Bei Rheingold trägt man blau

Karin Nohr erzählt vom „Ring des Nibelungen“ und vier Paaren mit ihren Problemen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So ein Zufall: Da sitzt Kurt in seiner Kleist-Ringvorlesung und träumt vor sich hin, von einem Gebirgsbach und braunbunten Kühen, weil es einfach zu heiß und auch zu langweilig ist. Da fällt ihm plötzlich die Formulierung „Semper idem“ ein. Wieso, weshalb? Er weiß es nicht. Zückt das neueste Geschenk seiner Frau, ein iPhone, tippt „semper“ ein und findet sofort und zuallererst die Semperoper. Und die Ankündigung, dass ab nächstem Januar der „Ring des Nibelungen“ aufgeführt wird. Nicht hintereinanderweg, sondern schön verteilt auf vier Sonntage. Und da schreibt er eine Mail an ein paar Freunde und fragt, ob sie nicht Lust hätten. So erzählt er es jedenfalls.

Drei Paare sagen zu, und Eva, seine Frau ist auch dabei: Brigitte und Dirk Blasius, Annegret Winkler und ihre Tochter Lena, Thomas und Ulrike Diesterkamp. Dirk ist Germanist, der sich an seiner Habil-Schrift herumquält, Annegret ist Ärztin und trifft sich ab und zu beim Reiten mit Eva, Thomas ist Psychoanalytiker und Ulrike Lehrerin. Kurt ist Germanistikprofessor, Eva Lektorin in einem kleinen Verlag. Eine gemischte Gesellschaft also, aber alles Intellektuelle.

Und alle haben Probleme. Miteinander, mit der Ehe, mit ihrem Job, mit sich. Und hatten oder bekommen Probleme in der Gruppe. Denn Ulrike hatte mal eine längere Affäre mit Kurt, in der sie sich so richtig hat fallenlassen können wie sie es bei ihrem Mann nicht konnte. Brigitte erträgt ihren Mann nur noch, weil sie ein Kind von ihm haben will – nach seiner baldigen Habilitation und nach der (künstlichen) Befruchtung will sie sich von ihm trennen: Weil er ihr Angst macht mit seiner aggressiven, selbstherrlichen Art, sie deshalb das Mäuschen spielt, während er sich wünscht, dass sie doch auch mal direkter und selbstbewusster ist. Mehr Stehvermögen hat.  Auf der anderen Seite redigiert sie ihm seine chaotische Habil-Schrift so, dass ein wunderbarer Text daraus wird. Das passt ihm gut, denn er will auf jeden Fall eine Hausberufung auf einen Professorenstuhl durchsetzen und schreckt auch vor Erpressung seines Dekans nicht zurück. Annegret trauert immer noch um ihren Mann, Ulrike und Thomas haben Schwierigkeiten mit ihrem Sohn Nico, der sich zu sehr an die Mutter klammert, und auch die Beziehung zwischen Ulrike und Nicos Großmutter ist nicht die beste. Dazu kommt, dass Thomas einen Patienten hat, mit dem er nicht recht klar kommt, wegen dem er das psychoanalytische Setting verlässt, ihn berüht, mit ihm weint: Das macht man nicht, das ist unprofessionell.

Diese vier Paare treffen sich also an vier Sonntagen (wobei nicht alle immer kommen) in der Semperoper. Sie bereiten sich inhaltlich auf die Opern vor und einige ziehen sogar die jeweilig passende Farbe an: Man trage zu „Rheingold“ blau, heißt es, zur „Walküre“ rot, zu „Siegfried“ grün und zur „Götterdämmerung“ schwarz. Und sie gehen gemeinsam essen, diskutieren das Gesehene immer wieder. Aber man bekommt schnell mit, dass es unter der Oberfläche der intellektuellen Auseinandersetzung mit Wagner gehörig brodelt: Kurt verspricht sich von diesen langen, bombastischen Opern, noch einmal herausgerissen zu werden aus dem Trott. Mitgerissen, animiert zu einem „Handeln“, wie er es einmal nennt, ohne selbst genau zu wissen, wozu. Frauen spielen dabei auf jeden Fall eine Rolle, vor allem seine frühere Geliebte Ulrike. Einen dritten Frühling erlebt er in einer Wohnung, die er für sich gekauft hatte. Seiner Frau hat er damals gesagt, dass er einen Rückzugsort brauche, um Ruhe zu finden, zu lesen. Sie hat daraufhin eine Therapie gemacht und es akzeptiert. Dieses Mal fingiert er eine Autopanne, als er mit Annegret alleine im Wagen sitzt, verführt sie zum Tango, den sie leidenschaftlich gerne tanzt, schläft mit ihr. Eva kommt ihm allerdings auf die Schliche, und Kurts Luftschloss platzt mit einem lauten Knall.

Den anderen Beziehungen geht es nur teilweise besser: Brigitte und Dirk haben sich schon lange nichts mehr zu sagen, letztendlich verlässt sie ihn, gerade als er sich ihr zuwendet – zu spät. Und Thomas und Ulrike haben Schwierigkeiten, miteinander zu reden, vor allem, weil sie sich ständig angegriffen fühlt und er ein wenig zu sehr analysiert statt zu reden, aber das bessert sich im Lauf des Romans: Thomas traut sich, von seinem anfangs schweigsamen Patienten zu erzählen, dessen junger Sohn gerade stirbt und im Hospiz liegt, von seiner Trauer dabei, sie reden über die Erziehungsprobleme mit ihrem Sohn und der Mutter. Sie haben sogar wieder Sex miteinander, auf einem nächtlichen Parkplatz auf der Rückfahrt, eine schöne Szene.

Dies alles würde als verwickeltes Beziehungsgeflecht vielleicht einen spannenden Einblick in Intellektuellenehen ergeben. Denn das eigentlich Spannende an diesem verschachtelten Buch sind natürlich nicht die Wagner-Opern und die Interpretationen und Empfindungen dazu. Auch nicht die eingestreuten Aufsätze von Schulkindern, die die Opern mit eher wenig gelungenem Humor als Märchen nacherzählen und Kommentare dazu abgeben. Das Wichtige an diesem Roman ist das Beziehungsgeflecht und wie es sich verändert. Aber leider ist das nur mittelmäßig gelungen. Denn dummerweise verknüpft die Autorin die Diskussionen, Gefühle, Einsichten und Streits immer wieder mit Wagner und seinen Opern, und dann wird es entweder sehr abstrus (wenn Brigitte etwa ihren noch ungeborenen Sohn als Siegfried oder Parzival sieht), oder einfach nur langweilig.

Wenn die Autorin auf diese ständigen und überbetonten Anspielungen verzichtet hätte, die manchmal passen, oft aber nicht, wenn sie etwas genauer auf die einzelnen Menschen eingegangen wäre, wenn sie sie noch dichter und greifbarer in ihren Widersprüchen und Entwicklungen geschildert hätte (da gelingen ihr manche schönen Passagen), wenn sie vor allem Dirk und Brigitte nicht derart schwarz/weiß geschildert und etwas mehr Raum für überraschende Wendungen, Verschlingungen und Drehungen gelassen hätte, hätte das Buch sehr viel gewonnen und wäre lebendiger und auch anrührender geworden. So ist es einfach ein bisschen zu flach geblieben.

Titelbild

Karin Nohr: Vier Paare und ein Ring. Roman.
Knaus Verlag, München 2013.
320 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783813505269

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