Reif fürs Festland

Mit ihrem zweiten Roman „Schlaflos“ legt Sarah Moss ein solides Stück Inselliteratur vor

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Inseln, noch dazu den abgeschiedenen unter ihnen, ist das ja so eine Sache: Während die Vorstellung von Ruhe und Einöde sich vom heimischen Festland aus gesehen noch ganz wunderbar ausnimmt, sieht die Realität für Anna Bennett radikal anders aus: Gemeinsam mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann verbringt die Historikern, die dringend ein Buch über die Geschichte der Kindheit fertigstellen muss, mehrere Monate auf Colsay, einer (fiktiven) Insel vor Schottland. Doch statt zu forschen und zu schreiben, beantwortet sie den größten Teil des Tages die wissbegierigen Fragen des einen Kindes, singt beruhigende Schlaflieder für das andere oder kämpft recht kreativ gegen ihr fehlendes Kochtalent an. Giles, Annas Mann, ist ihr dabei zunächst kaum eine Hilfe, beobachtet er doch tagtäglich – ebenfalls für ein Forschungsprojekt – die der Insel zugehörigen Papageientaucher, während Anna von einsamen Hotels für übernächtigte Mütter träumt, um eine funktionierende Internetverbindung bangt und sich zudem noch auf die Spuren eines seltsamen Knochenfundes im Garten des Hauses begibt.

Der Roman „Schlaflos“ erzählt unterhaltsam aus der Mitte einer mütterlichen Krise, die nicht nur Annas Karriere als Wissenschaftlerin zu gefährden droht, sondern auch ihre Ehe ins Wanken bringt. Dabei ergeben sich aus den weitreichenden Selbstzweifeln der Protagonistin eine ganze Reihe kluger Fragen, die auch vor den eigenen Abgründen jenseits weit verbreiteter Wahnvorstellungen vom unantastbaren Glück des Mutterseins nicht zurückschrecken. Dennoch hält sich die Anna entgegengebrachte Anteilnahme der Leserin in Grenzen: Schütteln möchte man sie manchmal, und ihr raten, das Inselchaos wie ihren ausgeprägten Tunnelblick für die eigene Situation gegen eine vernünftige Kinderbetreuung auf dem Festland einzutauschen, das Oxfordstipendium wieder vor Ort aufzunehmen (denn ja, hier wird auf hohem Niveau geklagt), und endlich den abtrünnigen Ehemann von den Papageientauchern wegzuzerren, der durch so geistreiche Äußerungen wie „Schöne Titten, Frau Gemahlin“ wenig zum allgemeinen Gelingen des Unterfangens beiträgt.

Sarah Moss hat mit Anna Bennett eine Frauenfigur erschaffen, die sich traut, wirklich mutig mit sich selbst zu hadern und die dabei durchaus nicht wenig Witz und Galgenhumor besitzt. Allerdings entgleitet die Darstellung der nicht enden wollenden Aneinanderreihung kleiner und großer Katastrophen zeitweise zu sehr ins slapstickhafte, was die spannenden und innovativen Anteile der Erzählung nicht etwa auflockert, sondern etwas unangenehm an das unsägliche Etikett des ‚Frauenromans‘ gemahnt, auch wenn Moss eigentlich weit entfernt schreibt von Plattitüden zwischen ‚Kind und Karriere‘.

Titelbild

Sarah Moss: Schlaflos. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Nicole Seifert.
Mare Verlag, Hamburg 2013.
496 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783866481770

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