nur zu diesem egoistischen Zwecke eigenen Lebensglücks benutzte Chuck eine junge Frau, machte sie auf schnöde Weise zur Mutter. Weder hatte er sie je geliebt noch wollte er mit ihr ein gemeinsames Leben führen.

Auf Grenzen seines väterlichen Einflusses stößt Chuck, wie es wohl den meisten Eltern pubertierender Kinder ergeht: „Sein Sohn war vierzehn, was weiter kein Problem war, solange man nicht vorhatte, mit Vierzehnjährigen ein Gespräch führen zu wollen. Sie reagieren kaum. Was sie sagen, wenn sie überhaupt reden, fällt ihrer Stimmung zum Opfer, ihren Launen, ihrer Müdigkeit. Müde, das sind sie am liebsten.“ Dem Vater bleibt die schmerzliche Erfahrung und jähe Erkenntnis, das allgegenwärtige Schweigen des Jungen und dessen Autonomie respektieren zu müssen. In der raren Zeit, die er mit ihm zusammen verbringt, schenkt er ihm immerhin seine Aufmerksamkeit: mal liebevoll geduldig und zugewandt, mal väterlich dozierend und genervt.

Chuck, mittlerweile 62 Jahre alt, war früh ein Einzelgänger, immer ein Außenseiter und heute ist er ein einsamer Schriftsteller. Es sind die kleinen wie die größeren Tragödien des Alltags, die Wondratschek interessieren. Diese Schilderungen sind immer wieder stark von autobiografischen Anklängen geprägt. Von erfüllter Liebe tagträumt Chuck, elegisch erinnert er sich in Rückblenden an Amouren seiner Jugend. Lebenskraft und Lebensmut raubte ihm, wie seinen drogenabhängigen Bekannten und Freunden immer wieder das Kokain: „Kokain macht aus jedem schlechten Gefühl ein gutes Gefühl, das ist die Lüge.“ So kehren schmerzliche Erinnerungen an Drogenexzesse und tiefe Lebenskrisen wieder. An größte Depression und eine bedrohliche körperliche Zerrüttung.

Auch seine früheren Kontakte zur Halbwelt streift Chuck in der Erinnerung. Den Boxsport findet er faszinierend und elektrisierend.  Kein Wunder, dass ihn der bekannte Boxtrainer d‘Amato und dessen Lebensweisheiten fesseln. Zum Beispiel – Chuck ist pleite – zum Thema Geld : „Geld, hatte d‘Amato gesagt, ist nur zu einem gut, dass man es von einem Zug aus Fremden zuwirft.“ Auch Chucks Erkenntnis lautet: „Geld hat Hunger. Es ist eine Bestie. Es frisst dich auf. Es frisst, was es kriegt, deinen Verstand, dein Herz, deine Seele.“ Chucks simple Devise lautet: „Geld verdirbt einem die Armut.“ Vom Mangel an Geld wird sich Chuck keineswegs unterkriegen lassen.

Und so plaudert Chuck nicht nur über die außergewöhnliche Zeit, die er mit seinem Kind verbringt. Über die Spiele, die er mit ihm spielt. Über die Worte, die er mit ihm wechselt. Leicht, leise und humorvoll lässt er sich über die Welt und das Leben aus. Doch wenn Wondratscheks Text immer wieder zu stark in die Alltagssprache abdriftet oder gegen Ende allzu selbstgefällig und kunstgewerblich anmutet, enttäuschen uns seine Schilderungen. Die Mehrzahl der berichteten Begebenheiten, wie die dargestellte Vater-Sohn-Beziehung, berühren, weil sie mit tiefem Gefühl und präziser Beobachtung, Humor und lebendigem Sinn erarbeitet sind.

Titelbild

Wolf Wondratschek: Das Geschenk.
Carl Hanser Verlag, München 2011.
171 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783446236790

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch