Zu dieser Ausgabe

Wer bei Google „Franz Kafka“ eingibt, bekommt nach einer halben Sekunde knapp eine Milliarde Treffer angezeigt. Ein beruhigendes Ergebnis, wenn man zum Vergleich einen internationalen Bestsellerautornamen wie den Bernhard Schlinks in die Suchmaschine tippt und dabei befriedigt feststellt, wie groß in diesem Fall nicht nur der qualitative Unterschied, sondern eben auch jener der Aufmerksamkeit im Internet ist: Schlink kommt gerade einmal auf läppische 218.000 Ergebnisse.

Das Spielchen ist gar nicht so übel: Martin Walser, der „Opel Kadett der deutschen Literatur“ (Thomas Bernhard) und immerhin Verfasser einer Dissertation über Kafka („Beschreibung einer Form. Versuch über die epische Dichtung Franz Kafkas“), die er 1951 bei dem früheren SA- und NSDAP-Mitglied Friedrich Beißner in Tübingen einreichte, erhält 548.000 Treffer.

Und, wenn wir schon einmal dabei sind: Der besagte NS-Germanist Beißner, der nach dem Krieg zunächst als außerordentlicher Professor und dann, bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1970, ab 1961 als Ordinarius für Deutsche Sprache und Literatur ganz normal in Tübingen weiter lehrte und 1952 sogar selbst ein Buch über den „Erzähler Franz Kafka“ vorlegte? Peanuts, gerade mal 12.500 Treffer!

Wenn nicht von dem sanftmütigen Prager Autor der berühmte Wunsch überliefert wäre, aus der „Totschlägerreihe“ herauszuspringen, wäre man fast versucht zu schreiben: Kafka killt sie alle. Doch solche revanchistischen und gewaltaffinen Gedanken stehen Redakteuren von literaturkritik.de natürlich fern. Kafka hatte mit solchen ,heroischen’ Selbstbildern ohnehin nichts am Hut: Er machte sich und seine ,Helden’ gerade klein, nicht der ,Sieg’, sondern die permanente Niederlage war sein Thema. Deswegen wurde sein Werk im Nationalsozialismus ja auch totgeschwiegen: Vor 1945 konnten Karrieristen wie Beißner mit einem solchen, noch dazu jüdischen Autor selbstverständlich keinen Staat machen.

Wir beginnen das Jahr 2013 mit einem Themenschwerpunkt zu diesem Autor, der trotz alledem wahrscheinlich der bekannteste und berühmteste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wurde und dessen Werk sich bis heute konkurrenzlos großer Aufmerksamkeit erfreut. Kafka ist und bleibt ein Dauerbrenner, wie im letzten Jahr unter anderem auch die Beachtung zeigt, die Saul Friedländers Buch über den Schriftsteller fand. Nicht nur dazu finden Sie eine Rezension in unserer Januar-Ausgabe, sondern zu einer ganzen Reihe weiterer Kafka-Studien, neben einem Essay über die internationale Rezeption des Autors und seinen großen Einfluss auf die Weltliteratur sowie einem weiteren zu Kafkas eigentümlichen Protagonisten und der Frage, warum diese uns eigentlich so beeindrucken.

Mit den besten Wünschen zum neuen Jahr
grüßt Sie herzlich
Ihr
Jan Süselbeck