Starker Tee und Nachtarbeit

Margret Franzliks Erinnerungen zeigen den Dichter Wolfgang Hilbig von einer bisher eher wenig bekannten Seite

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dreizehn Jahre hat sie mit ihm zusammengelebt. Von 1969 bis 1982. Die gemeinsame Tochter Constance – ihr sind die jetzt erschienenen Erinnerungen der Mutter an den Lebensgefährten gewidmet – erblickte 1980 das Licht der Welt. Da lebte das Paar Margret Franzlik und Wolfgang Hilbig ohne Trauschein in einer gemeinsamen Wohnung in Berlin. Das Ende der Beziehung zwischen der Journalistin und dem Dichter fällt ins Jahr 1982. Jedoch blieb man sich bis zu Hilbigs Tod am 2. Juni 2007 verbunden. Fünf Jahre später, im Herbst 2012, ist Margret Franzlik diejenige, die für Monate ins thüringische Meuselwitz zieht, um Hilbigs Mutter Marianne aufopferungsvoll in deren letzten Tagen beizustehen.

„Erinnerung an Wolfgang Hilbig“ ist keine durchgängig erzählte Paarbiografie. Die 1950 in Neubrandenburg geborene Margret Franzlik nähert sich stattdessen in 51 kurzen Episoden und einem Epilog einem Mann und Dichter an, der in der öffentlichen Wahrnehmung hauptsächlich als kompliziert und verschlossen galt. Nicht wenig zu diesem Bilde beigetragen hat der stark autobiografisch geprägte Roman „Nachtgeschwister“ (München 2009) von Natascha Wodin, in dem diese ihre achtjährige Ehe mit Hilbig – der im Roman unter dem Namen Jakob Stumm figuriert – Revue passieren ließ. Und auch, was Hilbig selbst in „Das Provisorium“ (Frankfurt/ Main 2000) an Privatem literarisch verschlüssselt preisgab, ist nicht unbedingt dazu angetan, in dem 1941 Geborenen einen umgänglichen und lebenszugewandten Charakter zu vermuten.

Von diesem allzu dunkel gefärbten Bild des Gefährten ließ sich die Journalistin Franzlik offensichtlich nicht zu ihren Erinnerungen inspirieren. Sie porträtieren aus großer Nähe und voller Empathie den „anderen Hilbig“, einen, wie ihn die Öffentlichkeit bisher kaum kannte. Versehen mit zahlreichen Fotos, Faksimiles von Briefen und Postkarten von und an Hilbig, lässt die Autorin vor allem die 70er-Jahre in Streiflichtern wieder aufleben. Es ist die Zeit, in der Hilbig zum Dichter heranreift, erste Erfahrungen mit der repressiven Kulturpolitik des Staates macht, in dem er lebt, und sich in verschiedenen Berufen, die allein der Existenzsicherung wegen ergriffen werden, durchschlägt.

Als Abräumer und Küchenhilfe in einem mecklenburgischen Ausflugslokal – der HO-Gaststätte „Nonnenhof“ am südlichen Ende des Tollensesees – lernt sich das Paar im August 1969 kennen. Hilbig hat längst die Gewohnheit angenommen, die Nacht zum Tage zu machen und nach der kräftezehrenden Arbeit und mit Hilfe etlicher Tassen starken Tees an seinem „Werk“ zu arbeiten. Dass das nicht immer so leicht war, wie einige Legenden über den „Nachtarbeiter“ Wolfgang Hilbig behaupten, weiß Margret Franzlik aus erster Hand: „Dabei schrieb Hilbig sehr schwer, fertigte immer wieder neue Fassungen von seinen Gedichten und Erzählungen an. Einmal (1972) sprach er sogar davon, dass seine literarische Krise einen seltenen Höhepunkt erreicht habe und er wie ein geschlagener Feldherr mit einem Gefühl zynischer Befriedigung über dem Trümmerhaufen seines ‚Werks‘ throne.“

Auch andere „Mythen“ werden aus kenntnisreicher Nähe von der Autorin ad absurdum geführt. Wolfgang Hilbig – ein Dichter im Elfenbeinturm? Weit gefehlt. Nicht nur gelegentlich banden ihn Familie und Freunde in ihre jeweiligen Leben ein, zehrte die Arbeit als Heizer – später Kesselwärter – an seinen Kräften, führte er einen ständigen Kampf gegen die Müdigkeit und seinen Hang, sich leichter von seinem Hauptgeschäft, dem Schreiben, ablenken zu lassen, als ihm häufig lieb war. Und die immer wieder kolportierte Geschichte vom „Boxer-Dichter“? Wohl kaum aufrecht zu erhalten angesichts der Tatsache, dass der Dichter, nachdem ein Kamerad an seinen Verletzungen nach einem Boxkampf verstorben war, die Handschuhe für immer an den Nagel hing.

Am schönsten freilich lesen sich Margret Franzliks Erinnerungen immer dann, wenn sie den Gefährten inmitten seines Alltags zeigt. Kneipenbesuche in Hilbigs Geburtsstadt Meuselwitz, die Jugendfreunde und ihr Aufbegehren gegen kleinstädtische Enge und staatliche Bevormundung, die „Wickelniere“ als sonntägliches Festessen bei Hilbigs in der Rudolf-Breitscheid-Straße, Buchhändler Fiedler in seinem kleinen Laden unweit des Meuselwitzer Bahnhofs, bei dem sich Hilbig mit den so begehrten wie seltenen Lizenzausgaben des DDR-Buchhandels versorgte, die Fahrt nach Leipzig zur Internationalen Buchmesse samt dem dabei fast obligatorischen Bücherklau an den Ständen der Westverlage, ein Besuch bei Hilbigs Freund und Förderer Franz Fühmann in Märkisch-Buchholz, der Dichter beim Wäscheaufhängen und in liebevoller Sorge um die Tochter – mit etlichen dieser kleinen, auch stilistisch geschickt abgerundeten Miniaturen gelingt es der Autorin, den Menschen Wolfgang Hilbig hinter dem großen deutschsprachigen Autor fühl- und sichtbar zu machen.

Dass das Buch in seiner ersten Hälfte auch Etliches zur Familiengeschichte der Hilbigs/Starteks enthält – der Großvater mütterlicherseits, der bei Wolfgang Hilbig die Vaterstelle für den im Krieg gebliebenen Max Hilbig vertrat, stammte aus dem ostpolnischen Dorf Ujscie und trug den Namen Kasimir Startek, Kaschi nannten seine Freunde nach ihm auch den Enkel –, hat wohl damit zu tun, dass sich Margret Franzlik im Oktober/November 2012 bis zu deren Tod am 24.11. um die hochbetagte Mutter Hilbigs kümmerte. Von ihr erfuhr sie bei dieser Gelegenheit nicht nur Näheres zu Hilbigs verschollenem Vater Max, sondern auch zu des Dichters Groß- und Urgroßeltern. Mit zahlreichen Bildern aus dem „Familienalbum“ versehen, gelingt Franzlik damit erstmalig auch ein Einblick in die Kindheit Wolfgang Hilbigs, wie sie ansonsten nur gelegentlich in seinen Gedichten und Erzählungen aufscheint.

Titelbild

Margret Franzlik: Erinnerung an Wolfgang Hilbig.
Transit Buchverlag, Berlin 2014.
104 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-13: 9783887473006

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