Schuld und Sühne

Dante Andrea Franzettis „Richtig im Kopf“ ist eine Kriminalnovelle für Anspruchsvolle

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„In Wirklichkeit ist die Welt geordnet“ lautet der erste Satz der „Kriminalnovelle“, mit der der 1959 in Zürich geborene Dante Andrea Franzetti im letzten Herbst seine Leser überraschte. Die klug entwickelte, oft atemberaubende Geschichte spielt in Italien, dem Land, dem der Autor eng verbunden ist, wie zuletzt Zurück nach Rom bewiesen hat, eines der besten Rom-Bücher unserer Tage. Genauer: Sie spielt in einer chaotischen, von ätzendem Müllgeruch durchwehten Stadt zwischen Vulkan und Meer, wo die weltweit angesehene Hirnforscherin Regine Odenaal arbeitet, die jeden Tag ihre von Geburt an gehbehinderte, mittlerweile zehnjährige Tochter Mathilda in die Deutsche Schule bringt. Mathilda wiederum ist mit dem 20-jährigen Walter befreundet, einem „Ritardato“, von dem die Leute sagen, er sei nicht ganz richtig im Kopf. Mathilda, die „Handicappata“, bekommt ebenso eine eigene Erzählstimme wie der wettspielsüchtige und alkoholabhängige Dottore Mauro de Feo, der einen Fernsehfilm zum Thema „Ethische und juristische Implikationen der jüngeren Hirnforschung über schwere Wiederholungstäter“ drehen und dafür Mathildas Mutter interviewen soll. Die ihm wahrscheinlich, ganz den Erkenntnissen ihrer Wissenschaft verpflichtet, im Sinne einer noch zu entwickelnden „Neuroethik“ klarmachen wird: „Es gibt keine Delikte, es gibt keine Täter, es gibt keine Schuldigen“. Legen neuronale Verschaltungen uns definitiv fest, ist der sogenannte Geist nur belangloser Luxus? Unsinn! Oder doch nicht? Möchte die neuere Hirnforschung wirklich die Schuld abschaffen? Und damit die Justiz?

Franzettis „Kriminalnovelle“ – selten passt eine Gattungsbezeichnung so perfekt wie hier – erläutert, illustriert und umspielt meisterlich das eigentlich ziemlich abstrakte Thema des geplanten Films: Kann ein Mensch schuldig werden, ist er für sich und seine Taten verantwortlich, oder ist es es nicht? Walter ist kein „Wiederholungstäter“, nein, noch ist er gar kein Täter. Aber seine ebenfalls mit eigener Stimme sprechende Mutter Esterina Pepe sagt schon lange: „Walter weiß nicht, was Sexualität ist, aber sie ist da, macht sich bemerkbar, fordert etwas von ihm“. Am Abend feiert er Geburtstag, und Mathilda ist bei Familie Pepe eingeladen – während sich ihre Mutter in den charmanten, ihr als kompetenter Gesprächspartner durchaus gewachsenen Fernsehmann verliebt. „Die Idee der Rache darf bei Maßnahmen gegenüber Menschen mit Hirnanomalien keine Rolle spielen“, diktiert sie ihm ins Mikro – und behält ihn für diese Nacht bei sich. Und es kommt, wie es in einer glasklar gebauten, in sich schlüssigen „Kriminalnovelle“ kommen muss: Am nächsten Morgen ist Mathilda verschwunden. Kommissar Ettore Renzi übernimmt. Die Leiche wird gefunden. Regine will sie unbedingt sehen, „eine unmenschliche Probe für die Mutter“, sagt Renzi. „Unerträglich, unmenschlich – da knickt die Frau ein, fällt auf den harten Kachelboden, keiner von uns ist schnell genug, sie zu halten“. Nein, Walter ist kein Teufel, sondern ein kranker Mensch „mit einem geschrumpften Frontallappen ohne Verbindung zum limbischen System, einer geschädigten Amygdala oder sonst einer Läsion, aber was hilft diese Einsicht?“. Nichts, gar nichts hilft sie. Sie hilft nicht einmal gegen den Wunsch nach Rache. Und mit dieser bitteren Wahrheit lässt der Autor dieser intelligenten, anspielungsreichen und anspruchsvollen Novelle seine Leser dann sehr allein. Richtig im Kopf muss man lesen. Auch wenn’s weh tut.

Titelbild

Dante Andrea Franzetti: Richtig im Kopf. Kriminalnovelle.
Lenos Verlag, Basel 2014.
148 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-13: 9783857874512

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