Messer im Bauch

Zu Marc Raabes Debüt-Thriller „Schnitt“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist das Debüt von Marc Raabe. Und es ist überraschend gut. Die Protagonisten sind schnell beschrieben. Ein ungleiches Brüderpaar, das sich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat, weil beide ein schreckliches Geheimnis miteinander teilen, die Umstände des Todes ihrer Eltern. Beide sind Waisen, besuchen in ihrer Kindheit verschiedene Heime und Pflegeeltern. Der eine – Gabriel – landet in der Psychiatrie, der andere – David – arbeitet als Journalist und Filmemacher in der Medienbranche. Der erstere wird bis in die Gegenwart hinein von den Erlebnissen verfolgt: „Obwohl er sicher gewesen war, nicht schlafen zu können, driftete er weg. Erinnerungen standen herum, dünn und breit wie Leinwände, und er jagte wirr dazwischen umher, als sei er eine Silberkugel in einem Flipper. Das Blut. David, klein wie eine Puppe, aber schwer wie ein Panzer, den er wegzerren musste, weg vom Feuer, weg von den toten Augen, die Gabriel durchbohrten.“ Das diese Verfolgungsfantasien allerdings einen realen Hintergrund bis hinein in die Gegenwart haben, dies erfährt Gabriel schmerzhaft.

Die Entführung von Gabriels Freundin, einer bekannten Journalistin, ist der Auslöser und die erste offensichtliche Straftat, mit der die Protagonisten des Romans sich auseinandersetzen müssen. Marc Raabe webt ein feinmaschiges Netz von Beziehungen und Verbindungen, in denen sich die handlungstragende Figur Gabriel zusammen mit dem Leser erst einmal orientieren muss. Er sucht Hilfe bei seinem Bruder und kann, nachdem man ihn des Mordes an seiner Freundin verdächtigt und anschließend verhaftet hat, auf seine Erfahrungen als Sicherheitsexperte zurückgreifen, sich aus der Haft befreien und die Ermittlungen zur Widerauffindung seiner Freundin aufnehmen. Dass er bei den Recherchen immer wieder auf Widersprüche stößt, trotzdem aber Spuren findet, die auf ihn und seinen Bruder verweisen, irritiert nicht nur den Protagonisten. Trotzdem wird weiter ermittelt, bis er dem Täter ziemlich nahe kommt: „‚Warum musstest du dich da einmischen?‘ Die Frage geistert durch den Raum, als würde Valerius mal hier und mal dort sein. ‚Ich hatte ein Recht auf seinen Tod. Ein Recht, verdammt. Es war mein Tod! Ich wollte ihn sehen, wie er stirbt.‘“

Eine von vielen Stärken des Thrillers ist die glaubhafte Zeichnung der Charaktere, die die Handlung begleiten. So hat zum Ende des Romans auch der kleine schüchterne Bruder einen Auftritt. Wesentlich trägt er zum Fortschreiten der Handlung bei, als er sein Trauma zu überwinden versucht: „David spürt den Schweiß in seinen Handflächen, kalt und glitschig. Verflucht, was mache ich hier? Er muss an Sarkov denken, an seine letzten Worte. Jämmerlicher Feigling. Der verächtliche Tonfall haftet ihm auf der Seele wie Rotze.“ Gute Sprache, rasante Geschichte und sympathische Charaktere erlauben eine unterhaltsame und spannende Lektüre.

Titelbild

Marc Raabe: Schnitt. Psychothriller.
Ullstein Taschenbuchverlag, Berlin 2012.
448 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783548284354

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