Liebeserklärung an das Leben

Marjana Gaponenkos Roman „Wer ist Martha?“ erzählt von der Schönheit des Lebens

Von Clemens GötzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clemens Götze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Buch wie eine Anleitung zum Überleben im Alter, das einem ein bisschen den Schrecken vor dem Altwerden oder Altsein nimmt. In ihrem zweiten Roman „Wer ist Martha?“ erzählt die Autorin von dem 96-jährigen Ornitologen Luka Lewadski, der nach der Diagnose eines unheilbaren Lungenkarzinoms alles auf eine Karte setzt und seine Ersparnisse hernimmt, um nach Wien zu reisen, um dort im legendären Hotel Imperial luxuriös zu sterben.

Im Grunde kann man fragen: Ist das nicht fast jedermanns Traum? Lewadski hat sein Leben gelebt, und doch gewinnt man den Eindruck, dass er trotz seines hohen Alters bis zu dieser Diagnose davon ausging, er würde noch mindestens fünfzig Jahre leben. Und auch wenn viele Attribute den Protagonisten als alten Mann ausweisen, so scheint seine Figur stellvertretend für alle Menschen zu stehen, gleich welchen Alters. Damit ist die Botschaft klar: es geht um das Leben, das es zu genießen gilt, um eine Liebeserklärung an das Leben allgemein.

Insidern war die aus der Ukraine stammende Autorin schon durch ihren 2010 erschienenen Erstling „Annuschka Blume“ ein Begriff, eine Liebesgeschichte in Briefen, bei der das Thema des Alterns bereits anklingt. Das neue Werk der Autorin macht dieses Thema jetzt zum Mittelpunkt. In Zeiten des allgegenwärtigen Jugendwahns eine solche Geschichte zu schreiben, ist nicht nur mutig und bemerkenswert, sondern zeugt vor allem von einem Gespür für latente Bedürfnisse des Publikums. Dass sich eine junge Frau wie die Autorin dabei nicht zwangsläufig in Klischees verlieren muss, davon legt der Roman eindrucksvoll Zeugnis ab.

Absurdität, Schwermut, Lebenssehnsucht, Ironie und Unterhaltung stehen hier eng beieinander und sorgen für ein äußerst kurzweiliges Lesevergnügen. Dabei erscheint die Frage, wieso eine junge Autorin über einen alten Mann schreibt – wie sie derzeit gern von Journalisten bemüht wird – vollkommen irrelevant, denn sie impliziert Unverständnis und belegt nur mangelnde Kenntnis des Gegenstandes. Denn wer das Buch gelesen hat, versteht, warum Gaponenko diese Geschichte geschrieben hat. Es geht ums Leben. Dieses Thema war ein immer wiederkehrendes Motiv bei Bernhard, an den man bei der Lektüre mithin erinnert wird. Auch Gaponenkos Protagonist ist alt, ein wenig verschroben und doch liebenswert. Genau wie Thomas Bernhard lehnt sich die Autorin von „Wer ist Martha?“ gegen das Beschreiben einer Geschichte auf, auch sie versteht sich letztlich als „Geschichtenzerstörerin“, wenn sie in einem Interview zu ihrem neuen Werk sagt, sie wolle keine Handlung und nicht unterhalten: „Ich möchte eine Klarheit, die nicht benannt werden muss, um zu sein.“

Diese Klarheit schafft Gaponenko mit ihrem Buch mühelos. Poetisch ist ihre Sprache, an keiner Stelle pathetisch, weil ihre Figuren voller Selbstironie und Witz stecken. Die Bedeutung der Sprache erhält in diesem Roman besonders Gewicht, denn es kommt weniger auf die erzählte Geschichte an, als auf Szenen, Stimmungen, Dialoge und skurrile Charaktere. Trotzdem ist die Geschichte logisch konzipiert und keinesfalls konstruiert. Sie zu lesen ist in jedem Falle ein Gewinn. Nicht nur im Hinblick auf den Topos der Altersnarren und die Typologie des Sprachkunstwerkes erinnert der Roman mitunter an den späten Bernhard, auch der selbstironische Auftritt der Autorin als Romanfigur führt ein tradiertes Element der zeitgenössischen Literatur fort, das derzeit offenkundig wieder Hochkonjunktur besitzt: die Verschmelzung von Autorenpersönlichkeit und fiktionaler Romanfigur. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Beispiele wie „Das bin doch ich“ von Thomas Glavinic oder den neuesten Roman von Clemens J. Setz, „Indigo“.

Wenn auch die Frage, wer Martha sei, sich auch am Schluss des Romans nicht vollends klären lässt, man nimmt es der Autorin nicht übel, weil es darum letztlich auch nicht geht. Vielmehr spannt sich ein Netz aus Stimmungen und Bildern vor dem geistigen Auge des Lesers und führt ihm die Schönheit des Lebens vor Augen. Wer dies in Krisenzeiten manchmal vergessen mag, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt. Wer will da noch wissen, was es mit dieser ominösen Martha auf sich hat? Insofern ist der Titel mit seiner Frage vielleicht auch metaphorisch zu verstehen – als ein Aspekt, der stets unbeantwortet bleibt, weil man ihm immer zu viel Bedeutung beigemessen hat, während die wirklich wichtigen Momente an einem vorbeiziehen. Und ein ironisches Zwinkern der Autorin wird ja wohl noch erlaubt sein. In diesem Buch stimmt einfach alles, die Komposition ist ein Gesamtkunstwerk, das man am Ende nur schweren Herzens zuschlägt, wenn man die Lektüre beendet hat.

Mit ihrem Buch trifft Gaponenko definitiv den Nerv der Zeit, was sich nicht zuletzt an den übrigen Neuerscheinungen 2012 ablesen lässt. Suhrkamp versorgt sich seit geraumer Zeit mit jungen Nachwuchsautoren wie etwa Clemens J. Setz oder Sebastian Polmans. Gaponenko zählt zu diesen neuen, jungen Stimmen, die als Nachfolgegeneration der Popliteraten den Buchmarkt erobert. Zu Recht, wie man sagen muss. Marjana Gaponenko ist die Entdeckung des Buchherbstes 2012, von der man noch hören respektive lesen wird. Ihr neuer Roman ist die ideale Lektüre für die kürzer werdenden Tage und den beginnenden Herbst. Und auch wenn es die Autorin vielleicht nicht gern hört: Er unterhält auf höchstem Niveau.

Titelbild

Marjana Gaponenko: Wer ist Martha? Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
237 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423158

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch