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Über Liaty Pisanis Krimi „Die rote Agenda“

Von Pepe DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pepe Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paolo Borsellino war Richter in Palermo und Mitglied des in den 1980er-Jahren gegründeten Antimafia-Pools. Zu den größten Erfolgen dieser Kommission gehört die Festsetzung des sizilianischen Mafiosos Tommaso Buscetta. Der wurde später Kronzeuge in den sogenannten Maxi-Prozessen, in deren Verlauf Hunderte Mitglieder der Cosa Nostra verurteilt wurden. Mit grausamen Folgen: Später fielen nicht nur vierzehn Familienmitglieder Buscettas, sondern auch mehrere Mitglieder des Pools Mordanschlägen zum Opfer. Borsellino aber ließ sich nicht beirren und arbeitete auch nach seiner Versetzung nach Marsala weiterhin eng mit dem Pool zusammen, besonders mit dem Richter Giovanni Falcone. 1992 wurde Falcone durch einen Bombenanschlag ermordet. Kaum einen Monat später fiel auch Borsellino einem Anschlag durch eine Autobombe zum Opfer. Der Richter soll über lange Zeit wichtige Ermittlungsergebnisse in einer Akte gesammelt haben – die rote Agenda, die er immer bei sich trug und von der es keine Kopien gab. Deren Umfang und Aufbewahrungsort sind bis heute ungeklärt.

Soviel zu den Fakten, von denen es in Liaty Pisanis „Die rote Agenda – Der Spion und der Pate“ noch weitere gibt. Denn die Mailänder Autorin versteht es in ihrer Krimireihe um Agent Ogden, Fakten mit Fiktion so geschickt miteinander zu verweben, dass die Ereigniskette größtenteils glaubhaft wirkt. Da ist der Tod des Richters Borsellino, das Verschwinden seiner Agenda, aber auch die Ermordung des berühmten Sherlock-Holmes-Forschers Richard Lancelyn Green oder die Brücke von Messina, deren Bau bis heute in Planung ist. Alles Tatsachen und für alle hat Pisani die passenden Erklärungen – die Stützpfeiler des Plots in der „Roten Agenda“.

Als die Agenda nun wieder aufzutauchen scheint, beginnt das krimitypische Ringen der Kräfte: Viele fürchten ihre Geheimnisse, jeder will sie, alle jagen ihr nach, Leichen pflastern dabei die Wege der verschiedenen Parteien – vor allem des international operierenden Geheimdienstes, für den Agent Ogden und seine Kollegen tätig sind. Sie sind Problemlöser und -beseitiger für die „Elite“, die bereits in den vorangehenden Teilen der Ogden-Serie die Strippen zieht. Eine geheimnisvolle Schatten-Organisation von mächtigen Männern, welche, kaum überraschend, die Geschicke Europas leiten und mit der US-amerikanischen Elite um den Platz am Steuer der Weltgeschichte konkurrieren. Am Ränkespiel um die rote Agenda beziehungsweise deren Macht nehmen natürlich auch andere Vertreter aus den Reihen der üblichen Verdächtigen teil: verschiedene Flügel der Mafia, ein verzweifelter Politiker oder auch die ortsansässigen Carabinieri, die dabei allerdings, wenig schmeichelhaft, lediglich mit einem Statistenplatz wegkommen.

Der Vergleich der Schlagkräfte von Polizei und deren Gegenspielern im Dienst von Geheimdiensten und Verbrechersyndikaten verdeutlicht auch die in der „Roten Agenda“ dargestellten Machtverhältnisse. Nicht die Polizei ist Freund und Helfer, sondern außerhalb jeder Rechtsstaatlichkeit agierende Organisationen, deren Interessen idealerweise mit denen der Gesellschaft übereinstimmen. Die Autorin bedient mit ihrem doch etwas kruden Konstrukt einer weltumspannenden Elite, die seit Jahrhunderten die Geschicke des Planeten lenkt, eine tief sitzende Herrscher-Sehnsucht. Besonders die Gespräche der Elite über die dringende Notwendigkeit einer sozialen Umverteilung ist ein dem Zeitgeist verschuldeter Tribut an jene, denen die von grenzenloser Gier gezeichnete Ökonomie zum Hals raus hängt. Vor dem Hintergrund des Wunsches nach dem Funke Vernunft, der „die Mächtigen“ schlussendlich doch noch dazu bewegt, im Sinne von Mensch und Gesellschaft zu handeln, lässt sich die Verschwörungstheorie in der „Roten Agenda“ dankbar annehmen. Auch wenn die Elite, wie in einem der vorherigen Teile angedeutet, ursprünglich von Außerirdischen gegründet wurde, deren genetische Optimierungsarbeit unter anderem auch Agenten wie Ogden hervorbrachte. Die besten Helden sind Superhelden.

Hier tritt deutlich hervor, wie unpassend der in der Presse vielzitierte Vergleich zu Flemmings James Bond ist. Denn zum einen gibt es nicht den einen Bond, die Figur hat sowohl in der Literatur als auch im Film deutliche Wandel durchgemacht, und zum anderen war Bond, trotz aller Eigensinnigkeit, die er gegenüber dem MI6 an den Tag legte, immer eines: seinem Land verpflichtet. Sicher auch der Welt – but England comes first. Ob einem das gefällt, ist eine andere Frage, aber Bonds Welt war Jahrzehnte lang eine einfache. Superhelden kamen vor, aber niemals Superkräfte. Das Böse war menschlich, das Gute auch. Auf der deutlich komplizierteren Weltbühne von Ogden geht es überlegener zu: Nationen spielen eine untergeordnete Rolle, Gewissen ebenso. Die wirkenden Kräfte sind derart kolossal, dass es gegen das Übel kaum weniger braucht, als ebenso starke beziehungsweise gewissenlose Helden. Ogden operiert folglich mit dem Rückenwind der omnipotenten Elite. Sie ist sein – und damit unser – Sicherheitsnetz. Sollten alle Stricke reißen, es gibt noch Schutz von ganz oben. Weltenlenker haben die besseren Tricks. Deus ex machina. Das Interesse der Elite an einer neuen, gesunden Balance ist Ogdens und unser Glück. Bliebe dieses Motiv aus, der Konflikt wäre vorprogrammiert.

Mit der „Roten Agenda“ schafft Liaty Pisani, wie mit allen Teilen ihrer Agenten-Reihe, einen spannenden, modernen Krimi in der Tradition von Eric Ambler oder John le Carré. Und während Le Carré in Zeiten von Vietnam-Krieg und Antiwestern die zeitgemäße Dekonstruktion des Heldenmythos betrieb, setzt Pisani ihre Agenten passenderweise zwischen Finanzkrise und drohendem Staatsbankrott ein. Ihre besondere Stärke dabei ist die Reduktion auf das Wesentliche. Keine Beschreibung der Äußerlichkeiten, kaum Monologe oder innere Konflikte, selbst Vornamen werden zu Luxus. Stattdessen geht sie mit hohem Tempo voran: Ohne Atempause treibt die Kaskade der Ereignisse den Leser vor sich her. Gegen Ende sind die Kapitel kaum drei Seiten lang, es geht Schlag auf Schlag. Dabei wird das Geschehen nie vom plumpen Spektakel beherrscht, vielmehr sind es die lächelnden alten Paten, deren freundliche Worte und Gesten tödlich sein können, die den Leser schaudern lassen. Schaut man an der gefälligen Esoterik vorbei, findet man hier einen weiteren unterhaltsamen Krimi um Agent Ogden, eine trockene, weiche Sprache und zu guter Letzt auch interessante Einblicke in die Strukturen der regionalen und überregionalen Mafia – von der Cosa Nostra auf Sizilien über die kalabrische ‘Ndrangheta bis zur Camorra. Bei aller Mystik zweifelt man dabei keinen Augenblick an der Darstellung der Mafia-Strukturen.

Titelbild

Liaty Pisani: Die rote Agenda: der Spion und der Pate. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann.
Diogenes Verlag, Zürich 2012.
416 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783257300116

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