Im Labyrinth der Barbarei

Fabien Vehlmann und Yoann schicken Spirou und Fantasio in historische Kriegsgebiete

Von Bernd SchneidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Schneid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wieder sind sie mit einem jener Alben zurück, deren Veröffentlichung sich mit dem neuen Kreativteam Vehlmann und Yoann erfreulicherweise in einem guten Jahresturnus einzupendeln scheint: Spirou, der ewige Page, obwohl längst nicht mehr in diesem Job arbeitend; Fantasio, sein rasender und impulsiver Reporterfreund und Pips, das Eichhörnchen, das zwar spricht, aber eigentlich nur vom Leser verstanden wird. Die Verknüpfung mit den vorangegangenen Bänden und mit dem Spirou-Universum insgesamt wird von Vehlmann und Yoann immer konsequenter beherrscht.

„Der Page der Sniper Alley“ bietet diesmal eine irritierende Abenteuergeschichte, die in ihrer Heftigkeit aufwühlt. Inhaltlich werden Spirou und Fantasio vom goldgierigen Mafioso Don Vito Cortizone erpresst, den Schatz von Alexandria zu finden. Ihr Weg dahin führt die Helden in ein Kriegsgebiet, das im Titel die „Sniper Alley“ trägt, jener sogenannten Straße mit Heckenschützen aus der Belagerung von Sarajevo im Bosnienkrieg (1992-1995).

Soweit die Ausgangskonstellation, die aufgrund dieses historischen Verweises sehr real geraten ist. Das Spannungsverhältnis zwischen Besatzern, Heckenschützen, Einheimischen und den unfreiwilligen Schatzjägern ist so auch nicht ganz leicht aufzulösen. Wenn zum Beispiel die Kinder ihren Helden Spirou um Autogramme bitten, da sie ihn ebenfalls kennen, stellt sich das Comic selbst als ein basales Kulturgut dar, das am Ende doch immer wieder auch für Kinder da sein will, damit sie die Welt ein bisschen besser verstehen können. Das funktioniert in „Der Page der Sniper Alley“ so nicht, und die Empfehlung „ab 14 Jahren“ ist sicher nötig. Denn die Welt in diesem Band ist bar jeder Sicherheit. Tatsächlich wird auch das Leid von Kindern in Kriegsgebieten direkt thematisiert. Schließlich gehörten in Sarajevo viele Kinder zu den Opfern der Heckenschützen.

Spirou und Fantasio finden sich diesmal in einem Chaos, das auch sie nicht zurechtrücken können. Die Helden lösen zwar ihr Problem mit der Schatzsuche durch ihre ureigene Intelligenz und Empathie, aber die Schrecken des Terrors, der Ungerechtigkeit und des Krieges können sie nicht beenden. Das wäre wohl auch etwas viel verlangt und die irrwitzige Jagd durch das Labyrinth nach dem Schatz ist so verwirrend wie die Lage der Weltpolitik. Für die Auflösung hält ein ähnlicher Trick her wie in Edgar Allen Poes „Der entwendete Brief“. Darin geht es um ein gestohlenes Schreiben, das nicht kompliziert versteckt wurde, sondern ganz offen im Raum liegt. Am Ende steht nun nicht gerade die Ringparabel, aber doch eine kleine Verbeugung vor einer gemeinsamen Utopie, bei der es nicht um Gold und Schätze geht, sondern um die jeweils gesammelte Schriftkultur der Welt. Gut, dass unsere Helden die Bibliothek von Alexandria am Ende zwar gefunden haben, sie aber nicht barbarischen Grabräubern anheim geben, sondern diese mit Herz und Verstand hinters Licht führen.

Zum Abschluss bietet „Der Page der Sniper Alley“ einen Cliffhanger mit einem lange ersehnten und gelb gesprenkeltem Fabelwesen aus dem Urwald von Palumbien, das wieder in das Universum von „Spirou & Fantasio“ eintreten darf. Doch es hüpft nicht lachend umher, sondern ist in einem Käfig gefangen und hat Tränen in den Augen. Vehlmann und Yoann scheinen die Serie in eine düstere Zeit zu manövrieren. Unproblematisch ist die Form des Albums zwischen weltpolitischen Anspielungen einerseits und bekanntem Slapstickhumor andererseits diesmal sicher nicht, denn der bedrohliche Ton, der in „Der Page der Sniper Alley“ in die Serie Einzug hält, verstört und verwirrt.

Titelbild

Fabien Vehlmann / Yoann Chivard: Spirou & Fantasio. Band 52.
Carlsen Verlag, Hamburg 2015.
56 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783551774620

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