Fingerübungen

Der postum erschienene Sammelband „Das Gegenteil von Einsamkeit“ von Marina Keegan enthält eine Reihe von Kurzgeschichten und Essays

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Marina Keegan war zweifelsohne begabt: Sie studierte in Yale, wo sie 2012 mit magna cum laude graduierte, und hielt dort die Abschlussrede Das Gegenteil von Einsamkeit (die nach ihrem Tod millionenfach im Internet geteilt wurde). Den bereits zugesagten Job beim ehrwürdigen New Yorker konnte sie jedoch nicht mehr antreten. Als sie fünf Tage nach ihrem Abschluss auf dem Weg zur Geburtstagsfeier ihres Vaters nach Cape Cod war, schlief ihr Freund am Steuer des Wagens ein, und das Auto prallte gegen eine Leitplanke – während ihr Begleiter unverletzt blieb, starb Keegan noch an der Unfallstelle.

Ein Jahr nach ihrem Tod veröffentlichten ihre Eltern einen Band mit einer Sammlung ihrer Geschichten und Essays, der in den USA viel beachtet wurde. Er zeigt die Anfänge einer Schriftstellerin, die einmal, wohl halb im Ernst, halb im Scherz, erklärt hatte, dass sie zusammen mit anderen „den Tod der Literatur aufhalten“ wolle.

Keegans Literaturprofessorin Anne Fadiman bemerkt im Vorwort des Bandes: „Marina war einundzwanzig und klang wie einundzwanzig: eine gescheite Einundzwanzigjährige.“ Diese Beschreibung trifft es: Hier schreibt eine intelligente und privilegierte junge Frau über die Themen, die intelligente und privilegierte junge Frauen beschäftigen: Welche Räume die Zukunft ihr eröffnen wird, wie groß die Verantwortung eines jeden ist, aus dem eigenen Leben das Beste zu machen – aber auch, ob es peinlich ist, wenn die besorgte Mutter immer glutenfreie Snacks mit zum Schulausflug bringt, und welche Erinnerungen man mit dem ersten eigenen Auto verbindet. Und hier schreibt eine Autorin, die sich und ihre Möglichkeiten ausprobiert und in ganz unterschiedlichen Texten nach einer eigenen Sprache, einem eigenen Stil sucht. (Welche Verbesserungen sie selbst dabei für sich im Sinn hatte, kann man ebenfalls im Vorwort nachlesen: Weniger Polysyndeta, weniger Anaphern, weniger Vergleiche und weniger Adverbien in einem Satz, nimmt sie sich beispielsweise vor.)

In den besten Momenten dieses Bandes, beispielsweise in der Erzählung „Vorlesen“, in der eine ältere Frau ihre Vorlesestunden bei einem jungen Blinden dafür ausnutzt, sich unbemerkt vor ihm zu entblößen, erkennt man die Qualität der Schriftstellerin, der es meisterhaft gelingt, das zarte Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren mit wenigen nüchternen Worten anzudeuten.

Vielen Erzählungen merkt man jedoch an, dass die Autorin Kurse für kreatives Schreiben besuchte; manche Texte wirken – positiv formuliert – durchstrukturiert und rundgefeilt, negativer gewertet könnte man einige (vor allem unter den Essays) auch angepasst und banal nennen. Es wäre sicherlich spannend gewesen, zu sehen, wie und wohin sich Marina Keegan, die aus den im Vorwort zitierten persönlichen Notizen als entschlossene, selbstkritische, idealistische und neugierige Studentin hervortritt, noch entwickelt hätte. Den Entschluss, eine „richtige“ Schriftstellerin zu werden, „mit Haut und Haar“, hatte sie jedenfalls gefasst.

Titelbild

Marina Keegan: Das Gegenteil von Einsamkeit. Stories und Essays.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
285 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783100022769

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