Tränen werden fließen

Michael Jackson zum 5. Todestag

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tränen werden fließen – fünf Jahre nach dem Tod des größten Popstars der Geschichte werden am 25. Juni auf der ganzen Welt Kerzen entzündet. Fans werden sich an vielen Denkmälern versammeln und Blumen niederlegen. Ein Weg, um Trauer zu verarbeiten, ist, darüber zu reden. In verschiedenen Internetforen treffen sich die Fans bis heute täglich, diskutieren und knüpfen dabei Kontakte über Ländergrenzen hinweg. Es werden Gedichte geschrieben und Erinnerungen an Begegnungen mit Michael Jackson ausgetauscht, es wird gebetet und Mut zugesprochen.

Michael Jackson ist längst eine unsterbliche Legende, die verehrt und vor allem bis heute gierig vermarktet wird. In den nächsten Jahren werden immer neue Songs veröffentlicht werden, die Alben „Michael“ (2010) und „Xscape“ (2014) sind nur die ersten einer Reihe. Kein Künstler hat postum mehr verdient als Michael Jackson. Er soll allein 2012 über 544 Millionen US-Dollar Umsatz mit seiner Musik generiert haben. Nicht eingerechnet sind Einnahmen aus Merchandise und Film- und TV-Lizenzen. Der Musik-Dokumentarfilm zu seinen 2009 geplanten Konzerten „This is It“ wurde der erfolgreichste Konzertfilm aller Zeiten. Rund 35 Millionen CDs wurden in zwölf Monaten nach seinem Tod verkauft. Wie viele es bis heute insgesamt sind, kann angesichts verschiedener offizieller Angaben nur geschätzt werden; vermutlich sind es unfassbare 800 Millionen.

Diese Zahlen zeichnen das Bild eines einmaligen Erfolgs. Es ist der Erfolg eines Mannes, der hart arbeitete, um mehr als jeder Bühnenkünstler vor ihm zu erreichen. Es ist der Erfolg eines Mannes, der über dreieinhalb Oktaven singen konnte und dessen Songs die Musikgeschichte nachhaltig beeinflusst haben. Er wollte tun, was niemand vor ihm getan hat und was Menschen dazu bringen könnte, sich zu fragen, ob er, Michael Jackson, übermenschliche Kräfte habe. Michael Bush, der fast 25 Jahre lang die Kostüme Jacksons schneiderte, berichtet, dass Michael Jackson eine magische Aura schaffen wollte: „Die Menschen wollen Zeugen von etwas Unglaublichem werden“, habe er immer wieder gesagt. Auch abseits der Bühne geriet jeder Auftritt zu einem Teil der Show: „Er konnte es nicht abschalten. Es gab für ihn nur einen Modus: Showtime!“, schreibt Michael Bush in seinem Buch „The King of Style. Dressing Michael Jackson“.

Dass dieser Mann, der alle Rekorde in der Musikgeschichte brach, hinter der Maske ein scheuer und zurückhaltender Mensch war, der zugleich geliebt und verfolgt wurde, der den Erfolgsdruck kaum aushalten konnte und an Schlaflosigkeit litt, erscheint schier unglaublich. Weinend rief Michael Jackson einmal einen Reporter an, der ihn als Freak bezeichnete und fragte ihn, warum er ihm das antue. Er bat seine Fans verzweifelt, nicht zu glauben, was in den Zeitungen über ihn zu lesen ist („Don’t make it factual“; Songtext „Tabloid Junkie“, Album „HIStory“ 1995). Auf seinem Album „Bad“ hatte er die Hetze der Medien erstmals thematisiert. Der flehende Songtitel „Leave me alone“ (1989) war Jacksons Antwort an die Klatschpresse. Michael Jackson hatte Angst. Seine Ängste vor großen Fernsehauftritten und vor Interviews, vor den selbst geschürten übermenschlichen Erwartungen, die wie Mühlsteine auf ihm lasteten, und finanziellen Problemen, seine Ängste vor Lügen und den geldgierigen Menschen, die ihn umgaben, und vor undurchsichtigen Verträgen, die ihn von seinen Umsätzen kaum profitieren ließen, waren nur zu berechtigt.

Als 1993 der Vorwurf erhoben wurde, Jackson hätte den minderjährigen Jordan Chandler missbraucht, traf dies den sensiblen Künstler umso schwerer. Als Antwort brachte sich Michael Jackson in einer Weise für Kinder ein wie kein Mensch zuvor. Von der „Dangerous“-Tournee soll er über 100 Millionen US-Dollar gespendet haben. Mit „Scream“ sang er sich die Wut über die falschen Anschuldigungen von der Seele. Die Jagd auf das Geld von Michael Jackson ging weiter: 2003 wurden neue Vorwürfe erhoben, 2005 kam es zu einem öffentlichen Prozess, in dem die Klägerfamilie zugab, unter Eid gelogen zu haben. Michael Jackson wurde von allen Vorwürfen freigesprochen. Der Prozess kostete ihn viel Kraft. Seither wird spekuliert, welchen Anteil die Schlagzeilen und die Behauptungen der vermeintlichen Missbrauchsopfer und deren Eltern am Tod Michael Jacksons haben. Nach dem Tod des Sängers nahm sich schließlich Evan Chandler, der Vater von Jordan Chandler, am 5. November 2009 das Leben.

Das Leid, das Michael Jackson zugefügt wurde, ist groß. Und doch lächelte er, warf Fans Kusshände zu und trainierte hart dafür, wieder auf die Bühne zu kommen. Er gab nicht auf. Gleichzeitig veränderte er sich. Die Distanz Michael Jacksons zu seiner Umgebung wuchs enorm an, und er zeigte dieses bewusst. Er verwandelte sich äußerlich in ein Kunstwesen, ein feenartiges Geschöpf. Sein Gesicht sollte so aussehen, wie er es wollte. Jacksons früherer Manager Dieter Wiesner erinnert sich daran, dass Michael Jackson einmal am Hotelfenster stand und murmelte, dass er nicht verstehe, weshalb er keine weiße Haut haben dürfte. Spott ergoss sich über den King of Pop; immer wieder wurde öffentlich gerätselt, weshalb er seine Haut bleichen ließ. Erst der Autopsiebericht bewies, dass Jackson tatsächlich unter Pigmentstörungen (Vitiligo) litt und er vermutlich versuchte, seine Krankheit mit dem Bleichen zu verbergen. Michael Jackson schuf mit mehreren Operationen, tätowierten Lippen, Brauen und Lidumrandung eine neue Peter-Pan-Identität, eine Maske, hinter der er sich zurückziehen konnte. Er schuf eine exzentrische Schatulle, die ihm Sicherheit geben sollte.

Rastlos zog er um die Welt, tauchte ab und hielt sich heimatlos mal in Irland, Schottland oder Deutschland und mal in Bahrain auf, bis er in Las Vegas eine Villa bezog. Jackson hat versucht, alle Probleme mit einem Lächeln zu überspielen. Doch er war laut Dieter Wiesner ein „gebrochener Mann“, er vertraute niemand und fand keinen Schlaf mehr: „Es kam vor, dass Michael drei Tage und die zwei Nächte dazwischen komplett wach war.“ Auf den Anrufbeantworter von Wiesner sprach Jackson: „Ich fürchte um mein Leben und um das meiner Kinder, ich habe Angst.“ Dieter Wiesner berichtet in seinem Buch über Michael Jackson von einem weinenden, aufgebrachten Musiker, den er im Hotelzimmer in den Arm nahm, um ihn zu beruhigen.

Jeder hätte die Warnungen hören können, als Jackson schon 1997 über das opiumähnliche Demerol sang, es würde ihm helfen und ihn hinwegschweben lassen („Today he’s taking twice as much / Demerol / Demerol / Oh God, he’s taking Demerol“; Songtext „Morphine“, Album „Blood on the Dancefloor“ 1997). Und doch wurde er nicht gerettet. Am 25. Juni 2009 starb er an einer Überdosis des Narkosemittels Propofol, seiner „Milch“, wie er sagte, mit der er seine Ängste unter Kontrolle halten musste und die ihm so etwas Ähnliches wie Schlaf ermöglichte. Jacksons Leibarzt Conrad Murray gab ihm, was er verlangte. Er musste sich dafür vor Gericht verantworten, wurde 2011 wegen fahrlässiger Tötung zu vier Jahren Haft verurteilt und ist dennoch seit dem 28. Oktober 2013 wieder frei. Conrad Murray will bald wieder in seinem Herkunftsland Trinidad arbeiten – ausgerechnet spezialisiert auf die Behandlung von Kindern mit Herzproblemen.

Es bleibt die Hoffnung, dass die Familie von Michael Jackson zur Ruhe kommt und seine Kinder friedlicher und länger leben dürfen als ihr Vater. Im Juni 2013 versuchte Paris Jackson, die Tochter von Michael Jackson, sich das Leben zu nehmen. Sie schnitt sich den Arm auf und nahm Schmerzmittel. Der Druck, der auf den Kindern von Michael Jackson und seiner ganzen Familie lastet, ist enorm. In Interviews klagt Jermaine Jackson, wie sehr er das Lächeln seines Bruders vermisst und sagt: „Ich weiß nicht, warum unsere Familie all das durchstehen muss…“ (Bild, 07.06.2013) Amerika liebt spektakuläre und tragische Geschichten wie die Biografien von Elvis Presley, Heath Ledger und Michael Jackson. Michael Jacksons Fans werden am 25. Juni trauern, während das Geschäft mit dem Mythos brummt.

Titelbild

Dieter Wiesner: Michael Jackson. Die wahre Geschichte.
Heyne Verlag, München 2011.
332 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783453196087

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Michael Bush: The King of Style. Dressing Michael Jackson.
Insight Editions, San Rafael, Kalifornien 2013.
224 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783894877392

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch