Heinrich Heines Auseinandersetzung mit dem größten Dramatiker

Zu einer Neuedition von „Shakespeares Mädchen und Frauen“

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Reigen der zahlreichen diesjährigen Neuerscheinungen zu Werken von William Shakespeare reiht sich auch dieser schön gestaltete Band von Hoffmann und Campe ein. Er ist der zehnbändigen historisch-kritischen Heine-Gesamtausgabe von 1993 entnommen und mit einem informativen Nachwort des Herausgebers ausgestattet.

Hieraus erfahren wir, dass der bereits in Frankreich lebende Autor Heine nach 1838 den Auftrag erhielt, zu einer Sammlung von 45 fiktiven Porträts in Stahlstichen, die Heldinnen aus Shakespeares Werken zeigen, Begleittexte zu verfassen. Es handelte sich hierbei somit um eine überaus gut bezahlte Auftragsarbeit – das Salär entspricht in etwa der Höhe von Heines Jahreseinkommen von 4000 Francs – für den englischen Verleger Charles Heath.

Heine verfasste nur für die Tragödiengestalten eigene kürzere Texte, während er den Komödiengestalten Dramenauszüge beigab. Seinen Ausführungen legte er ein umfassendes Studium der ihm verfügbaren Sekundärquellen und Übersetzungen zugrunde. Gerahmt werden diese durch einen einführenden und abschließenden Essay aus seiner Feder.

Bereits aus dem einführenden Aufsatz wird das grundsätzliche Verhältnis Heines zu seinem Gegenstand deutlich. Er steht in der Tradition deutscher Shakespeare-Rezeption der Aufklärung und Romantik und spricht es auch so aus: „Besser als die Engländer haben die Deutschen den Shakespeare begriffen“. Als Beleg hierfür führt er unter anderen mit Goethe, Schlegel und Tieck eine lange Liste jener Autoren an, die sich mit Shakespeare auseinandergesetzt haben. In dem Zusammenhang kann er sich auch einige polemische Seitenhiebe auf die Letzteren nicht verkneifen. Namentlich hält er ihnen ihr vermeintliches Epigonentum vor.

Florettstiche teilt er mit Leidenschaft und spitzer Feder auch an die englischen Autoren aus, die sich, wie etwa Dr. Johnson, Shakespeare gewidmet haben. Diese bezichtigt er rundum der Borniertheit und Engstirnigkeit. Lediglich den englischen Schauspielern billigt er zu, zur Popularisierung der Werke ihres Landmannes Entscheidendes beigetragen zu haben. „Wahrheit“ und „Natur“ bilden hierbei die beiden Parameter von Heines Beurteilung.

Wenig erstaunlich ist es angesichts von Heines Frankophilie, dass er meint, die französischen Romantiker, namentlich Victor Hugo, Alexandre Dumas und Alfred de Musset, hätten den großen Dramatiker besser verstanden als die Engländer – aber auch die Deutschen und zwar nicht durch „direkte Kritik, sondern indirekt durch dramatische Schöpfungen.“

Soweit die vorgegebene Marschrichtung, die auch die folgenden Texte zu den Tragödien prägt und durch ihre häufigen Polemiken gegen die englische Mentalität und ihre Protagonisten trotz Heines Verve zuweilen etwas ermüdend wirkt. Dennoch widmet er sich mit großem Verständnis und Einfühlungsvermögen seinem Gegenstand, Shakespeares Mädchen und Frauen. Hierdurch vermag er der Leserin und dem Leser einen ganz eigenen und originellen Zugang zu diesen Werken zu eröffnen.

Einen Höhepunkt des Buches bilden mit Sicherheit Heines Ausführungen zu Desdemona und Jessika, der Gattin Othellos und der Tochter Shylocks, des Kaufmanns von Venedig. Heine sieht in ihnen das paradigmatische Schicksal des gesellschaftlichen Außenseiters und somit auch das Eigene zur Anschauung gebracht, für das er ergreifende und klarsichtige Worte findet. Sie werden ihre Wirkung auf uns Heutige nicht verfehlen.

Titelbild

Heinrich Heine: Shakespeares Mädchen und Frauen.
Mit einem Nachwort von Jan-Christoph Hauschild.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014.
240 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783455404791

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