Spagat zwischen Recht, Moral und Spannung

Zum 70. Geburtstag des Erfolgsschriftstellers Bernhard Schlink

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

 „Ich war zu alt, als dass die neue Rolle mein Leben entscheidend hätte verändern können. Ich hatte meinen Ort in der Welt bereits gefunden“, bekannte Bernhard Schlink vor fünf Jahren in einem FAZ-Interview über sein „zweites Leben“ als Schriftsteller. Er war immerhin schon Mitte vierzig, als er sein Romandebüt gab. Er war bis zu seinem 65. Lebensjahr nicht einmal Berufsschriftsteller, und doch hat er mit „Der Vorleser“ einen der (vor allem auch international) erfolgreichsten deutschen Romane der letzten 25 Jahre vorgelegt.

Schlink war fast 20 Jahre Richter am Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster und wurde vor fünf Jahren als Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der TU Berlin emeritiert. In den frühen 1980er-Jahren hatte er sich nach Promotion und Habilitation in den USA für kurze Zeit auch als Goldschmied und Masseur versucht – eine Art „Selbstfindungstrip“.

Der Spagat zwischen Recht und Moral, ein ausgeprägtes Interesse an historischen Fragestellungen und die präzise Sprache ziehen sich wie ein roter Faden durch die literarischen Werke von Bernhard Schlink, der am 6. Juli 1944 in Großdornberg (nordwestlich von Bielefeld) als Sohn eines Theologieprofessors geboren wurde und in Heidelberg aufgewachsen ist.

„Dass die Jahre zwischen 1933 und 1945 vergessen bleiben, ist das Fundament, auf dem unser Staat aufgebaut ist“, hieß es im 1987 erschienenen, gemeinsam mit Walter Popp während eines Freisemesters in Aix-en-Provence verfassten Romans „Selbs Justiz“. Schlink hat nie nach dem Mainstream geschielt und sich auch nicht gescheut, in seinen Werken unbequeme Fragen aufzuwerfen. Mit dem Pensionär Gerhard Selb (Protagonist in insgesamt drei Romanen) hat er zudem eine reichlich unkonventionelle Figur in der deutschen Krimilandschaft etabliert – gesundheitlich angeschlagen wie Mankells Kurt Wallander, eigenbrötlerisch wie Hansjörg Schneiders Kommissär Hunkeler und lebensklug wie einst der von Willy Millowitsch verkörperte TV-Kommissar Klefisch.

Obwohl Schlink bereits 1993 für „Selbs Betrug“ den Deutschen Krimipreis erhalten hatte, kam der Erfolg seines Romans „Der Vorleser“ zwei Jahre später einer Sensation gleich. „Der Vorleser“ wurde in 40 Sprachen übersetzt und war das erste deutsche Buch, das auf Platz 1 der Bestsellerliste der „New York Times“ stand. Auch die Kinoversion mit Oscar-Preisträgerin Kate Winslet und David Kross in den Hauptrollen war ein respektabler Erfolg.

Die Handlung beginnt Ende der 1950er-Jahre mit der unkonventionellen Liebesbeziehung zwischen dem 15-jährigen Akademikersohn Michael Berg und der über zwanzig Jahre älteren Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz. Unkonventionell nicht nur des Altersunterschiedes wegen, sondern, weil sich der junge Michael auch noch als eifriger Vorleser für die reife Frau betätigt. So plötzlich, wie Hanna in Michaels Leben getreten ist, verschwindet sie auch wieder. Michael beginnt ein Jurastudium und nimmt als Hospitant an einem Kriegsverbrecherprozess teil. Völlig irritiert und ratlos erkennt er auf der Anklagebank seine einstige Geliebte wieder, die in jungen Jahren als SS-Mitglied Aufseherin in einem Konzentrationslager war.

Michael verfolgt den Prozess weiter und erfährt, dass sich Hanna auch im KZ von jungen Häftlingen aus Büchern vorlesen ließ. Dies wird vom Gericht als besonders „grausame Methode“ gewertet und die Analphabetin Hanna muss für 18 Jahre ins Gefängnis. Später schickt Michael – inzwischen Juraprofessor – Hanna Tonbandcassetten mit Aufnahmen von belletristischen Werken ins Gefängnis, wo sie unter großen Mühen lesen und schreiben lernt.

Was hat Schlinks grandiosen Erfolg vor 14 Jahren ausgemacht? War es die Tatsache, dass er einer NS-Täterin ein greifbares Gesicht und menschliche Züge verlieh, ohne für sie beim Leser um Mitleid zu buhlen? Oder hatte der Autor mit seiner männlichen Hauptfigur Michael Berg und deren fast flehender Frage den Nerv der Generation der Nachgeborenen getroffen: „Was sollte und soll meine Generation der Nachlebenden eigentlich mit den Informationen über die Furchtbarkeit der Vernichtung der Juden anfangen?“

„Wer das Vergangene nicht im Umgang mit Texten präsent halten kann, wird zu einer geschichtslosen Existenz“, hatte Bernhard Schlink in einem seiner wenigen Interviews einmal sein literarisches Credo beschrieben. Um Geschichte, um Heimat und Suchbewegungen dreht sich auch der 2006 erschienene Roman „Die Heimkehr“. Variantenreich verarbeitete Schlink das Heimkehrer-Motiv und Anleihen aus der Odyssee – fraglos der kompositorisch anspruchsvollste Schlink-Roman.

Heftig diskutiert wurde auch sein letzter Roman „Das Wochenende“ (2008), in dem ein nach langer Haftzeit entlassenes RAF-Mitglied im Zentrum steht. Das Treffen mit Familienmitgliedern und alten Freunden wird für den todkranken Protagonisten Jörg zum Alptraum. 2010 folgte noch der Erzählungsband „Sommerlügen“.

„Ich fand immer die Vorstellung schön, dass mein Buch an der Bahnhofsbuchhandlung gekauft, auf die Reise mitgenommen und im Zug gelesen wird.“ Bernhard Schlink ist auf eine geradezu sympathische Weise bescheiden geblieben, und wir dürfen uns jetzt schon auf seinen neuen Ende August erscheinenden, spannenden und psychologisch fein gesponnenen Roman „Die Frau auf der Treppe“ freuen. Darin geht es um ein wertvolles Gemälde, das eine Frau auf der Treppe zeigt, und um eben jene Frau in einer Auseinandersetzung zwischen drei Männern.