Wüstensturm über Paris

Der grassierenden Unzufriedenheit vieler Franzosen lässt Yannick Haenel in seinem neuen Roman den großen Aufstand folgen

Von Andreas HaarmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Haarmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im insgesamt eher lauen literarischen Herbst 2014 hat Yannick Haenel mit seinem Roman Die bleichen Füchse, der in Frankreich bereits ein Jahr zuvor erschien, einen kleinen Sturm entfacht. Noch lange bevor die Anschläge auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ Paris erschütterten, legte Haenel einen Finger in die seit langem offene Wunde der Grande Nation, die Frage nach dem richtigen Umgang mit Einwanderern und Flüchtlingen. Nicht zuletzt deshalb wurde sein Name vielfach in einem Atemzug mit dem Michel Houellebecqs genannt, der im Januar, parallel zu den Attentaten, mit seiner Vision eines islamistisch regierten Frankreich für Aufsehen sorgte.

Die Engführung der beiden Autoren, wie sie auch ein entsprechender „Spiegel“-Artikel von Georg Diez vornimmt, ist sicher nicht ganz unberechtigt, sollte jedoch nicht allzu weit getrieben werden. Die Koinzidenz der Erscheinungstermine trifft zunächst nur für den deutschen Buchmarkt zu, und ganz im Gegensatz zu Houellebecq will sich Haenel scheinbar nicht ganz auf seine Fiktion einlassen: Sein letzter Roman Jan Karski aus dem Jahr 2009 (deutsch: Das Schweigen des Jan Karski, 2011) entwickelt erst im dritten und letzten Teil eine fiktionale Dimension, wohingegen die ersten zwei Kapitel des Bändchens eine Art Nacherzählung der Erlebnisse der historischen Figur Jan Karski darstellen und sich maßgeblich an Karskis Autobiografie sowie einem Interview mit ihm aus Claude Lanzmanns Shoah orientieren.

Mögen auch die Berührungspunkte zu den Bleichen Füchsen nicht unmittelbar ins Auge stechen, so enthält doch gerade dieser dritte Teil in nuce Elemente, die im jüngeren Roman nun deutlicher zu Tage treten. Beispielhaft dafür ist die Episode der möglichen Rettung von siebzigtausend rumänischen Juden im Zweiten Weltkrieg, die laut dem Erzähler von amerikanischen und britischen Stellen aus Kostengründen ausgeschlagen worden sei. Der Wert menschlichen Lebens nimmt denn auch in den Bleichen Füchsen eine zentrale Rolle ein, wo der Autor das drastische und eindrückliche Bild eines von einem Müllschlucker zerstückelten Körpers wählt, der einem im Schlaf von der Müllabfuhr überraschten Obdachlosen gehört. Auch die Karski in den Mund gelegte Aussage, dass „Isolation die einzig wahre politische Haltung“ sei, könnte dem Protagonisten der Bleichen Füchse zugeschrieben werden. Dieser ist dem französischen Publikum bereits aus Haenels noch nicht ins Deutsche übertragenem Roman Introduction à la mort française (2001) bekannt: Der arbeitslose Jean Deichel, der sich schon längst aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen hat, sieht sich plötzlich, doch wenig überraschend gezwungen, aus seiner Wohnung in sein Auto umzuziehen, als er nicht mehr in der Lage ist, die Miete zu zahlen. Bei Streifzügen durch die Stadt, die neben dem Besuch des öffentlichen Hallenbades zu Hygienezwecken seine einzige Freude sind, stößt er bald auf mysteriös anmutende Symbole und Botschaften, welche ihn auf die Spur der Gemeinschaft der „bleichen Füchse“ bringen. In ihr organisieren sich hauptsächlich illegale Einwanderer und vereinzelte, mit diesen solidarische Aussteiger wie Jean, die genug haben von der „erstickenden Welt der Lohnempfänger“ und eine Revolution anstreben, die den zweiten Teil des Buches einnimmt.

Der Name der Organisation, erfährt der Leser, verweist auf einen Kult des malischen Volkes der Dogon, in dem sich durch das Tragen von Masken und bestimmte Zeremonien der „absolute Aufstand“ gegen die bestehende Ordnung realisiert. Fremdartiger als die Ästhetik der bleichen Füchse erweisen sich aber die von Haenel evozierten Bilder. Nicht nur, dass es einem vorkommt, als brennte, glomm und glühte es von Beginn an auf jeder Seite; der Obelisk auf der Place de la Concorde, beleuchtet vom Feuer der aufbegehrenden Massen, muss sich auch noch „in den Himmel bohren wie ein Penis, der die etablierte Ordnung durchbricht“. Beim ersten Lesen vermag man gar nicht zu entscheiden, ob dies nun zu abgefahren oder zu abgegriffen klingt.

Der durchweg flüssigen Übersetzung von Claudia Steinitz sind solche Zerrbilder freilich nicht anzulasten, sie überzeugt durch angenehme Lesbarkeit, abgesehen von kleineren Nachlässigkeiten, die etwa aus „gros visage“ eine „große Visage“ machen. Inhaltlich so relevant wie fraglich bleibt allein die Entscheidung, aus „sans-papiers“ schlicht „Papierlose“ gemacht zu haben. Folgt diese Wahl ästhetischen Erwägungen oder macht sie nicht vielmehr eine gewisse Scheu sichtbar, die vor der Benennung „illegaler Einwanderer“ als ebensolcher zurückschrecken lässt?

Der politischen Grundierung des Textes entsprechend scheint diese Übersetzung jedenfalls gerechtfertigt und vielleicht gar besonders gelungen. Die Stoßrichtung des Protests ist ganz eindeutig, auch weil der Autor – wie schon in Jan Karski – der Romangattung nicht treu bleiben mag und im zweiten Teil des Buches in einen halb essayistischen, halb pamphletartigen Stil verfällt, dessen einzig narratives Moment noch die Stimme der Hauptfigur ist. Sie spricht von Sklaventum, Ausbeutung und anderen Vorwürfen an das sich aus „Meisterkillern“ zusammensetzende Europa, zu welchem sich der direkt angeklagte Leser („eure profitbesessene Welt“) gefälligst zu rechnen hat.

Wer sich ergänzend etwa zu Houellebecq oder dem in Deutschland völlig zu Unrecht unbekannten Sabri Louatah einen Eindruck von den Frankreich dominierenden Diskursen rund um Zuwanderung und koloniales Erbe machen möchte, ist bei Haenel goldrichtig. Für sich allein genommen ist der diesseits des Rheins vielbeachtete Roman jedoch nur ein Herbststurm im Wasserglas.

Titelbild

Yannick Haenel: Die bleichen Füchse. Roman.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014.
190 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783498030261

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